OGH 10Ob42/19b

OGH10Ob42/19b30.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S*, geboren * 1997, *, gegen den Antragsgegner B*, vertreten durch Ing. Dr. Karl Ossana, Rechtsanwalt in Langenzersdorf, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 14. März 2019, GZ 20 R 56/19d‑33, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 1. Februar 2019, GZ 1 Fam 48/18p‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E126068

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die 1997 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners. Sie lebt im Haushalt ihrer Mutter und ihres Stiefvaters und schloss 2016 die Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik mit Matura ab.

Der Antragsgegner übt den Beruf eines Verkehrspiloten aus. Sein monatliches Durchschnittseinkommen betrug 6.041 EUR (2016), 5.406 EUR (Juli bis Dezember 2017) und 5.420 EUR (Jänner bis Juni 2018). Er ist für zwei weitere, 2003 und 2011 geborene Kinder unterhaltspflichtig.

Der Antragsgegner leistete der Antragstellerin von 1. 7. 2015 bis 31. 8. 2016 sowie ab 1. 9. 2017 bis einschließlich Dezember 2018 einen monatlichen Unterhalt von 600 EUR, seit Jänner 2019 zahlt er monatlich 455 EUR.

Mit dem am 5. 6. 2018 gestellten Antrag begehrt die Antragstellerin die Erhöhung der zuletzt mit 430 EUR titulierten Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners (rückwirkend) ab 1. 7. 2015.

Sie bringt vor, nicht selbsterhaltungsfähig zu sein. Sie übe neben dem von ihr seit November 2017 besuchten Universitätslehrgang „Immobilienwirtschaft und Liegenschaftsmanagement“ an der Technischen Universität Wien eine Teilzeitbeschäftigung aus, eine Vollzeitbeschäftigung sei ihr nicht zumutbar. Sie investiere viel Zeit in diese Ausbildung, weil sie einen guten Notendurchschnitt erreichen müsse, um anschließend einen Studienplatz für das Masterstudium zu erlangen.

Der Antragsgegner beantragte die gänzliche Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung mit dem Vorbringen, die Antragstellerin sei selbsterhaltungsfähig. Der Lehrgang an der Technischen Universität Wien (der kein Studium sei) werde berufsbegleitend besucht. Es sei kein Grund ersichtlich, warum seine Tochter nicht in der Lage sein sollte, neben dieser Ausbildung einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen.

Die Vorinstanzen gaben dem Begehren auf Unterhaltserhöhung übereinstimmend statt (für den Zeitraum vom 1. 7. 2015 bis 31. 12. 2015 um monatlich 380 EUR auf insgesamt 810 EUR; für den Zeitraum vom 1. 1. 2016 bis 31. 8. 2016 um monatlich 545 EUR auf insgesamt 945 EUR; für den Zeitraum vom 1. 9. 2017 bis 31. 12. 2017 um monatlich 70 EUR auf insgesamt 500 EUR; ab 1. 1. 2018 um monatlich 25 EUR auf insgesamt 455 EUR) und verpflichteten den Antragsgegner zum Ersatz rückständigen Unterhalts in Höhe von 2.120 EUR. Für den Zeitraum vom 1. 9. 2016 bis 31. 8. 2017 wurde der Antragsgegner von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben. Der darüber hinausgehende Enthebungsantrag des Antragsgegners wurde abgewiesen, der weiters gestellte Antrag auf Rückzahlung von Unterhalt wurde zurückgewiesen.

Die Vorinstanzen legten ihren Entscheidungen folgende Feststellungen bzw folgendes unbestritten gebliebenes Vorbringen zugrunde:

