European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBS00002.19F.0924.000
Spruch:
1. Der Revision der Beklagten wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 252,31 EUR (darin 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
2. Dem Rekurs des Klägers wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat seine Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 1. 4. 2015 bis zur einvernehmlichen Auflösung seines Dienstverhältnisses am 28. 6. 2016 bei einer GesmbH mit einem Monatsentgelt von zuletzt 1.678,31 EUR brutto beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Arbeiter in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung. Nach § 3 Abs 7 dieses Kollektivvertrags hat die Lohnauszahlung bis spätestens zum 15. des Folgemonats zu erfolgen.
Am 22. 2. 2016 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Die Berichtstagsatzung fand am 18. 4. 2016 statt. Eine Masseunzulänglichkeit lag nicht vor.
Dem Kläger wurde von der Beklagten Insolvenz-Entgelt für die Zeit vom 1. 2. bis 22. 2. 2016 samt anteiligen Sonderzahlungen zuerkannt.
Vom 21. 3. bis 27. 6. 2016 befand sich der Kläger im Krankenstand, in dem er bis 2. 5. 2016 Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung und vom 3. 5. bis 2. 6. 2016 auf Fortzahlung des halben Entgelts hatte.
Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 30. 5. 2016 wurde der am 9. 5. 2016 angenommene Sanierungsplan der Arbeitgeberin bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben.
Am 18. 7. 2017 wurde ein neuerlicher Insolvenzeröffnungsantrag gegen die Arbeitgeberin mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.
Der Kläger stellte daraufhin am 13. 9. 2017 den Antrag auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt für den Zeitraum vom (ursprünglich) 1. 4. bis 28. 6. 2016 samt anteiligen Sonderzahlungen.
Gegen den diesen Anspruch abweisenden Bescheid der Beklagten richtet sich die Klage. Nach Einschränkung begehrt der Kläger zuletzt noch 1.387 EUR, und zwar Entgeltfortzahlung vom 1. bis 30. 5. 2016 und anteilige Sonderzahlungen vom 23. 2. bis 30. 5. 2016, je samt Zinsen. Diese Ansprüche seien dem Kläger infolge Aufhebung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter nicht mehr bezahlt worden, sodass die Arbeitgeberin nach § 60 Abs 1 letzter Satz IO dafür hafte. Eine Geltendmachung der Forderung in dem 2016 abgeführten Sanierungsverfahren sei mangels Fälligkeit noch nicht möglich gewesen.
Die Beklagte wandte Verfristung des Anspruchs ein. Der Kläger wäre imstande gewesen, die strittigen Forderungen bereits im Sanierungsverfahren innerhalb der Frist des § 6 Abs 1 IESG geltend zu machen. Nach dieser Regelung komme es nur auf das Entstehen der Ansprüche und nicht auf deren Fälligkeit an. Der spätere Eintritt eines weiteren Insolvenztatbestands eröffne nicht die Möglichkeit, bereits verfristete Ansprüche neuerlich geltend zu machen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es schloss sich dem Argument der Beklagten an, dass der Kläger den Antrag auf Insolvenz-Entgelt für seinen während des laufenden Sanierungsverfahrens erworbenen Anspruch nach § 6 Abs 1 IESG bis spätestens sechs Monate nach dem Ende des Dienstverhältnisses stellen hätte können und müssen.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und sprach ihm mit Teilurteil 689 EUR an Entgeltfortzahlung für Mai 2016 zu. Im Übrigen hob es die Entscheidung des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht den Sachverhalt dahin, dass es dem Kläger im Rahmen des Sanierungsverfahrens nicht möglich gewesen wäre, einen Antrag auf Insolvenz-Entgelt für das im Mai 2016 fortzuzahlende Entgelt zu stellen, weil die gesetzliche Sicherung mit der Berichtstagsatzung geendet habe. Die Frist des § 6 Abs 1 IESG sei nicht ausgelöst worden. Das Gleiche gelte für die Sonderzahlungen, soweit sie auf den Zeitraum nach der Berichtstagsatzung entfallen seien. Der zeitlich vor der Berichtstagsatzung erworbene Anspruchsteil wäre hingegen bereits aufgrund des Sanierungsverfahrens gesichert gewesen und seine Geltendmachung daher verfristet. Zur periodengerechten Aufschlüsselung der lediglich pauschal begehrten Sonderzahlungen sei noch eine Verfahrensergänzung erforderlich.
Das Berufungsgericht erklärte die Berufung gegen das Teilurteil und den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss mit der Begründung für zulässig, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob während des Insolvenzverfahrens entstandene Masseforderungen, die wegen erst später eintretender Fälligkeit gegenüber der Beklagten nicht mehr geltend gemacht werden könnten, bei neuerlichem Eintritt eines Tatbestands nach § 1 Abs 1 IESG zu einem späteren Zeitpunkt gesichert seien.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revision der Beklagten und der Rekurs des Klägers.
