European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125779
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision der Nebeninterventienten auf Seiten der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 782,52 EUR (darin 130,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Die Kläger begehren von der Beklagten als Trägerin des Österreichischen Staatsarchivs nach Art XLII EGZPO Auskunft über die seitens des Österreichischen Staatsarchivs verwahrten Bestände des „Familienarchivs E*“, insbesondere durch Vorlage eines Inventarverzeichnisses, sowie über allfällige Veräußerungen oder Verluste seit der Hinterlegung in den Jahren 1945/1946. Sie stützen sich dafür auf die Rechtsnachfolge in einen zwischen * W* E* und der Beklagten abgeschlossenen Verwahrungsvertrag, eventualiter auch auf ihr Eigentum am Familienarchiv.
Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Es bestehe kein Vertragsband, das einen solchen Auskunftsanspruch rechtfertigen könnte. Die Kläger würden ihre Rechte von ihrer Großmutter A* E* ableiten, die aufgrund des Testaments vom 16. 7. 1952 Alleinerbin nach * W* E* gewesen sei. Hinsichtlich des E*´schen Familienarchivs sei in diesem Testament jedoch ein Legat für I* E* ausgesetzt worden, der nach Abschluss der Verlassenschaft nach * W* E* als Eigentümer des Familienarchivs anzusehen sei. Nur mit diesem bzw dessen Rechtsnachfolgern bestehe ein Verwahrungsvertrag. Zudem handle es sich bei den begehrten Auskünften um nicht gesondert einklagbare unselbständige Nebenpflichten.
Die auf Seiten der Beklagten dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten als gesetzliche Erben nach I* E* bestritten das Klagebegehren ebenfalls und beantragten Klagsabweisung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt, wobei es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt ausging:
* W* E*, geboren am * und verstorben am * 1959, war Eigentümer des E*‘schen Familienarchivs. Dieses E*‘sche Familienarchiv befindet sich seit 1946 im Österreichischen Staatsarchiv, dessen Rechtsträger die Beklagte ist.
Das Österreichische Staatsarchiv richtete am 21. 3. 1946 ein Schreiben an * W* E*, indem bescheinigt wurde, dass „… das Vermögen im Archiv E* derzeit im Österreichischen Staatsarchiv durch eine vom Kulturamt der Stadt Wien zur Verfügung gestellte wissenschaftliche Hilfskraft geordnet wird ...“.
Mit Testament vom 16. 7. 1952 setzte * W* E* seine Ehefrau A* E* zur Alleinerbin seines Vermögens ein, in dem unter anderem festgehalten war:
„… Unbeschadet der obigen Bestimmungen spreche ich nachstehenden Wunsch aus: Es ist mir gelungen, Reste des E*´schen Familienarchivs aus H* sowie Reste der dortigen Schlossbibliothek und einige E*´schen Ahnenbilder zu retten. Meine Gattin A* E* kennt diese Stücke genau. Ich spreche nun den Wunsch aus, dass meine Gattin jene Stücke laut vorigem Absatz, welche zur Zeit meines Ablebens noch für mich verfügbar sein werden, meinem Neffen E* E* oder dessen gesetzlichen Erben binnen längstens einem Jahr nach meinem Ableben übergebe ...“.
Zwischen I* E* und dem Österreichischen Staatsarchiv wurde im Jahr 1965 ein Depotvertrag betreffend das E*´sche Familienarchiv abgeschlossen, der lautete: „* I* E* als Eigentümer übergibt die in der Beilage … verzeichneten Archivalien in die Obsorge des Haus-, Hof- und Staatsarchivs …“
Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob und gegebenenfalls in welcher Form die Eigentümerstellung von I* E* seitens des Österreichischen Staatsarchivs überprüft wurde,
ob A* E* (Ehegattin) dem Wunsch von * W* E* nachgekommen war, das Familienarchiv an I* E* zu übergeben,
ob ihr bekannt war, dass I* E* ua am 7. 1. 1966 das Österreichische Staatsarchiv besuchte,
ob ihr oder M* N* (Alleinerbin) bekannt war, dass zwischen I* E* und dem Österreichischen Staatsarchiv ein Depotvertrag abgeschlossen worden war.
