OGH 7Ob212/18d

OGH7Ob212/18d29.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** D*****, vertreten durch Mag. Jörg Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. August 2018, GZ 2 R 102/18k‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 28. Mai 2018, GZ 31 Cg 18/17h‑19, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00212.18D.0529.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

„1. Es wird zwischen der klagenden und der beklagten Partei festgestellt, dass aufgrund des dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zur Polizzen-Nummer ***** zu Grunde liegenden Art 7.4.4 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2011) lediglich für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus (eigenen) Rechtsschutzversicherungsverträgen mit der beklagten Partei kein Versicherungsschutz besteht und demgemäß ein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Rechtsschutzversicherungsverträgen zwischen der klagenden Partei und anderen Rechtsschutzversicherern als der beklagten Partei Versicherungsschutz nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 6.073,46 EUR (darin 894,41 EUR an Umsatzsteuer und 707 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.774,52 EUR (darin 271,92 EUR an Umsatzsteuer und 1.143 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.606,22 EUR (darin 195,87 EUR an Umsatzsteuer und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2011) zugrunde, die auszugsweise lauten:

„Art ikel 7 – Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

4. i n ursächlichem Zusammenhang mit

4.4 Rechtsschutzversicherungsverträgen mit dem eigenen Rechtsschutzversicherer.

…“

Der Kläger war auch bei der Z***** AG (fortan: [früherer] Rechtsschutzversicherer) bis 1. 5. 2017 rechtsschutzversichert. Der Rechtsschutzversicherer hatte für ein bei der Bezirkshauptmannschaft Z***** geführtes Verwaltungsstrafverfahren betreffend einen Vorfall aus dem Jahr 2015 zwar Rechtsschutzdeckung zugesagt, aber die geltend gemachten Vertretungskosten vorerst nicht zur Gänze beglichen. Der Klagevertreter forderte deshalb die Beklagte auf, Rechtsschutzdeckung zur Klagsführung gegen den Rechtsschutzversicherer zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf Art 7.4.4 ARB 2011 ab.

Vor Schluss der Verhandlung erster Instanz beglich der Rechtsschutzversicherer die restlichen vom Kläger und seiner mitversicherten Lebensgefährtin geltend gemachten Vertretungskosten. Darauf schränkte der Kläger sein Klagebegehren auf die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung ein.

Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz bestanden zwischen dem Kläger und seinem Rechtsschutzversicherer keine offenen Ansprüche.

Der Kläger führte zu seinem Feststellungsbegehren aus, dass zwischen den Streitteilen der Umfang der Deckungspflicht der Beklagten betreffend Streitigkeiten mit anderen Rechtsschutzversicherern strittig geblieben sei. Daraus resultiere unabhängig von einem restlichen Kostenfreistellungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer ein Feststellungsinteresse des Klägers, weil besagte Streitfrage auch in künftigen, ähnlich gelagerten Fällen wieder schlagend werden könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Feststellungsbegehrens und wandte ein, dass der Risikoausschluss nach Art 7.4.4 ARB 2011 greife. Dieser sei so auszulegen, dass jede Streitigkeit zwischen dem Versicherungsnehmer und (irgend‑)einem Rechtsschutzversicherer aus einem Rechtsschutz-versicherungsvertrag vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sei. Eine Einschränkung dahin, dass der Ausschluss nur für die Streitigkeiten mit der Beklagten gelte, könne dem weit gefassten Wortlaut der Klausel nicht entnommen werden. Dem Kläger fehle überdies das Feststellungsinteresse, weil kein konkreter Anlassfall einer Anspruchsverfolgung gegenüber dem (früheren) Rechtsschutzversicherer (mehr) vorliege und nur die abstrakte Klärung einer Rechtsfrage angestrebt werde.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Es führte rechtlich aus, dass die bloß theoretische Möglichkeit eines Deckungsstreits mit dem (früheren) Rechtsschutzversicherer für einen derzeit noch nicht bekannten Vorfall vor dem 1. 5. 2017, nicht ausreiche, um ein Feststellungsinteresse zu begründen. Eine ernstliche, konkrete und aktuelle Gefährdung der Rechtslage des Klägers, die eine Rechtsschutzdeckung der Beklagten erfordern würde, wurde weder behauptet, noch habe sich eine solche im Beweisverfahren ergeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und war ebenfalls der Rechtsansicht, dass dem Kläger das Feststellungsinteresse fehle.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und – infolge Abänderungsantrags der Beklagten – dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob auch eine frühere Deckungsablehnung des Versicherers in einem konkreten, aber nicht mehr relevanten Fall ein Feststellungsinteresse begründen könne.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise begehrt der Kläger die Abänderung der Kostenentscheidung dahin, dass ihm ein näher bestimmter Betrag an erstinstanzlichen Prozesskosten zu ersetzen sei. Hilfsweise stellt der Kläger auch noch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision des Klägers nicht zuzulassen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch berechtigt.

