OGH 7Ob38/19t

OGH7Ob38/19t20.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A***** S*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 14.499,43 EUR sA, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2018, GZ 50 R 77/18g‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 7. März 2018, GZ 19 C 750/17h‑9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00038.19T.0320.000

 

Spruch:

Das Verfahren AZ 7 Ob 38/19t wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger schloss mit dem beklagten Versicherer im Oktober 2001 einen fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag für die Laufzeit 1. 11. 2001 bis 1. 11. 2036 ab. Eine Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG unterblieb. Bis inklusive Februar 2018 zahlte der Kläger Prämien von insgesamt 19.623,64 EUR. Die darin enthaltenen Risikokosten betrugen 1.702,25 EUR, die Versicherungssteuer 752,31 EUR. Am 1. 2. 2010 zahlte die Beklagte dem Kläger über dessen Antrag einen Teilbetrag von 3.429,96 EUR aus.

Mit Schreiben vom 21. 11. 2017 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 165a VersVG und forderte sie auf, 14.499,43 EUR an vermeintlich rechtsgrundlos geleisteten Prämien samt Zinsen zurückzubezahlen. Die Beklagte lehnte ab.

Der Kläger begehrt mit der nunmehrigen Klage die – einbezahlten und nicht refundierten – Prämien samt 4 % Zinsen. Eine Belehrung über das Rücktrittsrecht sei nicht erfolgt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Rücktrittsfrist des zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden § 165a VersVG sei bereits abgelaufen, da dem Kläger dieses schon länger als 14 Tage vor Abgabe der Rücktrittserklärung bekannt gewesen sei. § 176 Abs 1 VersVG bestimme, dass bei Rücktritt der Rückkaufswert zu erstatten sei, sodass der Kläger selbst bei Wirksamkeit seines Rücktritts nur auf diesen Anspruch hätte. Die Rücktrittserklärung des Klägers sei als rechtsmissbräuchlich und unzulässig zu qualifizieren. Dem Kläger sei der Widerruf des Versicherungsvertrags nach Treu und Glauben zu versagen. Jedenfalls seien die Risikokosten und die Versicherungssteuer in Abzug zu bringen. Ein allfälliges Rücktrittsrecht sei zudem gemäß § 1487 ABGB verjährt gewesen. Die Bereicherungszinsen würden innerhalb von drei Jahren verjähren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 13.739,12 EUR sA. Die Abweisung des Mehrbegehrens von 760,31 EUR sA bestätigte es. Im Umfang der geltend gemachten kapitalisierten Zinsen samt Anhang hob das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurück.

Nur gegen das bestätigende Teilurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung.

Der Kläger begehrt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua ):

1. Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG i n Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 in Verbindung mit Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. ( für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/6 19/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm aufgrund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. ( für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. ( für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung insbesondere der Fragen 2., 4. und 5. ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).

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