OGH 15Os38/19f

OGH15Os38/19f29.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Vazir K***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Vazir K***** und Kilay E***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 18. Dezember 2018, GZ 605 Hv 3/18h‑227, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00038.19F.0529.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Vazir K***** und Kilay E***** jeweils des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie zur Ausführung der strafbaren Handlung von Rostom H***** und Mehmet Er***** beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), die am 6. Oktober 2009 in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Gewahrsamsträgern der Ö***** AG durch Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) 264.055 Euro Bargeld, mit dem Vorsatz wegnahmen und abnötigten, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem H***** die Angestellten mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bedrohte, Roman D***** fesselte und ihn in den Aufenthaltsraum sperrte, anschließend H***** und Er***** die Angestellten Dilek O*****, Arzu Erg*****, Seda Er*****, Aleksandar B***** und Ljiljana P***** in die Toilette sperrten, sodann Er***** das Bargeld in die von H***** mitgebrachte Tasche gab, sie in der Folge die in der Toilette eingeschlossenen Opfer in den Aufenthaltsraum zwangen, wo Er***** die Hände und Füße sämtlicher Opfer mit einem Klebeband fesselte und sich abschließend unter Mithilfe von H***** selbst fesselte, um sich ebenfalls als Opfer des Raubes darzustellen, und H***** sodann die Filiale mit der mit Bargeld gefüllten Tasche durch den Hinterausgang verließ, wobei die Gewaltanwendung bei Ljiljana P***** eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte, und zwar

A./ Vazir K***** dadurch, dass er gemeinsam mit Kilay E*****, Mehmet Er***** und seinem Bruder Aziz K***** den Tatplan für den Überfall auf das Postamt in ***** ersann, über seinen Neffen Norayr K***** die An- und Abreise von H***** aus Deutschland organisierte, die Umsetzung des Tatplans gemeinsam mit Er*****, H*****, E***** und Aziz K***** in die Wege leitete, H***** und Er***** am 6. Oktober 2009 gemeinsam in einem von E***** gelenkten Fahrzeug zum Tatort chauffierte, anschließend während der Tat beim Fluchtfahrzeug wartete und nach der Tat das erbeutete Geld in Empfang nahm;

B./ Kilay E***** dadurch, dass er gemeinsam mit Vazir K*****, Mehmet Er***** und Aziz K***** den Tatplan für den Überfall auf das Postamt in ***** ersann, die Umsetzung dieses Tatplans gemeinsam mit Er*****, H*****, Vazir und Aziz K***** in die Wege leitete, die bei der Tat verwendete Pistole an H***** übergab, diesen und Er***** am 6. Oktober 2009 gemeinsam mit Vazir K***** zum Tatort chauffierte, anschließend während der Tat beim Fluchtfahrzeug wartete und dieses nach der Tat lenkte.

Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellten Hauptfragen nach dem Verbrechen des schweren Raubes (§§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StGB) bejaht, Eventualfragen nach dem Vergehen des schweren Diebstahls (§§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB) sowie diesbezügliche Zusatzfragen nach dem Strafaufhebungsgrund der Verjährung (§ 57 StGB) blieben demgemäß unbeantwortet.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten. Vazir K***** stützt sein Rechtsmittel auf Z 13, Kilay E***** auf Z 4, 6 und 8 je des § 345 Abs 1 StPO. Beiden Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten K*****:

Die Sanktionsrüge (Z 13 erster Fall) kritisiert das Unterbleiben der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zwecks „Überprüfung von Befund und Gutachten“ des Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. Ho*****, der zu den aus den Gewalthandlungen bei Ljiljana P***** resultierenden Folgen Stellung genommen hatte. Inwiefern damit eine in der Überschreitung der Strafbefugnis gelegene Nichtigkeit angesprochen sein soll, legt die Beschwerde nicht dar, sodass es an der deutlichen und bestimmten Bezeichnung des Nichtigkeitsgrundes mangelt (§ 285a Z 2 iVm § 344 StPO).

Bleibt anzumerken, dass die unterbliebene Beiziehung eines weiteren Sachverständigen im Nichtigkeitsverfahren (aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO) nur dann aussichtsreich geltend gemacht werden kann, wenn ein– auf § 127 Abs 3 StPO gestützter und den Anforderungen des § 55 Abs 1 StPO genügender – Antrag in der Hauptverhandlung gestellt wurde (vgl RIS‑Justiz RS0117263; Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 175 f, § 127 Rz 31), was im konkreten Fall nicht einmal behauptet wird. Soweit die Beschwerde meint, das Gericht hätte (amtswegig) eine „Überprüfung von Befund und Gutachten“ durch einen weiteren Sachverständigen durchführen müssen (der Sache nach Z 10a), legt sie nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer an einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0115823).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten E*****:

Der aus Z 4 erhobenen Kritik des Angeklagten an der falschen Bezeichnung der strafbaren Handlung in der Urteilsausfertigung (ON 227 S 12: „§§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StGB“ anstelle [wie in der mündlichen Urteilsverkündung ON 226 S 57 richtig] „§§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StGB“) ist nach durchgeführter Angleichung und Zustellung der korrigierten Urteilsausfertigung (ON 1 S 187; ON 238) die Grundlage entzogen.