A. Zum Feststellungsinteresse:

1.  Das Feststellungsinteresse ist Voraussetzung für die Begründetheit des Feststellungsanspruchs (RS0039177). Es ist vom Kläger durch Geltendmachung konkreter Umstände zu behaupten und (erforderlichenfalls) zu beweisen (RS0039239; RS0037977).

2.  Ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts liegt dann vor, wenn infolge Verhaltens des Beklagten eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechts entstanden ist und diese Ungewissheit durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils beseitigt werden kann (RS0038908). Eine solche Ungewissheit besteht insbesondere dann, wenn der Beklagte ein Recht des Klägers beharrlich bestreitet (RS0039202 [T7]). Auch der Streit über die Auslegung der Befugnisse einer Partei aus einem Vertrag kann ein Feststellungsinteresse begründen (RS0102433).

3.  Abstrakte Rechtsfragen, denen kein gegenwärtig bestehender Streitfall zugrunde liegt oder solche, die sich in der Feststellung einer dem Gesetzeswortlaut entsprechenden Rechtslage erschöpfen, sind nicht urteilsmäßig feststellungsfähig (vgl 7 Ob 198/09g; 7 Ob 190/14p). Nur die konkrete Möglichkeit des Eintritts von Leistungsverpflichtungen (hier aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag) stellt eine ausreichende Interessengrundlage für ein Feststellungsbegehren dar, während im Allgemeinen die bloße theoretische Möglichkeit der Entstehung von Ansprüchen zur Begründung des Feststellungsinteresses nach § 228 ZPO nicht ausreicht (vgl 7 Ob 4/05x mwN; 7 Ob 68/09i; RS0038949). Bei der – hier begehrten – Klärung der Reichweite des Art 7.4.4 ARB 2011 geht es aber nicht um eine abstrakte rechtliche Qualifikation, sondern um die Auslegung eines in einem bestimmten, von den Streitteilen abgeschlossenen Versicherungsvertrag enthaltenen Deckungsausschlusses und damit um die Lösung einer Streitfrage, die sich in jedem einschlägigen Versicherungsfall neuerlich stellen kann (vgl 7 Ob 198/09g). Die begehrte Feststellung ist daher insoweit konkret geeignet, eine streitverhindernde Rechtswirkung zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits zu entfalten (vgl RS0039080).

4.  Ob der betreffende Sachverhalt ein Feststellungsinteresse begründet, ist in der Regel eine Frage des Einzelfalls (RS0039177 [T1]). Im Versicherungsvertragsrecht kann im Einzelfall ein Feststellungsinteresse einerseits offenkundig sein, wenn etwa gleichartige Versicherungsfälle notorisch absehbar sind (vgl 7 Ob 68/09i), oder es kann dazu konkreter Behauptungen bedürfen, wenn etwa die betreffende Streitfrage im Anlassfall zur Beurteilung eines Leistungsbegehrens ohnehin beantwortet wurde (vgl 7 Ob 190/14p) und daher ein künftig rechtskonformes Verhalten der Vertragsparteien zu erwarten ist.