A* E* verstarb am * 1982. Ihre Alleinerbin M* N* verstarb am * 2001. Deren Verlassenschaft wurde den beiden Klägern, die aufgrund des Gesetzes je zur Hälfte des Nachlasses unbedingte Erbantrittserklärungen abgegeben hatten, mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 27. 5. 2015 zu GZ * eingeantwortet.
Der in Österreich befindliche Nachlass des am * 2009 in Deutschland verstorbenen I* E* wurde aufgrund des Gesetzes den drei Nebenintervenienten, die unbedingte Erbantrittserklärungen abgegeben hatten, je zu einem Drittel eingeantwortet.
Das Österreichische Staatsarchiv verweigerte den Klägern die Einsichtnahme in das Familienarchiv E* und die Erteilung weiterer Auskünfte über den Inhalt dieses Archivs.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Auskunftspflicht der Beklagten aufgrund des mit * W* E* abgeschlossenen Verwahrungsvertrags.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Dass I* E* im Jahr 1965 einen Depotvertrag betreffend das E*´sche Familienarchiv mit dem Österreichischen Staatsarchiv abgeschlossen habe, bedeute lediglich, dass die Beklagte als Rechtsträgerin des Österreichischen Staatsarchivs hinsichtlich des E*´schen Familienarchivs einen weiteren Vertragspartner bzw weitere Vertragspartner habe. Auf die Eigentümereigenschaft in Bezug auf das E*´sche Familienarchiv komme es nicht an, diese sei im gegenständlichen Verfahren auch nicht zu klären.
Das Berufungsgericht ließ die Revision der Nebenintervenienten nachträglich (§ 508 Abs 3 ZPO) zur Frage zu, ob ein in einem Testament ausgesetztes Damnationslegat als schlüssige Zustimmung der Altpartei zur späteren Vertragsübernahme der Neupartei zu beurteilen sei.
Die Nebenintervenienten beantragen in ihrer Revision die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihre keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
1. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist der Oberste Gerichtshof an einen Ausspruch des Berufungsgerichts gemäß § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Nebenintervenienten sehen ihn darin, dass die Vorinstanzen ohne erstgerichtliche Feststellungen ein Vertragsband (Verwahrungsvertrag) zwischen * W* E* und der Beklagten angenommen hätten. Das ist insofern nicht zutreffend, als feststeht, dass sich das Familienarchiv seit 1946 im Österreichischen Staatsarchiv befindet und dass mit dem an * W* E* gerichteten Schreiben des Staatsarchivs vom 21. 3. 1946 bescheinigt wurde, dass sich das Vermögen im Archiv E* im Österreichischen Staatsarchiv zur Ordnung durch eine Hilfskraft befand. Die rechtliche Schlussfolgerung des Berufungsgerichts ist der Rechtsrüge zuzuordnen.
3. Auch die vermeintliche Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde, nicht aber schon dann, wenn das aufgrund der Beweisaufnahme gewonnene Sachverhaltsbild bloß vom Parteienvorbringen abweicht. Erwägungen der Tatsacheninstanzen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen in das Gebiet der Beweiswürdigung, können daher weder eine Aktenwidrigkeit bilden noch gegen den Dispositionsgrundsatz verstoßen (RS0043347).
Dass das Erstgericht auch angesichts der Beil ./XI und ./XIII Negativfeststellungen zur Überprüfung der Eigentümerstellung von I* E* durch das Österreichische Staatsarchiv und zur Erfüllung der letztwilligen Anordnung von * W* E* durch seine Ehefrau getroffen hat, begründet daher keine Aktenwidrigkeit, sondern betrifft Fragen der – vor dem Obersten Gerichtshof nicht bekämpfbaren – Beweiswürdigung.
4. In ihrer Rechtsrüge richten sich die Nebenintervenienten insofern gegen die Annahme eines Verwahrungsvertrags, als sie keine erstgerichtlichen Feststellungen dafür erkennen können, und dagegen, dass der vom Berufungsgericht „fälschlich suggerierte Verwahrungsvertrag des Jahres 1946 wirksam zustande gekommen wäre bzw weiterhin bestünde“. Sie vermissen auch Ausführungen zur allfälligen Vertragsübernahme eines etwaigen Verwahrungsvertrags aus dem Jahr 1946 infolge des Depotvertrags 1965.