Beide Rechtsmittel sind aus den vom Berufungsgericht ausgeführten Gründen zulässig. Sie sind jedoch jeweils nicht berechtigt.
1. Zur Revision:
Insolvenz-Entgelt gebührt nach § 3a Abs 1 IESG für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag gemäß § 3 Abs 1 IESG oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dem arbeitsrechtlichen Ende fällig geworden ist.
Nach § 3a Abs 2 Z 5 IESG gebührt Insolvenz-Entgelt bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses als Ausfallshaftung, wenn nach der Berichtstagsatzung oder – findet keine solche statt – nach Ablauf des Zeitraums nach § 3a Abs 5 oder 6 bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens der Arbeitnehmer infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts (ausgenommen Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche) wegen der ungebührlichen Schmälerung oder Vorenthaltung des gebührenden Entgelts seinen berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt oder das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen gelöst wird.
Nach § 3a Abs 4 IESG besteht Anspruch aufgrund der Ausfallshaftung nur dann und insoweit, als der zuständige Verwalter entweder schriftlich erklärt, dass die Insolvenzmasse bzw der Arbeitgeber zur Zahlung nicht oder nicht vollständig in der Lage ist, oder wenn er dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit nach § 124a IO angezeigt hat.
Die Einschränkung des Anspruchs auf eine Ausfallshaftung soll sicherstellen, dass Arbeitsverhältnisse nach der Berichtstagsatzung entweder – wenn nach § 25 IO möglich – aufgelöst werden, oder aber bei fortdauernden Arbeitsverhältnissen die Arbeitnehmer tatsächlich beim ersten Entgeltrückstand umgehend den Austritt erklären, um keine weitere Belastung des Fonds mit laufenden Entgelten zu verursachen. Die Austrittsobliegenheit verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten nicht mehr zu Lasten des Insolvenz-Entgeltfonds gehen soll (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3a IESG Rz 7).
Die Beklagte argumentiert in ihrer Revision zusammengefasst, dass während eines laufenden Insolvenzverfahrens entstandene Dienstnehmeransprüche nicht aufgrund von zwei verschiedenen Insolvenztatbeständen gesichert sein dürften.
Bis zur Änderung des § 3a Abs 2 Z 5 IESG durch die IESG‑Novelle 2010 habe sich der Sicherungszeitraum nach dieser Bestimmung sogar bis zum Ende des Erfüllungszeitraums eines Zwangsausgleichs erstreckt.
Folge man der Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Geltendmachung der Klagsforderung hier im ersten Insolvenzverfahren der Arbeitgeberin überhaupt noch nicht möglich gewesen wäre, dann sei von einer Gesetzeslücke auszugehen. Diese sei durch teleologische Reduktion des § 3a Abs 2 Z 5 IESG dahingehend zu schließen, dass das normierte Erfordernis der Ausfallshaftung zu entfallen habe. Es erscheine sachlich nicht gerechtfertigt, dass zwar die erste offene Gehaltszahlung bis zur nächsten Fälligkeit gesichert werde, ein noch nicht fälliges unbezahltes Gehalt aber nicht. Es sei dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen, dass er solche Entgeltausfälle, die im Vergleich zum ausdrücklich geregelten Fall geringer wären, nicht sichern habe wollen.
Dieser Auslegung steht jedoch entgegen, dass der Gesetzgeber die Regelung der Ausfallshaftung nach § 3a Abs 2 Z 5 und Abs 4 IESG ausdrücklich nicht nur an die Tatsache der Zahlungsunfähigkeit der Masse, sondern zusätzlich an ihre formelle Deklaration durch den zuständigen Verwalter gegenüber der Beklagten oder dem Insolvenzgericht geknüpft hat.
Die Revision führt für ihren Standpunkt auch ins Treffen, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses nach § 3a Abs 2 Z 5 IESG nicht zwingend in der Insolvenz liegen müsse. Diese Auffassung lässt sich mit dem Gesetzeswortlaut „(…) wenn nach der Berichtstagsatzung (...) bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens (…) das Arbeitsverhältnis (…) gelöst wird“ nur vereinbaren, soweit damit das rechtliche Ende nach Ablauf einer Kündigungsfrist gemeint ist. Die Auflösungserklärung oder -vereinbarung muss nach dem Wortlaut aber jedenfalls während des Insolvenzverfahrens gelegen sein, um ihm noch zugerechnet werden zu können.
