OGH 1Ob94/19h

OGH1Ob94/19h29.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin A*, vertreten durch die Neulinger Mitrofanova Ceovic Rechtsanwälte OG, Wien, gegen den Antragsgegner V*, vertreten durch Mag. Diether Pfannhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. April 2019, GZ 45 R 547/18a‑60, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 31. Oktober 2018, GZ 35 Fam 14/16v‑47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E126161

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die zwischen den Parteien in Bosnien und Herzegowina am 14. 8. 1999 geschlossene Ehe wurde mit Urteil des Gemeindegerichts S* vom 2. 11. 2010 rechtskräftig geschieden. Beide Parteien sind Staatsbürger der Föderation Bosnien und Herzegowina.

Die Antragstellerin beantragte die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse in der Form, dass dem Antragsgegner die während aufrechter Ehe von ihm erworbene – in Österreich gelegene – Ehewohnung samt Hausrat sowie der während der Ehe angeschaffte PKW verbleiben und er zu einer Ausgleichszahlung von insgesamt 104.000 EUR (100.000 EUR „für die Wohnung“ und 4.000 EUR „für den PKW“) an die Antragstellerin verpflichtet werden soll.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner zu einer Ausgleichszahlung von 5.443 EUR „für die Ehewohnung“ und von 4.000 EUR „für den PKW“ sowie die Antragstellerin zu einer Ausgleichszahlung von 2.250 EUR „für eine auf sie lautende Lebensversicherung“. Es ging davon aus, dass die nacheheliche Aufteilung aufgrund des gemeinsamen Personalstatuts der Parteien dem Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina unterliege. Gemäß Art 251 des Familiengesetzes der Föderation von Bosnien und Herzegowina vom 6. 6. 2005 (kurz „FGBH“; abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) werde unter ehelicher Errungenschaft dasjenige Vermögen verstanden, das die Ehegatten während der Dauer der Ehegemeinschaft durch Arbeit erworben haben, sowie die Einkünfte aus diesem Vermögen. Gemäß Art 252 FGBH seien die Ehegatten zu gleichen Anteilen Miteigentümer der ehelichen Errungenschaft, sofern nichts anderes vereinbart worden sei. Auf Basis dieser allgemeinen Grundsätze zur Aufteilung des ehelichen Vermögens nach dem Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina ging das Erstgericht – nach Abzug eines offenen Kredits (unter Berücksichtigung des Werts eines diesem zugrundeliegenden Tilgungsträgers) und einer für den Erwerb der Wohnung gewährten (unter bestimmten Umständen zurückzuzahlenden) „Wohnbauförderung“ – von einem Wert der Ehewohnung in Höhe von 85.188 EUR aus, wobei es auf den „aktuellen“ (also auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bezogenen) Wert abstellte und die nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft ohne Zutun eines Ehegatten eingetretene Wertsteigerung aus Billigkeit „berücksichtigte“ (also dem aufzuteilenden Vermögen wertmäßig zurechnete). Von dem derart bemessenen („Netto‑“)Wert der Wohnung zog es die nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch den Antragsgegner alleine geleisteten Kreditzahlungen (Zinsen und Spesen) sowie die durch ihn erfolgte Dotierung des Tilgungsträgers (insgesamt 74.669 EUR) ab, sodass sich hinsichtlich der Ehewohnung ein aufzuteilender Wert von 10.886 EUR ergab. Davon stehe der Antragstellerin die Hälfte zu. Außerdem stehe ihr die Hälfte des vom Antragsgegner erzielten Verkaufspreises von 8.000 EUR für den PKW zu. Da der Antragsgegner während aufrechter Lebensgemeinschaft 5.500 EUR an Prämien für eine Lebensversicherung der Antragstellerin bezahlt habe, stehe ihm seinerseits die Hälfte dieses Betrags als Ausgleichszahlung zu.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging davon aus, dass das Erstgericht das anzuwendende Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina ausreichend ermittelt und seinen rechtlichen Erwägungen zugrunde gelegt habe. Die Rekurswerberin habe nicht aufgezeigt, welche Rechtsquellen – insbesondere welche Rechtsprechung und welches Schrifttum (jeweils zum Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina) – ihrer Rechtsansicht zugrunde liege, weshalb es keinen Verfahrensmangel begründe, dass das Erstgericht keine weitergehenden Erhebungen dazu angestellt habe. Dass das Erstgericht gemäß Art 257 FGBH einen Verkauf der Wohnung anordnen hätte müssen, sei nicht nachvollziehbar, weil keine Gründe geltend gemacht worden seien, die – wie dies die genannte Bestimmung voraussetze –eine (wertmäßige) Aufteilung unmöglich machen. Außerdem habe die Antragstellerin einen solchen Verkauf in erster Instanz nicht beantragt. Warum die „Wohnbauförderung“ – unabhängig von einer Absicht des Antragsgegners, die Wohnung zu verkaufen – nicht wertmindernd zu berücksichtigen sei, sei nicht ersichtlich. Vom Antragsgegner geleistete Prämienzahlungen auf die Lebensversicherung der Antragstellerin unterlägen als eheliches Vermögen der Aufteilung. Ob der für die Anschaffung der Ehewohnung aufgenommene (Fremdwährungs-)Kredit bei der Bemessung des aufzuteilenden Vermögens zu berücksichtigen sei, könne den vom Erstgericht herangezogenen Rechtsquellen zum Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina zwar nicht ausdrücklich entnommen werden, die Rekurswerberin habe dazu aber keine weiteren Rechtsgrundlagen dargelegt.