Die Fragenrüge (Z 6) vermisst eine Eventualfrage „in Richtung des § 142 StGB“, legt aber nicht dar, weshalb es mit Blick auf die – in der Rechtsbelehrung (Beilage ./B, S 26) aufgezeigte (vgl RIS‑Justiz RS0091034 [T11]) – Möglichkeit der teilweisen Bejahung einer Hauptfrage unter Beifügung von Beschränkungen (§ 330 Abs 2 StPO) einer solchen bedurft hätte (RIS‑Justiz RS0100662).

Die weiteren Ausführungen, die das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach § 286 Abs 1 StGB kritisieren, werden den Voraussetzungen prozessordnungsgemäßer Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht gerecht. Beruft sich der Angeklagte nämlich auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweisergebnis (wie hier auf den Inhalt seiner Verantwortung) so darf er den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage einzelner, isoliert aus dem Kontext der Gesamtverantwortung gelöster Teile davon führen, sondern hat vielmehr die Einlassung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (vgl RIS‑Justiz RS0120766).

Die Beschwerde hebt demgegenüber nur einzelne Teile der Aussage des Rechtsmittelwerbers heraus, wonach der Erstangeklagte und Mehmet Er***** Druck auf ihn ausgeübt hätten, vernachlässigt aber jene Teile, denen zufolge er weder am Tatort aufhältig war noch wisse, wann die Tat stattgefunden hat (ON 204 S 14 f). Damit zeigt der Beschwerdeführer aber keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür auf, dass der Angeklagte es in seinen Vorsatz (Plöchl in WK2 StGB § 286 Rz 13) aufgenommen hatte, die Täter würden ihren Tatplan innerhalb kürzester Zeit realisieren (§ 286 Abs 1 StGB: „… unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung“). Der Schwurgerichtshof hat daher, weil das Tatsachenvorbringen – falls als erwiesen angenommen – mangels einer unmittelbar bevorstehenden Ausführung bzw eines darauf gerichteten Vorsatzes zum Freispruch geführt hätte, zu Recht von der Aufnahme einer Eventualfrage in Richtung § 286 Abs 1 StGB abgesehen (vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 44).

Weshalb die den Geschworenen in Bezug auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale erteilte Rechtsbelehrung unvollständig sein sollte, macht die – sich nicht am gesamten Inhalt der tatsächlich erteilten Unterweisung orientierende (vgl aber RIS‑Justiz RS0125434) – Instruktionsrüge (Z 8) nicht deutlich, zumal für den Beitragstäter – zufolge des Einheitstätersystems und mangels Vorliegens eines (unrechtsbezogenen) Sonderdelikts – keine abweichenden Regeln in Bezug auf die – sowohl im Allgemeinen Teil als auch konkret zu den Tatbestandsmerkmalen des (schweren) Raubes erläuterten (Beilage ./B S 3 f, 12 ff) – Vorsatzerfordernisse gelten.

Schließlich legt die Beschwerde mit dem Hinweis auf die in der Rechtsbelehrung verwendeten Begriffe des Risiko- und des Adäquanzzusammenhangs (Beilage ./B S 19) auch nicht dar, weshalb die Instruktion in Ansehung der Erfolgsqualifikationen des § 143 Abs 2 StGB „nicht ausreichend verständlich und somit unvollständig“ sein sollte. Im Übrigen ergibt sich bei Prüfung der Rechtsbelehrung nach ihrem gesamten Inhalt (RIS‑Justiz RS0100695), dass das Merkmal der Fahrlässigkeit zunächst allgemein erörtert (Beilage ./B S 4 f) und die Frage der Zurechnung der (durch die Gewaltanwendung herbeigeführten) schweren Folge eines Raubes zu einem Beteiligten (vgl Rieder‑Eder in WK 2 StGB § 143 Rz 26) mit dem allgemein verständlichen Begriff der Vorhersehbarkeit deren Eintritts (Beilage ./B S 18 f) jedenfalls hinreichend deutlich erläutert wurde (vgl RIS‑Justiz RS0100721).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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