European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00068.19A.0625.000
Spruch:
1. Der Antrag der klagenden Partei auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof wird zurückgewiesen.
2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Die 2016 geborene Klägerin lebt gemeinsam mit ihren Eltern in Wien. Die Klägerin und ihre Eltern sind serbische Staatsbürger. Die Klägerin verfügt über einen bis 29. 8. 2018 befristeten Aufenthaltstitel („Rot‑Weiß‑Rot –Karte plus“). Auch ihre Eltern verfügen über befristete Aufenthaltstitel.
Mit Bescheid vom 29. 3. 2018 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung von Pflegegeld an die Klägerin ab. Die Klägerin verfüge nicht über einen Aufenthaltstitel im Sinn des § 3a Abs 2 Z 4 BPGG und gehöre daher nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG an.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 4. 2018. Die Klägerin verfüge über einen Aufenthaltstitel. Ihre unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu österreichischen Staatsbürgern verstoße gegen die Art 20, 21 und 24 GRC. Die Eingrenzung des § 3a Abs 2 BPGG auf Personen, die über eine Daueraufenthaltsberechtigung verfügen, stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.
Dem hielt die Beklagte wie bereits im angefochtenen Bescheid die fehlende Anspruchsberechtigung der Klägerin nach dem BPGG entgegen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die Aufzählung der in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Fälle sei taxativ, die Klägerin verfüge mit der „Rot‑Weiß‑Rot – Karte plus“ gemäß § 41a NAG über keinen der in dieser Bestimmung genannten Aufenthaltstitel. Es liege auch kein Fall des § 3a Abs 2 Z 1 BPGG vor. Aus dem auf die Klägerin anwendbaren Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien über soziale Sicherheit, BGBl III 2012/155 (AbkSozSi‑Serbien) ergebe sich kein Anspruch auf Pflegegeld, weil es sich dabei nicht um eine Leistung der Krankenversicherung handle, sodass der von diesem Abkommen festgelegte sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass sich aus der Entscheidung 10 ObS 62/18t allenfalls eine andere Rechtsansicht ergeben könnte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten nicht beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung zur Verhandlung in der Sache an das Erstgericht anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
1.1 Die Klägerin hat zwar ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Sie bezieht jedoch weder eine Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG, noch ist sie österreichische Staatsbürgerin. Ihre Anspruchsberechtigung ist daher gemäß § 3a Abs 2 BPGG zu beurteilen.
1.2 Nach § 3a Abs 2 BPGG werden bestimmte Personengruppen ohne österreichische Grundleistung (§ 3a Abs 1 iVm § 3 Abs 1 und 2 BPGG) und ohne österreichische Staatsbürgerschaft österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt und dadurch in den Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach dem BPGG einbezogen. Dazu ist zu prüfen, ob entweder einer der in § 3a Abs 2 Z 2–4 BPGG genannten Fälle vorliegt, oder – alternativ (10 Ob 62/18t) – sich die Gleichstellung aus Staatsverträgen oder Unionsrecht ergibt (§ 3a Abs 2 Z 1 BPGG).
2.1 Gemäß § 3a Abs 2 Z 4 BPGG werden österreichischen Staatsbürgern Personen gleichgestellt, die über einen der in dieser Bestimmung taxativ aufgezählten (10 ObS 81/18m) Aufenthaltstitel verfügen. Die Klägerin bestreitet nicht, dass der ihr erteilte befristete Aufenthaltstitel gemäß § 41a NAG nicht in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannt ist.
2.2 Die Klägerin macht vielmehr in der Revision zunächst geltend, dass die Bestimmung des „§ 3a Abs 2 BPGG“ gegen Art 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verstoße. Gemäß Art 51 Abs 1 GRC gilt die Grundrechtecharta ausschließlich bei der Durchführung – dh im Anwendungsbereich – des Rechts der Union. Der Anwendungsbereich des Unionsrechts wird jedoch im vorliegenden Fall nicht berührt, weil die Klägerin weder Unionsbürgerin ist noch sich in einer Lage befindet, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft (Art 1 Verordnung [EU] Nr 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung [EG] Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung [EG] Nr 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen). Wird der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht berührt, liegt auch kein Anwendungsfall der Unionsgrundrechte vor (10 ObS 11/16i SSV‑NF 30/23 mwH).
2.3.1 Die Klägerin macht weiters geltend, dass § 3a Abs 2 BPGG verfassungswidrig sei, weil diese Bestimmung gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 1 des (von Österreich bislang nicht ratifizierten) 12. Zusatzprotokolls zur EMRK verstoße.
2.3.2 Der in Art 7 B‑VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbietet willkürliche unsachliche Differenzierungen. Er wird dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Gleiches ungleich behandelt (RS0053981). Ebenso ergibt sich das Gleichbehandlungsgebot aus Art 14 EMRK, wonach eine diskriminierende unterschiedliche Behandlung – wenn also Rechtssubjekte in einer ähnlichen Situation ohne objektive vernünftige Rechtfertigung ungleich behandelt werden – zu unterbleiben hat (RS0124747 zu Art 14 EMRK). Eine Regelung ist aber nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn ihr Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird. Dem Normsetzer muss es– insbesondere auch im Interesse der Verwaltungsökonomie – gestattet sein, eine einfache und handhabbare Regelung zu treffen (RS0053882).