Da die Antragstellerin nicht bloß allgemein und ohne nähere Konkretisierung „die Aufteilung“ beantragt habe, sondern vielmehr die Zahlung einer sich aus der begehrten „Zuweisung“ konkret bezeichneter Vermögensgegenstände (Ehewohnung samt Hausrat und der PKW) an den Antragsgegner ergebenden Ausgleichszahlung in bestimmter Höhe, sei das Erstgericht nicht verpflichtet gewesen, darüber hinaus weitere – von keiner Partei erwähnte –Vermögenswerte in Bosnien und Herzegowina bei der Aufteilung zu berücksichtigen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig und mit seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens (der Revisionsrekurs spricht teilweise von Nichtigkeitsgründen) sowie die behauptete Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

2.1. Gemäß dem in der Rechtsprechung zur Anknüpfung des Rechts der nachehelichen Vermögensaufteilung herangezogenen § 20 IPRG (1 Ob 17/05i; vgl auch Nademleinski, Internationales Scheidungsrecht [2014] Rz 92 mwN; die Verordnung [EU] 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands ist nach ihrem Art 69 Abs 1 hier noch nicht anzuwenden) ist auf den vorliegenden Fall – aufgrund des gemeinsamen Personalstatuts der geschiedenen Ehegatten – das Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina anzuwenden. Dies wird von den Parteien nicht in Frage gestellt.

2.2. Ist fremdes Recht maßgebend, ist es gemäß § 3 IPRG von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Die entsprechenden (Rechts-)Kenntnisse muss sich der österreichische Richter selbst verschaffen (vgl RIS‑Justiz RS0045163; RS0040189); wie er dies macht, liegt in seinem Ermessen (RS0045163 [T11]). Zulässige – bereits in § 4 Abs 1 IPRG genannte – Hilfsmittel sind unter anderem die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten (1 Ob 33/19p). Daneben stehen dem Gericht aber auch alle sonstigen Erhebungsquellen offen, etwa Informationen in‑ und ausländischer Vertretungsbehörden, durch die Parteien, Zeugen oder auch aus dem Internet (3 Ob 45/18s). Ungeachtet der in § 4 Abs 1 IPRG vorgesehenen Mitwirkungspflichten treffen die Parteien keine Behauptungs‑ und Beweis‑ oder Bescheinigungspflichten zum fremden Recht (3 Ob 104/17s mwN). Ob die vorliegenden Erhebungsergebnisse ausreichen und die Anwendung ausländischen Sachrechts (schon) ermöglichen, ist vom Obersten Gerichtshof im Rahmen der rechtlichen Beurteilung selbständig und unabhängig von den Rechtsansichten der Vorinstanzen bzw der Parteien– gegebenenfalls sogar gegen deren Willen – zu prüfen (3 Ob 45/18s).

2.3. In der Rechtsrüge einer außerordentlichen Revision (hier: eines außerordentlichen Revisionsrekurses) muss zumindest ansatzweise dargelegt werden, warum nach der anzuwendenden Rechtsordnung ein günstigeres als das von der zweiten Instanz erzielte Ergebnis zu erwarten ist (RS0040189 [T5]). Der Revisionsrekurs entspricht diesen Anforderungen insoweit, als behauptet wird, dass eine Anwendung von Billigkeitsgrundsätzen bei der (nach‑)ehelichen Vermögensaufteilung nach dem Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina (anders als nach österreichischem Recht) nicht vorgesehen sei und dass nach Art 257 FGBH primär ein Verkauf der in Österreich gelegenen (physisch unteilbaren) Ehewohnung „angeordnet“ werden hätte müssen (was impliziert, dass diese nicht einer Partei gegen Leistung einer Ausgleichszahlung „zuzuweisen“ ist, was die Antragstellerin jedoch in erster Instanz beantragte); bei richtiger Anwendung des FGBH hätte auch kein Abzug der „Wohnbauförderung“ und des zur Finanzierung der Ehewohnung aufgenommenen (endfälligen, also über einen Tilgungsträger „besparten“) Fremdwährungskredits von deren Wert erfolgen dürfen, was sich nach Ansicht der Revisionsrekurswerberin daraus ergebe, dass nach Art 262 FGBH ohnehin eine gesamtschuldnerische Haftung der geschiedenen Ehegatten für bestimmte Verbindlichkeiten (auch für die für die Ehewohnung aufgenommenen Schulden) bestehen bleibe.