4.1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (s RS0044358 [T31] ua). Auch die Beurteilung, ob zwischen den Prozessparteien eine Vertragsbeziehung anzunehmen ist oder nicht, betrifft keine erhebliche Rechtsfrage (RS0044358 [T32]).
4.2. Der Verwahrungsvertrag setzt die im beiderseitigen Einverständnis erfolgte Übergabe und Übernahme einer Sache in die Obsorge voraus (RS0020776 [T3]; RS0019368). Die Pflicht zur Obsorge muss aus der Vereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend zu entnehmen sein. Fehlt die Übernahme der Obsorge, so liegt kein Verwahrungsvertrag vor (RS0020776 [T4]). Der Verwahrungsvertrag kann entgeltlich oder unentgeltlich abgeschlossen werden (vgl RS0019368).
Aus den Feststellungen geht hinreichend klar hervor, dass das Familienarchiv mit dem Willen von * W* E* beim Österreichischen Staatsarchiv deponiert wurde und von letzterem geordnet werden sollte. Für einen Übereignungswillen von * W* E* an das Staatsarchiv gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wenn die Vorinstanzen deshalb auf den Abschluss eines Verwahrungsvertrags schlossen, ist dies nach der genannten Rechtsprechung nicht weiter zu beanstanden.
4.3. Dass mit dem (testamentarischen) Willen von * W* E* eine Übernahme des Verwahrungsvertrags durch I* E* stattgefunden hätte, geht aus dem Sachverhalt dagegen nicht hervor.
Die Vertragsübernahme ist ein eigenes Rechtsinstitut und bewirkt, dass durch einen einheitlichen Akt nicht nur die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird, sondern dass der Vertragsübernehmer an die Stelle einer aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei tritt und deren gesamte vertragliche Rechtsstellung übernimmt, ohne dass dadurch der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (RS0032623). Die Vertragsübernahme erfordert grundsätzlich die Übereinkunft aller Beteiligten, nämlich der verbleibenden, der ausscheidenden und der an ihre Stelle tretende Partei (RS0032607). Der im Schuldverhältnis verbleibende Geschäftspartner kann seine Zustimmung zur Vertragsübernahme auch im Voraus erklären (RS0108705). Ebenso ist es möglich, dass die Neupartei zunächst mit der Restpartei vereinbart, an die Stelle der Altpartei zu treten, von deren Mitwirkung es dann abhängt, ob es zu einer Vertragsübernahme kommt (Thöni in Klang3, § 1406 ABGB Rz 40 mwN).
Auch wenn man davon ausgeht, dass * W* E* in seinem Testament implizit die Zustimmung zur Übernahme und Fortsetzung des Verwahrungsvertrags durch I* E* erteilt hätte, ist für die Revisionswerber jedoch nichts gewonnen. * W* E*‘s testamentarisch geäußerter Wunsch – aus dem hier auf seine Zustimmung zur Vertragsübernahme geschlossen werden soll – war klar darauf bezogen, dass seine Ehefrau die maßgeblichen Gegenstände „binnen längstens einem Jahr nach meinem Ableben übergebe“. Ob seine Ehefrau dem Wunsch nachgekommen ist, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Aus dem festgestellten Sachverhalt geht auch nicht hervor, dass I* E* oder das Österreichische Staatsarchiv den Willen hatte, den ursprünglichen Verwahrungsvertrag aus dem Jahr 1946 mit einem Parteiwechsel aufrechtzuerhalten, hätte doch sonst im Jahr 1965 keine Veranlassung zum Abschluss eines neuen schriftlichen Depotvertrags ohne jegliche Bezugnahme auf die bisherige Verwahrung bestanden. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich danach nicht. Die Eigentümerstellung der Kläger ist nicht revisionsgegenständlich.
5. Die Revision der Nebenintervenienten ist danach mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Erhebt der Nebenintervenient (unabhängig davon, ob nur er oder auch seine Hauptpartei) ein erfolgloses Rechtsmittel, so haftet für die Kosten der Rechtsmittelbeantwortungen des Prozessgegners nur die Hauptpartei und zwar auch bei unzulässiger Revision des Nebenintervenienten, sofern der Gegner auf diese Unzulässigkeit substantiiert hinweist (s Obermaier, Kostenhandbuch3, S 198, Rz 1.377 mwN).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)