2.3.3 Entgegen dem (einzigen) Argument der Revisionswerberin, dass sie als Inhaberin einer bloß befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung diskriminiert sei, erfasst § 3a Abs 2 Z 4 BPGG keineswegs nur Fremde, denen eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde (vgl nur die „Blaue Karte EU“, die gemäß § 42 Abs 4 NAG für maximal zwei Jahre ausgestellt wird, sowie die ebenfalls befristeten Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs 2 NAG [iVm § 8 Abs 1 Z 8, § 20 NAG] und „Rot‑Weiß‑Rot – Karte“ gemäß § 49 Abs 2 NAG, § 3a Abs 2 Z 4 lit a, d und e BPGG; näher dazu Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 Rz 3.62). § 3a Abs 2 BPGG ist keine anspruchseinschränkende, sondern im Gegenteil eine anspruchserweiternde Bestimmung, weil sie den Kreis der anspruchsberechtigten Fremden, denen keine Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG zusteht, auch in Z 4 ausdehnt, nämlich auf Personengruppen, die einen bestimmten Aufenthaltstitel vorweisen können, der ihnen einen privilegierten Status einräumt (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 9). Aus welchen Gründen der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Spielraum dadurch verletzt hätte, dass er über den Kreis der Inhaber bestimmter privilegierter – auch befristeter – Aufenthaltstitel hinaus keine Anspruchsberechtigung auf Pflegegeld für Fremde ohne Grundleistung eröffnet, zeigt die Revisionswerberin nicht auf.
2.4 Eine Prozesspartei hat nach ständiger Rechtsprechung (RS0058452) keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen.
3.1 Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf § 3a Abs 2 Z 1 BPGG stützen. Danach sind Fremde, die nicht unter § 3a Abs 2 Z 2–4 BPGG fallen, den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt. Das auch in § 3a Abs 2 Z 1 BPGG genannte Unionsrecht wird im vorliegenden Fall wie ausgeführt nicht berührt.
3.2 Mit der Anspruchsgrundlage des § 3a Abs 2 Z 1 BPGG durfte sich die Entscheidung 10 ObS 62/18t nicht auseinandersetzen, weil die auch im damaligen Verfahren beklagte Partei in ihrer außerordentlichen Revision die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Gleichstellung gemäß § 3a Abs 2 Z 1 BPGG nicht rügte, sondern „ausschließlich“ als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (iVm § 506 Abs 1 Z 5 ZPO) relevierte, ob daneben „kumulativ auch einer der in § 3 Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstitel vorliegen müsse“.
3.3 Anwendbar auf die Klägerin ist gemäß seinem Artikel 3 (Persönlicher Geltungsbereich) im vorliegenden Fall das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien über Soziale Sicherheit, BGBl III 2012/155 (AbkSozSi‑Serbien). Dessen sachlicher Geltungsbereich wird in Artikel 2 wie folgt geregelt (Hervorhebungen durch den Senat):
„ Artikel 2 Sachlicher Geltungsbereich
(1) Dieses Abkommen bezieht sich
1. auf die österreichischen Rechtsvorschriften über
a) die Krankenversicherung,
b) die Unfallversicherung,
c) die Pensionsversicherung mit Ausnahme der Sonderversicherung für das Notariat,
d) das Arbeitslosengeld;
2. auf die serbischen Rechtsvorschriften über … .
(2) Dieses Abkommen bezieht sich auch auf alle Rechtsvorschriften, welche die in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Rechtsvorschriften zusammenfassen, ändern oder ergänzen.“
3.4 Das Pflegegeld ist nach den gemäß Art 2 Abs 1 Z 1 AbkSozSi‑Serbien für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs dieses Abkommens allein maßgeblichen österreichischen Rechtsvorschriften keine Leistung aus der Krankenversicherung, es fällt auch unter keinen anderen der in Art 2 Abs 1 Z 1 AbkSozSi‑Serbien genannten Tatbestände (ausführlich Greifeneder, Anspruch auf Pflegegeld von Nicht‑EWR‑Bürgern aufgrund bilateraler Abkommen über soziale Sicherheit?, ÖZPR 2018/86, 142 [144]). Anders als die – hier nicht anwendbare – VO 883/2004 umfasst der sachliche Anwendungsbereich des AbkSozSi‑Serbien nicht alle „Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und gleichgestellter Vaterschaft“ (Art 3 Abs 1 lit a und b VO 883/2004 ). Pflegegeldleistungen sind daher nicht vom sachlichen Anwendungsbereich dieses Abkommens umfasst (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Abk Allg Teil [60. Lfg] Rz 15; ebenso zum insofern übereinstimmenden Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Polen über soziale Sicherheit, BGBl III 2000/212, bereits 10 ObS 157/06w SSV‑NF 20/72). Mangels Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des AbkSozSi‑Serbien im vorliegenden Fall bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit den von der Klägerin geltend gemachten Art 6 und 12 dieses Abkommens, die seine Durchführung regeln.
Da die Klägerin aus diesen Gründen ihre Anspruchsberechtigung weder auf § 3a Abs 2 Z 4 noch auf § 3a Abs 2 Z 1 BPGG stützen kann, war der Revision nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit hat die Klägerin nicht geltend gemacht, sie ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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