European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00044.19I.0923.000
Spruch:
Das Verfahren 9 Ob 44/19i wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landesgericht Klagenfurt am 17. April 2019 zu AZ 21 Cg 74/18v gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Der Kläger macht im Zusammenhang mit behaupteten „*****-Abgasmanipulationen“ der in Deutschland ansässigen Beklagten gegen diese Ansprüche auf Leistung und Feststellung geltend. Er wirft der Beklagten vor, Abgaswerte des in seinem von einem Dritten gebraucht gekauften Pkw verbauten Dieselmotors mittels Software manipuliert zu haben, sodass das Fahrzeug im Normalbetrieb nicht den Mindeststandards entspreche. Hätte der Kläger davon gewusst, hätte er den Pkw um einen 30 % geringeren Kaufpreis erworben, was auch dem objektiven Minderwert entspreche. Darüber hinaus seien Schäden im Bereich des Abgasrückführsystems nicht ausgeschlossen. Der Kläger stützt seine beiden Begehren auf Schadenersatz wegen Sittenwidrigkeit, List und Schutzgesetzverletzung. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO. Das schädigende Ereignis sei durch den Kauf und die Übergabe des Pkw in Korneuburg eingetreten, weshalb auch dort der Erfolgsort liege, an dem sich die Schädigung zuerst auswirke.
Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts. Nach dem Klagsvorbringen handle es sich nicht um einen Erstschaden, der in Österreich eingetreten sei, sondern um einen Folgeschaden, der aber keinen Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO begründe.
Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der vom Kläger geltend gemachte deliktische Schadenersatz begründe nach Art 7 Nr 2 EuGVVO keine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Der Handlungsort sei in Deutschland und der Erfolgsort jener Ort, an dem der Primärschaden eingetreten sei. Das sei grundsätzlich jener Ort, an dem die Ware erstmals vom Hersteller in Umlauf gebracht werde. Jeder weitere Erwerb stelle lediglich einen Folgeschaden dar. Den Primärschaden habe der Erstkäufer getragen, wobei der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass der Verkauf und die Übergabe des Pkw an den Erstkäufer in Österreich stattgefunden habe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und verwarf die Einreden der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit. Der Erfolgsort im Sinne des Art 7 Nr 2 EuGVVO für Schadenersatzansprüche des Käufers gegen die Kfz-Herstellerin mit Sitz in Deutschland wegen Manipulationen von Abgaswerten sei jener Ort, an dem der Käufer das Kfz vom Händler erworben und übergeben erhalten habe. Der in der Vermögensminderung liegende bloße Vermögensschaden des Käufers stelle nämlich keinen Folge-, sondern einen zuständigkeitsbegründenden Primärschaden dar. Der Gerichtsstand sei für die Herstellerin, die über Vertragshändler in Österreich verkaufe, auch vorhersehbar. Im Hinblick auf den Ort des Vertragsabschlusses und der Übergabe des Kfz sei der österreichische Deliktsgerichtsstand auch sach- und beweisnah. Auch im Fall eines Gebrauchtwagens sei davon auszugehen, dass sich die behauptete Schädigungshandlung (die Manipulation der Abgaswerte samt Irreführung über diesen Umstand) erstmals in Österreich ausgewirkt habe. Vor dem Abschluss des Kaufvertrags und mangels Übergabe des Kfz in Deutschland könne dem Käufer kein Schaden entstehen. Erst mit dem Ankauf und der Übergabe in Österreich trete, unabhängig davon, ob das Fahrzeug neuwertig oder bereits gebraucht sei, die Vermögensminderung beim Käufer ein. Der im Fahrzeug schlummernde Schaden sei bei Händler und Ersterwerber nur Durchlaufposten und verwirkliche sich erst beim Letztbesitzer. Für die Herstellerin sei es durchaus vorhersehbar, dass die über österreichische Händler vertriebenen Fahrzeuge gebraucht weiterveräußert würden.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Deliktsgerichtsstand für Klagen von Pkw-Käufern gegen die deutsche Herstellerin wegen des Kaufs manipulierter Fahrzeuge bestehe.
In ihrem Revisionsrekurs macht die Beklagte zusammengefasst geltend, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände der Erfolgsort in Deutschland liege.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig.
Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Landesgerichts Klagenfurt zu AZ 21 Cg 74/18v zu entscheiden sein:
Dem Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt liegt ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, die gegenseitigen Vorbringen decken sich im Wesentlichen.
Das Landesgericht Klagenfurt hat den Europäischen Gerichtshof am 17. 4. 2019 um Klärung der Frage ersucht, ob als Ort, an dem das schädigende Ereignis unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eingetreten ist, auch dann jener Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.
Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch dieselben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt.
Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (4 Ob 119/19g zur „*****-Abgasmanipulation“; RS0110583).
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