Mit dieser Form der Regelung hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass weiterlaufende Entgeltansprüche nicht mehr gesichert sind, wenn ein Arbeitsverhältnis erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und dem Wiedererlangen der freien Verfügung des Schuldners über sein restliches Vermögen aufgelöst wird, auch wenn sie teilweise noch als unbeglichene Masseforderungen in die Zeit der Insolvenz zurückreichen, aber noch nicht fällig waren. Für die These der Revision, dass es sich hiebei um eine unbeabsichtigte Regelungslücke handeln würde, lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte finden.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde erst nach Aufhebung des Sanierungsverfahrens einvernehmlich beendet. Das Berufungsgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass seine offenen Entgeltansprüche nicht mehr durch die Ausfallshaftung gesichert waren und daher auch nicht der Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG unterlagen. Insolvenz-Entgelt für diese Ansprüche konnte erst aufgrund der neuerlich eingetretenen Insolvenz der Arbeitgeberin geltend gemacht werden.
Der Revision war daher keine Folge zu geben.
2. Zum Rekurs:
Der Kläger stellt in seinem Rechtsmittel nicht in Frage, dass es sich bei dem bis zur Berichtstagsatzung im Sanierungsverfahren entstandenen aliquoten Sonderzahlungsanspruch um einen aufgrund dieses Insolvenzverfahrens gesicherten Anspruch gehandelt hat und dass er dafür die Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG versäumt hat. Der Revisionswerber vertritt aber den Standpunkt, dass diese Umstände einer neuerlichen Geltendmachung des Anspruchs aus Anlass des neuerlichen Insolvenztatbestands in seinem Fall nicht entgegenstünden. Er begründet dies mit der Überlegung, dass die bisher zu dieser Rechtsfrage ergangene höchstgerichtliche Judikatur (8 ObS 328/98p, 8 ObS 111/02k) immer Fälle betroffen habe, in denen eine neuerliche Antragstellung missbräuchlich erschienen sei oder gesetzliche Befristungen umgehen habe wollen. Diese Rechtsprechung sei aber in seinem Fall nicht einschlägig, weil der Kläger seinen Sonderzahlungsanspruch nach dessen Fälligkeit aufgrund der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich beim Arbeitgeber geltend gemacht habe. Eine Missbrauchs- oder Umgehungsabsicht könne ihm nicht angelastet werden.
Dem ist entgegenzuhalten, dass gemäß § 6 Abs 1 IESG alle gesicherten Ansprüche im Sinne des § 1 Abs 2 IESG, die innerhalb der Fristen des § 3a Abs 2 und 3b IESG entstanden sind, bei sonstigem Ausschluss innerhalb der 6‑Monats‑Frist ab dem Ereignis nach § 1 Abs 1 IESG geltend zu machen sind. Die Rechtsfolge des Ausschlusses ist notwendig, um die Wirksamkeit der Frist zu gewährleisten, weil sie andernfalls durch wiederholte Insolvenzeröffnungsanträge einfach umgangen werden könnte (9 ObS 15/93 = WBl 1993, 327 = RdW 1993, 375; 8 ObS 328/98p; 8 ObS 111/02k).
Nach der Rechtsprechung normiert § 6 Abs 1 IESG eine materiell‑rechtliche Ausschlussfrist (RIS‑Justiz RS0077526). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es für den Eintritt der Rechtsfolgen des Fristversäumnisses nicht auf die Motive an, die zur Fristversäumnis geführt haben.
Auf berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht der Fristversäumnis im Sinne des § 6 Abs 1 letzter Absatz IESG hat sich der Kläger in erster Instanz nicht berufen.
Unabhängig von der Unzulässigkeit der Geltendmachung neuer Rechtsgründe im Revisionsverfahren lägen aber weder die in § 6 Abs 1 IESG beispielsweise genannten Umstände vor, noch könnte im vorliegenden Fall die Komplexität der Rechtslage als ein der rechtzeitigen Antragstellung entgegenstehendes erhebliches Hindernis angesehen werden. Der Kläger war schon ab Beginn des Sanierungsverfahrens qualifiziert im Sinne des § 40 Abs 1 Z 2 ASGG vertreten. Es hätte genügt, die Möglichkeit eines gesicherten Anspruchs in Betracht zu ziehen, um einen Antrag zu stellen. Eine umfassende rechtliche Analyse wäre dazu von Seiten des Antragstellers nicht erforderlich gewesen.
Die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht ist daher nicht korrekturbedürftig. Hat das Berufungsgericht ausgehend von einer zutreffenden Rechtsansicht das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtet, hat der Oberste Gerichtshof dies nicht weiter zu überprüfen (RS0043414 [T12]).
Auch dem Rechtsmittel des Klägers war daher keine Folge zu geben.
Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG – insbesondere wirtschaftliche Gründe – hat der Kläger nicht geltend gemacht (vgl RS0085829).
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