5.  Im vorliegenden Fall ist für den maßgeblichen Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses erster Instanz (5. 4. 2018) ein Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen:

Die zwischen den Parteien bestehende Meinungsverschiedenheit betrifft die Auslegung eines Deckungsausschlusses (Art 7.4.4 ARB 2011) im aufrechten Rechtsschutzversicherungsvertrag und damit die Lösung einer auch für künftige gleichartige Fälle maßgeblichen Streitfrage, die sich in jedem einschlägigen Versicherungsfall neuerlich stellen kann. Der Kläger war bei seinem (früheren) Rechtsschutzversicherer bis 1. 5. 2017 rechtsschutzversichert, sodass bei Schluss der Verhandlung in erster Instanz am 5. 4. 2018 diesen Versicherungsvertrag betreffende Versicherungsfälle genauso wenig ausgeschlossen sind wie nach Abschluss eines weiteren Rechtsschutzversicherungsvertrags. Die zumindest inzidente Klärung der Streitfrage durch die Entscheidung über ein Leistungsbegehren konnte der Kläger im Anlassfall infolge der während des Rechtsstreits erfolgten Zahlung des (früheren) Rechtsschutzversicherers nicht erreichen. Unter diesen Umständen ist dem Kläger ein rechtliches Interesse an der Klärung der Reichweite des strittigen Risikoausschlusses zuzubilligen.

B. Zu Art 7.4.4 ARB 2011:

1.  Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

2.  Nach Art 7.4.4 ARB 2011 besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit „Rechtsschutzversicherungsverträgen mit dem eigenen Rechtsschutzversicherer“. Einerseits könnte die Verwendung des Plurals (Rechtsschutzversicherungsverträge“n“) darauf hindeuten, dass alle Rechtsschutzversicherungsverträge mit allen Rechtsschutzversicherern des betreffenden Versicherungsnehmers vom Deckungsausschluss angesprochen sein sollen. Andererseits ist von Rechtsschutzversicherungsverträgen „mit dem eigenen Rechtsschutzversicherer“ und nicht etwa allgemein von Rechtsschutzversicherungsverträgen (und damit von allen Rechtsschutzversichererungsverträgen des Versicherungsnehmers) die Rede. Da insofern bestehende Unklarheiten zu Lasten der Beklagten gehen und Risikoausschlüsse grundsätzlich eng auszulegen sind, muss vorrangig der übliche Zweck derartiger Klauseln maßgeblich sein. Dieser besteht typischerweise darin, dass der Rechtsschutzversicherer keine Kosten der Rechtsverfolgung gegen sich selbst finanzieren muss (vgl Armbrüster in Prölss/Martin VVG 30 § 3 Rz 63; Münkel in Rüffer/Halbach/Schimikowski VVG 3 § 3 Rz 17). Art 7.4.4 ARB 2011 ist somit dahin auszulegen, dass von diesem Ausschluss nur die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit dem mit der Beklagten vereinbarten Rechtsschutz erfasst ist.

C. Ergebnis:

1.  Der Streit zwischen den Parteien betrifft die durch einen vorgelegenen Versicherungsfall ausgelöste Auslegung eines Deckungsausschlusses (Art 7.4.4 ARB 2011) im aufrechten Rechtsschutzversicherungsvertrag und damit die Lösung einer konkreten, auch für künftig nicht ausgeschlossene gleichartige Fälle maßgeblichen Streitfrage, deren inzidente Klärung durch die Entscheidung über ein Leistungsbegehren nicht erfolgen konnte. Unter diesen Umständen ist dem Kläger ein rechtliches Interesse an der Klärung des strittigen Risikoausschlusses zuzubilligen.

2.  Der Zweck des Risikoausschlusses nach Art 7.4.4 ARB 2011 besteht für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer darin, dass der Rechtsschutzversicherer nicht verpflichtet sein soll, Kosten der Rechtsverfolgung gegen sich selbst finanzieren zu müssen. Der Ausschluss erfasst daher bei nicht eindeutiger Formulierung nicht auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Rechtsschutzversicherungsverträgen gegen einen anderen Rechtsschutzversicherer des Versicherungsnehmers.

3.  Die Revision des Klägers ist berechtigt und seinem Feststellungsbegehren war daher stattzugeben.

4.  Die Kostenentscheidung beruht für alle Instanzen auf § 41 ZPO (iVm § 50 ZPO). Der siegreichen Partei gebühren keine Kosten für Einwendungen gegen die Kostennote des Gegners (RS0125846 [T3]).

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