OGH 5Ob71/19f

OGH5Ob71/19f13.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, geboren am *, vertreten durch Dr. Agnes Maria Kienast, Rechtsanwältin in Korneuburg, gegen die beklagte Partei G*, geboren am *, vertreten durch Mag. Julia Tesch‑Kohlbeck, Rechtsanwältin in Korneuburg, diese vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2019, GZ 20 R 227/18z‑43, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125498

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht schied die Ehe aus gleichteiligem Verschulden der Streitteile.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1. Grundsätzlich können in zweiter Instanz verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht mehr Gegenstand der Revision sein (RIS‑Justiz RS0042963). Dies würde nur dann nicht gelten, wenn sich das Berufungsgericht mit einem geltend gemachten Mangel zu Unrecht nicht befasst hat (RS0043144) oder die Mängelrüge auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigt (RS0043092 [T1], RS0043166). Nur dann wäre das Berufungsverfahren selbst mangelhaft (RS0043086). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:

1.2. Das Berufungsgericht hat sich mit dem angeblichen Begründungsmangel befasst und diesen auf aktenmäßiger Grundlage verneint. Die Begründung für eine Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bereits im Frühjahr 2013 fand sich auf S 15 des Ersturteils. Dass das Berufungsgericht den Parteien zugestand, noch darauf hoffen zu dürfen, eine Besserung ihrer Beziehung durch die Inanspruchnahme von Paartherapie zu erreichen, macht die Erledigung der Mängelrüge nicht aktenwidrig.

1.3. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der zum ein‑ oder zweimaligen Geschlechtsverkehr im ersten Halbjahr des Jahres 2013 ausgeführten Verfahrensrüge war entbehrlich. Geschlechtsverkehr könnte nur dann als Verzeihung gewertet werden, wenn aus dem Gesamtverhalten des Klägers unzweideutig zum Ausdruck käme, dass er die Eheverfehlungen der Beklagten nicht mehr als solche empfindet (RS0057022). Davon konnte hier keine Rede sein.

1.4. Mit dem angeblichen Begründungsmangel zur Aufforderung der Beklagten an den Kläger auszuziehen befasste sich das Berufungsgericht ebenso. Dass das Erstgericht widersprüchliche Verhaltensweisen der Beklagten hiezu feststellte, ist kein Begründungsmangel.

1.5. Die Relevanz eines allfälligen Mangels des Berufungsverfahrens (RS0116273) ist nicht zu erkennen, zumal – soweit das Erstgericht zu den vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen überhaupt Feststellungen traf – diese ohnedies dem Vorbringen der Beklagten entsprachen. Eine festzustellende „gewisse Versöhnung“ der Parteien in den Jahren 2012 oder 2013 kann schon deshalb nicht erheblich sein, weil auch verziehene Eheverfehlungen zur Unterstützung einer auf spätere Eheverfehlungen gestützten Scheidungsklage herangezogen werden können. Da die Beklagte ihre ehewidrige Beziehung nach der angeblichen Versöhnung fortgesetzt hat und die Verzeihung den Ehegatten nicht zur Wiederholung seiner Eheverfehlungen berechtigt (RS0056134; vgl auch 1 Ob 87/12v), wäre darin selbst für den Fall der Verzeihung eine – in der Regel schwerer wiegende (RS0056171 [T1]) – Eheverfehlung zu sehen.

2.1. Für die Erledigung der Beweisrüge gelten vergleichbare Maßstäbe. Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der Feststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis bzw jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RS0043162). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Beweisrüge ist vielmehr schon dann mängelfrei, wenn es dazu nachvollziehbare Überlegungen anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043162 [T4]). Diesen Anforderungen entspricht die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht.

2.2. Aufgrund des Verweises auf die Begründung des Erstgerichts laut § 500a ZPO konnte mit einer kurzen Zusatzbegründung das Auslangen gefunden werden (RS0122301). Ob damit den Anforderungen des § 500a ZPO genügt wurde, ist eine Einzelfallfrage, die der Oberste Gerichtshof nur bei einer grob fehlerhaften Anwendung der dem Berufungsgericht eingeräumten Möglichkeit der Begründungserleichterung aufgreifen kann (RS0123827). Dass dies der Fall wäre, wird gar nicht behauptet.

2.3. Ob sich die Beklagte nur widerwillig an die Anweisungen des Klägers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses hielt, ist irrelevant. Dass sich das Berufungsgericht nicht mit jedem einzelnen Argument auseinandersetzte, ist unschädlich, zumal es die Beklagte verabsäumt, in ihrer Revision darzustellen, weshalb die vermissten detaillierten Erwägungen des Berufungsgerichts in Bezug auf die zahlreichen unter Punkt 2.2. der Revision zitierten Feststellungen von Relevanz für das Prozessergebnis sein sollten. Hinsichtlich der wesentlichen Feststellungen ist aus den Erwägungen des Berufungsgerichts eindeutig erkennbar, dass es die Beweisführung des Erstgerichts überprüfte, wobei es insbesondere den persönlichen Eindruck des Erstrichters heranzog. Die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen (RS0069246).

3.1. Da die Beklagte keine Widerklage erhoben hat, könnte nur die Mitschuld des Klägers ausgesprochen werden, nicht aber dessen Alleinschuld (RS0057564). Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers käme nur in Betracht, wenn im Vergleich dazu das Verschulden der Beklagten fast völlig in den Hintergrund tritt (RS0057325 [T1, T3, T4]). Ob dies der Fall ist bzw wie die beiderseitigen Verschuldensanteile zu gewichten sind, ist eine Frage des Einzelfalls, die – von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigt (RS0057325 [T5], RS0057821). Abzustellen ist nicht auf die Anzahl oder auch nur die Schwere der Verfehlungen, sondern primär auf den Beitrag zur Zerrüttung (RS0057858, RS0056171, RS0057223). Während Verfehlungen, die die Zerrüttung in Gang gesetzt oder vollendet haben, besonders schwer wiegen (RS0057361), spielen nach tiefgreifender Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen keine entscheidende Rolle mehr (RS0056921). Die Entscheidungen der Vorinstanzen bewegen sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

3.2. Der Kläger gab hier zwar mit seinem – durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Unternehmens verstärkten – verbal aggressiven Verhalten gegenüber der Beklagten den ersten Anstoß für die beginnende Zerrüttung der Ehe. Die Beklagte, die den ehelichen Verkehr ablehnte und dann die ehewidrige Beziehung zu einem anderen Mann einging, trug aber zur weiteren Zerrüttung der Ehe bei. Unheilbar wurde diese Zerrüttung dadurch, dass sie sich weigerte, ihre außereheliche Beziehung einzugestehen, sie aufzugeben und sich mit dem Kläger zu versöhnen. Dass die zermürbte Stimmung und die schlechte Kommunikation zwischen den Parteien, die letztlich Grund für den Auszug des Klägers waren, jedenfalls für ihn (auch) auf die von der Beklagten nicht beendete außereheliche Beziehung zurückzuführen war, ist eine vom Berufungsgericht zulässigerweise (vgl RS0118191) gezogene Schlussfolgerung, die auf der Hand liegt. Während der Rechtsverfolgung des Klägers im Unterhaltsverfahren und des Streits um die Ehewohnung war die Ehe bereits unheilbar zerrüttet. Danach eingegangene ehewidrige Beziehungen fallen bei der Verschuldensabwägung nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen nicht mehr ins Gewicht. Dass sie davon ausgingen, hier trete das Verschulden keines der beiden Teile fast völlig in den Hintergrund, ist somit vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall nicht aufzugreifen.

4. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedurfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

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