OGH 9ObA80/19h

OGH9ObA80/19h23.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Herbert Bauer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** P*****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel, Dr. Ernst Eypeltauer ua, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei P*****gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch MM Metzler & Musler Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. April 2019, GZ 12 Ra 22/19w‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00080.19H.0723.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin, die ihr mit Schreiben vom 12. 1. 2018 ausgesprochene Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären (§ 106 Abs 2 ArbVG), ab. Zwar beeinträchtigte die Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund der Vermittlungswahrscheinlichkeit der Klägerin von neun bis zwölf Monaten, ihres Alters und ihrer mehr als zehnjährigen Betriebszugehörigkeit ihre Interessen. Allerdings sei der Ausnahmetatbestand des § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG verwirklicht, weil ihr Verhalten (heimliches Abfotografieren einer von einem Geschäftsführer der Beklagten unterschriebenen, jedoch noch nicht freigegebenen und bewusst zurückgehaltenen Altersteilzeitvereinbarung) die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers nachteilig berührt habe.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision bringt die Klägerin vor, aufgrund ihrer (vorangegangenen) Kündigung und der nachfolgenden Geschehnisse sei eine mittelgradige Depression entstanden. Solange sie anhalte, sei keine konkrete Vermittlungswahrscheinlichkeit gegeben. Danach sei mit einer Wartezeit von einem Jahr zu rechnen. Das Abfotografieren der Altersteilzeitvereinbarung sei demgegenüber eine geringe Pflichtverletzung. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Interessenabwägung habe daher zu ihren Gunsten auszugehen.

Rechtliche Beurteilung

Steht – wie im vorliegenden Fall – fest, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind und andererseits in der Person des Arbeitnehmers gelegene Umstände betriebliche Interessen nachteilig berühren, dann sind diese Voraussetzungen zueinander in eine Wechselbeziehung zu setzen; es ist eine Abwägung dieser gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen (RS0051719 [T4]; RS0051818).

Bei der Beurteilung des Anfechtungsgrundes des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist dabei auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Konkretisierungszeitpunkt) abzustellen (RS0051772; s auch die Entscheidung 9 ObA 199/95, in der ein sachlicher Zusammenhang einer seit der Kündigung eingetretenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit jener Klägerin mit der Kündigung verneint wurde, „weil die Interessenbeeinträchtigung der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung im Rahmen einer rational nachvollziehbaren Prognose nicht vorhersehbar war“).

Ob die Abwägung mit den Interessen eines Arbeitnehmers fortgeschrittenen Alters mit langer Betriebszugehörigkeit die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen, ist eine Frage, die von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig ist (RS0051818 [T7]). Sie stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051818 [T8]). Das ist auch hier nicht der Fall.

Es gibt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin im Konkretisierungszeitpunkt eine Depression vorlag. Diese entstand nach den Feststellungen vielmehr durch die Kündigung „und die nachfolgenden Geschehnisse“. Dass das Berufungsgericht seiner Beurteilung daher jene Vermittlungsdauer zugrunde legte, die sich unter Außerachtlassung der Depression ergab, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 9 ObA 199/95). Es ist aber auch nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen in der heimlichen Durchsuchung der nicht für die Klägerin bestimmten Dokumentenmappe der Finanz- und Personalchefin – wobei die Klägerin deren Abwesenheit ausnutzte – einen massiven Vertrauensbruch sahen. Dass es sich lediglich um ein Dokument gehandelt habe, das sie später ohnehin bekommen hätte, trifft nicht zu, weil die Klägerin wusste, dass die Vereinbarung vom Geschäftsführer noch nicht freigegeben war und wegen des noch nicht geklärten Themas der Arbeitszeiten noch nicht herausgegeben werden durfte. Die in der außerordentliche Revision thematisierte Privatnutzung des E‑Mail‑Accounts und die Löschung dienstlicher Mails lastete das Berufungsgericht der Klägerin nicht an.

Da die außerordentliche Revision der Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.

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