OGH 26Ds10/18x

OGH26Ds10/18x22.10.2019

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 22. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Klaar und Dr. Kretschmer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski in Gegenwart von Richteramtsanwärter Mag. Sysel als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 5. Mai 2017, AZ D 29/14, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, des Kammeranwalt‑Stellvertreters Dr. Roehlich und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0260DS00010.18X.1022.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben, eine neue Verhandlung angeordnet und die Sache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis erkannte der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien den Beschuldigten schuldig, er habe

1. am 4. Juni 2012 von der ***** bzw einer in deren Namen handelnden ***** einen Treuhanderlag über 4.700.000 USD entgegengenommen und entgegen der Vereinbarung im Treuhandvertrag vom 31. Mai 2012 ohne schriftliche Anweisung der Treugeberin zwischen 11. Juni 2012 und 18. Juni 2012 im Ausmaß von zumindest 4.330.000 USD zu Lasten dieses Treuhanderlags verfügt;

2. die übernommene Treuhandschaft nicht über das Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer Wien abgewickelt, insbesondere dieselbe weder dem Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer Wien gemeldet, noch eine Untersagungserklärung für eine solche Abwicklung eingeholt;

3. im April 2013 mit ***** vereinbart, welche Vereinbarung von dieser mit Schreiben vom 4. April 2013 bestätigt wurde, die von ihm zu Lasten des Treuhanderlags überwiesenen Gelder zurückzuerlangen und für seine Dienste ein Honorar von 8 % der zurückerlangten Summe, zumindest 50.000 USD vereinbart, sohin ein pactum de quota litis geschlossen.

Der Disziplinarrat verurteilte ihn hiefür zur Zusatzstrafe des Entzugs der Ausübung der Rechtsanwaltschaft im Ausmaß von drei Monaten sowie zur Tragung der anteiligen Verfahrenskosten, wobei die Zusatzstrafe für eine Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen wurde.

Von weiteren gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wurde der Beschuldigte freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den verurteilenden Teil des Erkenntnisses erhob der Beschuldigte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe.

Er wendet ein, es liege der Nichtigkeitsgrund gemäß § 281 Abs 1 Z 3 StPO vor, weil sich im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses keine Subsumtion der drei Spruchpunkte unter § 1 Abs 1 DSt finde. Gemäß § 260 StPO müsse jedoch das Erkenntnis des Disziplinarrats aussprechen, welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Beschuldigte schuldig befunden wurde, begründet wird. Diese strafbare Handlung sei im Erkenntnis durch Wiedergabe ihrer gesetzlichen Bezeichnung zu benennen. Eine Erwähnung bloß in den Gründen sei einem Schuldspruch nicht gleichzuhalten.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 260 Abs 1 StPO muss das Strafurteil– wird der Beschuldigte schuldig befunden – aussprechen, welcher Tat er schuldig befunden worden ist (Z 1), welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Beschuldigte schuldig befunden worden ist, begründet wird (Z 2), und zu welcher Strafe der Beschuldigte verurteilt wird (Z 3); diese drei Punkte bei sonstiger Nichtigkeit.

Das angefochtene Erkenntnis entspricht lediglich der Z 1 und Z 3 des § 260 Abs 1 StPO, spricht aber nicht aus, welche strafbare Handlung begründet wurde.

Der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO, welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen begründet wird, stellt den Schuldspruch dar. Diese strafbare Handlung ist im Erkenntnis durch Wiedergabe ihrer gesetzlichen Bezeichnung zu benennen. Eine Erwähnung bloß in den Gründen ist einem Schuldspruch nicht gleichzuhalten (RIS‑Justiz RS0116266 [T5]; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 27, Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 503). Die Unterlassung der Subsumtion des als erwiesen angenommenen Sachverhalts unter einen anzuwendenden Tatbestand macht das Urteil nichtig nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO (Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 30 mN).

§ 1 Abs 1 DSt definiert Disziplinarvergehen von Rechtsanwälten als schuldhafte Verletzung von Berufspflichten oder als schuldhafte Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes inner- oder außerhalb des Berufs des Rechtsanwalts. Eine Verletzung von Berufspflichten beeinträchtigt unter der Voraussetzung, dass diese und die Zugehörigkeit des Täters zum Anwaltsstand einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt, häufig auch Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes (RIS‑Justiz RS0118449). Die allfällige zweifache Qualifikation ist maßgeblich für die Höhe der zu verhängenden Strafe. Eine Subsumtion der vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Beschuldigte schuldig befunden wurde, unter die Deliktsfälle des § 1 Abs 1 DSt durch den Disziplinarrat ist daher unerlässlich.

Eine Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und Zurückverweisung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zur neuen Verhandlung und Entscheidung war somit nicht zu vermeiden.

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