Im Juni 2016 hatte die Antragstellerin erfolglos versucht, einen Studienplatz an der Fachhochschule der Wirtschaftskammer Wien für das Fach Immobilienwirtschaft zu erlangen. Danach war sie von September 2016 bis inklusive August 2017 voll erwerbstätig. In diesem Zeitraum erbrachte der Antragsgegner keine Unterhaltszahlungen. Nachdem sich die Antragstellerin 2017 zum zweiten Mal erfolglos für einen Studienplatz im Fach Immobilienwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaftskammer Wien beworben hatte, begann sie ein Studium an der Fachhochschule Wiener Neustadt (FH‑Bachelorstudiengang Wirtschaftsberatung). Dieses Studium kam ihren Interessen für die Immobilienbranche jedoch nicht entgegen, sodass sie es bereits nach wenigen Wochen am 4. 10. 2017 wieder beendete. Sie entschied sich dann für den privaten Universitätslehrgang „Immobilienwirtschaft und Liegenschaftsmanagement“ an der Technischen Universität Wien. Dieser Lehrgang (der im Oktober 2017 begann) dauert vier Semester und wird berufsbegleitend angeboten; die Kosten betragen (insgesamt) 14.900 EUR. Seit Oktober 2017 geht die Antragsgegnerin neben dem Besuch dieses Lehrgangs einer 20stündigen Teilzeitbeschäftigung als Büroassistentin im Unternehmen ihres Stiefvaters nach. Gegenstand dieses Unternehmens ist die Vermietung und Verpachtung von Immobilien. Ihr monatliches Nettoeinkommen beträgt 551,72 EUR.

Bei dem privaten Universitätslehrgang „Immobilienwirtschaft und Liegenschaftsmanagement“ finden die Präsenzlehrveranstaltungen in etwa 14tägigem Rhythmus jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag am Nachmittag (16:30 bis 20:40 Uhr) statt, vereinzelt auch von Freitag am Nachmittag bis Samstag am Abend (9:00 bis 18:45 Uhr). Die Vor‑ bzw Nachbearbeitung nimmt durchschnittlich nochmals soviel Zeit in Anspruch. An den Lehrgängen nehmen fast ausschließlich Vollzeitbeschäftigte teil, Teilzeitbeschäftigte sind die Ausnahme. Die Beschäftigungsquote liegt im langjährigen Durchschnitt bei 78 %.

Die Antragstellerin hat im Zeitraum vom 1. 12. 2017 bis 17. 10. 2018 alle Prüfungen positiv abgeschlossen; ihr Notendurchschnitt beträgt 2,05. Sie möchte anschließend das zweijährige Masterstudium „Immobilienmanagment & Bewertung“ an der Technischen Universität Wien absolvieren und danach das Immobilienunternehmen ihres Stiefvaters „übernehmen“.

Rechtlich gingen die Vorinstanzen zusammengefasst davon aus, dass die Antragstellerin nicht (von einer Teilzeit-) auf eine Vollzeitbeschäftigung anzuspannen sei. Auch wenn es ihr im Haushalt des Stiefvaters und der Mutter an nichts fehle, rechtfertige dies nicht die Reduktion der Unterhaltsleistung des Unterhaltsschuldners.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage gebe, in welchem Ausmaß dem Unterhaltsberechtigten die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung während eines berufsbegleitenden Studiums zumutbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs, ist – entgegen dem Zulassungsausspruch – mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Alleiniges Thema des Revisionsrekurses ist der Standpunkt des Antragsgegners, der Antragstellerin sei es zumutbar, neben dem von ihr gewählten berufsbegleitenden Studium einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen.

1. Nicht in Frage gestellt wird im Revisionsrekurs, dass der Antragsgegner der Antragstellerin nicht nur ihre Ausbildung in der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik zu gewähren hat, sondern auch zu einer höherwertigen weiteren Berufsausbildung beizutragen hat, weiters, dass die Antragstellerin die für den von ihr gewählten Universitätslehrgang erforderlichen Fähigkeiten besitzt und diesen Lehrgang ernsthaft und zielstrebig betreibt. Unbestritten blieb auch, dass dem Antragsgegner nach seinen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen eine Beteiligung an den Kosten dieser weiteren Ausbildung möglich und zumutbar ist.

2.1 Unter diesen Voraussetzungen billigt die Rechtsprechung dem Unterhaltsberechtigten die Absolvierung eines Studiums zu, ohne ihn auf die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Studiums zu verweisen (8 Ob 43/11y). In der Entscheidung 8 Ob 31/10g folgte der Oberste Gerichtshof dem Einwand eines Vaters, sein unterhaltsberechtigter Sohn müsse neben seinem (Doppel‑)Studium einer Berufstätigkeit nachgehen, nicht.

