European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124420
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht entzog nach der Trennung der nicht verheirateten Eltern der Mutter die Obsorge für den gemeinsamen Sohn, übertrug sie dem Vater allein und legte das Kontaktrecht der Mutter zum Sohn für die Dauer von vier Stunden pro Woche fest. Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss, wies eine Rekursergänzung der Mutter zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen gewesen sei.
Die Mutter zeigt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf:
Rechtliche Beurteilung
1. Auch im Außerstreitverfahren gilt der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, weshalb Nachträge prinzipiell unzulässig sind (RIS‑Justiz RS0007007 [T10, T12]). Daher müssen auch allenfalls zulässige Neuerungen, die weder im Rekurs noch in dessen Beantwortung vorgetragen wurden, unbeachtlich bleiben (1 Ob 169/18m mwN = RIS‑Justiz RS0007007 [T28]). Die Zurückweisung der Rekursergänzung der Mutter durch das Rekursgericht entspricht damit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
2. Der Oberste Gerichtshof ist auch in Außerstreitsachen nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0108449 [T2]), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RIS‑Justiz RS0007236 [T1 bis T4, T6, T7]). Die Frage, auf welcher Beweisgrundlage Feststellungen getroffen wurden, betrifft den vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenbereich. Die Frage der Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens zu den Grundlagen der Beurteilung der Erziehungsfähigkeit der Mutter gehört ebenfalls in das Gebiet der Beweiswürdigung und ist daher mit Revisionsrekurs nicht bekämpfbar (vgl RIS‑Justiz RS0043163; RS0043371 [T15]).
3. Bei der Entscheidung über die Obsorge im Sinn des § 180 ABGB ist keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen, weil ausreichend auf das Wohl des Sohnes Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0007101 [T8]; RS0115719).
Grundsätzlich soll zwar im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 nunmehr die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein; besteht also eine „normale“ familiäre Situation zwischen den Eltern und auch zwischen den Eltern und dem Kind, so gelangt dieser Grundsatz zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0128811 [T1, T2]). Entscheidend ist aber, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es nämlich erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0128812 [T4]).
Nach der Trennung der Eltern wurde der gemeinsame Sohn (zusammen mit seinen beiden jüngeren Schwestern) Anfang Oktober 2015 durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger vom Haushalt der Mutter in ein Krisenzentrum überstellt. Seit November 2015 lebt er beim Vater. Der nunmehr 11-jährige ist deutlich entwicklungsverzögert. In der Vergangenheit beschimpfte ihn seine Mutter grob und nahm nicht nachvollziehbare Disziplinierungen, auch in Form von körperlicher Gewalt, vor. Er benötigt für seine weitere Entwicklung stabile vertrauensvolle Beziehungen, ein konsistentes feinfühliges und zugewandtes Verhalten der Bezugspersonen und Stabilität in seinen Lebensumständen. Seit dem Aufenthalt bei seinem Vater hat er zu ihm eine starke Beziehung entwickelt; dieser ist seine Hauptbezugsperson, an der er stark hängt. Er ist mit seiner jetzigen Situation zufrieden, wobei er auch zur Partnerin des Vaters eine gute Beziehung entwickelt hat. Die Mutter zeigt deutliche Einschränkungen ihrer Erziehungsfähigkeit. Zwischen den Eltern besteht großes Misstrauen. Der Vater hat großes Interesse daran, seine Aufgabe als Vater gut zu erfüllen, wird von der Kritik, die insbesondere von der Mutter kommt, deutlich irritiert und fühlt sich abgewertet. Immer wieder kommt es in unsicheren Situationen vor, dass vor allem die Mutter nicht die Kommunikation mit dem Vater herstellt, sondern den Kinder‑und Jugendhilfeträger involviert. Im Paarkonflikt verlieren die Eltern immer noch den Blick auf die gemeinsamen Kinder. Wichtig für die Entwicklung des gemeinsamen Sohnes sind stabile Umstände, wobei die Beziehung der Eltern zueinander und die Art miteinander zu kommunizieren, diese Stabilität gefährdet.
Wenn das Rekursgericht bei dieser festgestellten Gesamtkonstellation davon ausging, dass die gemeinsame Obsorge im konkreten Einzelfall nicht im Kindeswohl liegt, es an der ausreichenden Kommunikationsfähigkeit der Eltern mangelt und nach den Feststellungen weiters weder eine Mediation noch eine gemeinsame Erziehungsberatung aussichtsreich sind, weshalb dem Vater die alleinige Obsorge zu übertragen sei, ist dies nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter ist die Betrauung des Vaters mit der alleinigen Obsorge nachvollziehbar.
4. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil das Kontaktrecht (§ 187 Abs 1 ABGB) eingeräumt werden soll, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei regelmäßig erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen sind (RIS‑Justiz RS0087024 [T6]; RS0097114).
Dass den Vorinstanzen in diesem Zusammenhang eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, vermag die Mutter nicht aufzuzeigen. Die Festsetzung des Kontaktrechts entspricht den getroffenen Feststellungen, die auf der Empfehlung im eingeholten Sachverständigengutachten basieren. Die Mutter legt nicht konkret dar, welche Änderung sie hinsichtlich des Kontaktrechts anstrebt und stellt insoweit auch gar keinen Antrag auf Abänderung. Zudem steht fest, dass der Vater bindungstolerant ist, den Kontakt zwischen Mutter und Sohn fördert und auch bereit ist, zusätzliche Kontakte zuzulassen, die jedoch von der Mutter bisher – bis zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung – nur selten in Anspruch genommen wurden.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)