2.4. Die Vorinstanzen gingen zwar zutreffend von der Anwendbarkeit des FGBH aus, nach dessen Art 255 Abs 2 das Gericht auf Antrag eines Ehegatten – sowohl während als auch nach der Ehe – die Auseinandersetzung der ehelichen Errungenschaft vornimmt, sofern die Ehegatten noch keine (in Abs 1 leg cit primär vorgesehene) vertragliche Auseinandersetzung vorgenommen haben. Dem von den Vorinstanzen alleine erhobenen Wortlaut des FGBH kann aber nicht verlässlich entnommen werden, nach welchen allgemeinen Grundsätzen die Auseinandersetzung zu erfolgen hat. Insbesondere ist keine § 94 EheG entsprechende Bestimmung ersichtlich, wonach einem Teil eine nach Billigkeitsgesichtspunkten zu bemessende Ausgleichszahlung (entgegen der Ansicht des Rekursgerichts stellte das Erstgericht solche Billigkeitserwägungen an) aufzuerlegen ist, wenn die reale Aufteilung des Ehevermögens sonst (zu dessen Vorteil) zu einem wertmäßigen Ungleichgewicht führen würde. Die Vorinstanzen haben sich mit dem anzuwendenden Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina bereits unter diesem Aspekt nicht in einer den §§ 3, 4 Abs 1 IPRG entsprechenden Weise auseinandergesetzt und die maßgeblichen Grundlagen der nach diesem Recht zu treffenden Aufteilungsentscheidung nicht ausreichend ermittelt. Dies begründet einen Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt (1 Ob 160/12d mwN; RS0116580; vgl auch 7 Ob 9/17z zu einem Fall, in dem – wie hier – dem bloßen Gesetzestext keine zuverlässigen Hinweise auf die praktische Rechtsanwendung entnommen werden konnten).

2.5. Neben der primären Frage, nach welchen „allgemeinen Grundsätzen“ die Auseinandersetzung der ehelichen Errungenschaft zu erfolgen hat (wobei auch zu beurteilen sein wird, welche Bedeutung dem von der Revisionsrekurswerberin ins Treffen geführten Art 257 FGBH zukommt), muss im fortgesetzten Verfahren auch geklärt werden, ob nach dem anzuwendenden Recht der Föderation von Bosnien und Herzegowina – wie die Rechtsmittelwerberin behauptet – der Vorteil (hier des Mannes), die Ehewohnung nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft weiter benutzen zu können, in die Aufteilungsentscheidung einzubeziehen ist, sowie ob und inwieweit mit den aufzuteilenden Vermögensgegenständen zusammenhängende Schulden (hier vor allem der Fremdwährungskredit und die – unter bestimmten Umständen zurückzuzahlende – „Wohnbauförderung“) zu berücksichtigen sind. Sämtliche nach diesem Recht zu beantwortenden Rechtsfragen sind dabei – soweit dies mit zumutbarem Verfahrensaufwand möglich ist – nach der einschlägigen Anwendungspraxis (RS0113594) zu beurteilen, wobei sich im fortgesetzten Verfahren zur erforderlichen Erhebung des anzuwendenden Rechts (neben der Einholung eines Rechtsgutachtens) vor allem die Vorlage übersetzter Gerichtsentscheidungen sowie von (Kommentar‑)Literatur (welche in erster Instanz – wenngleich unübersetzt – bereits zu einzelnen [im Revisionsrekurs jedoch nicht thematisierten] Rechtsfragen vorgelegt wurde) durch die Parteien anbietet.

3. Soweit die Revisionsrekurswerberin kritisiert, dass (in Bosnien gelegenes) eheliches(Liegenschafts-)Vermögen bei der Aufteilungsentscheidung unberücksichtigt geblieben sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass auch im Außerstreitverfahren subjektive Behauptungsregeln bestehen, wenn über vermögensrechtliche Ansprüche in Verfahren, in denen sich – wie im nachehelichen Aufteilungsverfahren – zwei oder mehr Parteien in verschiedenen Rollen gegenüber stehen, zu entscheiden ist (vgl zum Aufteilungsverfahren etwa 1 Ob 88/05f). Dass die Vorinstanzen von der Antragstellerin (und vom Antragsgegner) in erster Instanz bisher nicht einmal ansatzweise erwähntes Vermögen nicht berücksichtigten, ist daher nicht zu kritisieren. Der in dem im ersten Rechtsgang erhobenen Rekurs der Antragstellerin enthaltene Hinweis auf ein solches Vermögen vermag erstinstanzliches Vorbringen nicht zu ersetzen.

4. Über die Verfahrenskosten ist nach § 78 Abs 1 AußStrG erst in einem die Sache erledigenden Beschluss zu entscheiden.

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