2.2 Die Beurteilung, ob und inwieweit es einem Unterhaltsberechtigten zumutbar ist, eine eigene Erwerbstätigkeit neben einem Studium zur Entlastung des Unterhaltspflichtigen nachzugehen, hat aber immer im Rahmen einer Interessensabwägung an Hand der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls zu erfolgen (8 Ob 43/11y).

3. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Antragstellerin sei nicht dazu verpflichtet, neben dem berufsbegleitenden Studium (statt einer Teilzeitbeschäftigung) einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, überschreitet nicht den den Gerichten eingeräumten Ermessensspielraum:

4.1 Die Antragstellerin war vor Aufnahme des Studiums nicht bereits mehrere Jahre hindurch berufstätig, sondern steht am Beginn ihres Ausbildungs- und Berufsverlaufs. Sie war nach Erlangen der Studienberechtigung ein Jahr vollbeschäftigt, ihre weitere Ausbildung (der Universitätslehrgang) hat noch innerhalb der von der Rechtsprechung angenommenen „Überlegungsfrist“ von etwa einem Jahr begonnen (RS0047679 [T4, T5]). Während ihrer Vollzeitbeschäftigung war ihr Vater nicht zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet.

4.2 Sie geht zwar keinem (Vollzeit‑)Studium nach, sondern absolviert einen berufsbegleitend angebotenen Universitätslehrgang und übt daneben eine Teilzeitbeschäftigung aus, durch die sie den Vater weiterhin– wenngleich nur mehr teilweise – entlastet. Dass die Antragstellerin das Ausmaß ihrer Berufstätigkeit reduziert hat, ist nach ihrer Darstellung darin begründet, dass sie sich intensiv ihrer Ausbildung widmen und einen guten Notendurchschnitt erreichen will, um einen Studienplatz für das anschließende Masterstudium zu erhalten. Bei einem Vergleich mit einer „intakten Familie“, an der sich einzelfallbezogene Entscheidungen in Unterhaltssachen grundsätzlich zu orientieren haben (RS0107182), ist anzunehmen, dass ein maßstabsgerechter Vater unter den gegebenen Voraussetzungen von seiner Tochter nicht verlangt, neben dem Lehrgang noch eine Vollzeitbeschäftigung und nicht bloß eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben.

4.3 Der Umstand, dass ein Großteil der Teilnehmer des Universitätslehrgangs einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, wird in vielen Fällen auf die beträchtlichen Kosten dieses Lehrgangs zurückzuführen sein, die von Studenten, die keiner Berufstätigkeit nachgehen, aus eigenem nur schwer aufzubringen sind. Nach dem (unbestritten gebliebenen) Vorbringen der Antragstellerin zahlt sie die Lehrgangskosten nicht selbst, sondern diese Kosten werden zur Gänze von ihrem Stiefvater getragen.

5.1 Unter Bedachtnahme auf diese Situation wird weder mit dem Revisionsrekursvorbringen, die Antragstellerin sei nicht schutzwürdig, weil sie es nicht notwendig habe, sich um ausreichendes Einkommen selbst zu bemühen, noch mit dem weiteren Vorbringen, sie dürfe nicht besser gestellt werden als sämtliche andere Vollzeitbeschäftigte, die sich an Universitäten, Fachhochschulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen fortbilden, eine über den Anlassfall hinaus erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.

5.2 Das von den Vorinstanzen erzielte Ergebnis, die Antragstellerin sei nicht deshalb als (fiktiv) selbsterhaltungsfähig anzusehen, weil ihr neben dem Besuch des berufsbegleitenden Universitätslehrgangs nicht nur eine Teilzeitbeschäftigung, sondern eine Vollzeitbeschäftigung zumutbar wäre, bedarf demnach keiner Korrektur im Einzelfall durch den Obersten Gerichtshof.

Dies führt zur Zurückweisung des Revisionsrekurses des Antragsgegners.

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