OGH 5Ob140/18a

OGH5Ob140/18a20.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Grohmann und Mag. Malesich sowie die Hofräte Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin S***** K*****, gegen die Antragsgegnerinnen 1. X***** GmbH, *****, 2. C***** AG, *****, beide vertreten durch Mag. Andreas Kleiber, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. März 2018, GZ 40 R 273/17v‑23, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 7. August 2017, GZ 95 Msch 20/15t‑20, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00140.18A.0220.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin ist Mieterin einer Wohnung im fünften Gemeindebezirk Wiens. Die Zweitantragsgegnerin war, die Erstantragsgegnerin ist Vermieterin dieser Wohnung.

Die Antragstellerin begehrte die Überprüfung der Zulässigkeit des Hauptmietzinses.

Das Erstgericht stellte in Bezug auf verschiedene Mietzinsperioden den gesetzlich zulässigen Hauptmietzins, dessen Überschreitung und die teilweise Unwirksamkeit des vereinbarten und vorgeschriebenen Hauptmietzinses fest. Zu der im Rechtsmittelverfahren strittigen Frage, ob bei der Ermittlung des höchstzulässigen Richtwertmietzinses ein Lagezuschlag nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG zu berücksichtigen ist, stellte das Erstgericht fest, dass die Wohnumgebung der Liegenschaft einen überwiegenden Gebäudebestand aufweist, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufgewiesen hat. Rechtlich folgerte es daraus, dass sich das Haus in einem Gründerzeitviertel befinde und daher ein Lagezuschlag gemäß § 2 Abs 3 RichtWG nicht zulässig sei. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gehe von dem für Wien von der Verwaltungsbehörde erstellten Verzeichnis sämtlicher als Gründerzeitviertel anzusehender Gebiete aus, welches nachvollziehbar und sorgfältig erstellt worden sei und der vom Gesetz gestellten Aufgabe entspreche, Gründerzeitviertel mit Hilfe vorhandener historischer (statistischer) Daten ausfindig zu machen. Der (Gegen‑)Beweis, dass eine Liegenschaft ungeachtet des veröffentlichten Plans oder des Straßenverzeichnisses doch nicht in einem Gründerzeitviertel liege, sei dem Vermieter nicht gelungen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerinnen nicht Folge. Die von dem von den Antragsgegnerinnen beauftragten Privatsachverständigen zur Abgrenzung des maßgeblichen Gebiets angewandte „Kreismethode“ führe zu willkürlichen Ergebnissen und sei daher nicht geeignet, die Wohnumgebung abzugrenzen, deren Gebäudebestand zu überprüfen sei. Den Gegenbeweis, dass der Gebäudebestand des in der Lagezuschlagskarte als Wohnumgebung zugrunde gelegten Zählbezirks nicht oder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags (24. 11. 2008) nicht mehr überwiegend aus Gründerzeithäusern bestanden habe, seien die Antragsgegnerinnen nicht angetreten. Dass das Erstgericht der Abgrenzung der Lage (Wohnumgebung) iSd § 2 Abs 3 2. Halbsatz RichtWG im vorliegenden Fall das auf der Lagezuschlagskarte basierende Gutachten zugrunde gelegt habe, beruhe auch auf einer zutreffenden Rechtsansicht. Welches Gebiet in welcher Ausdehnung der Gesetzgeber als „Lage (Wohnumgebung)“ iSd § 2 RichtWG verstanden wissen habe wollen, sei in erster Linie eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage. Aus den Gesetzesmaterialien gehe hervor, dass das Referenzgebiet (Evaluierungsgebiet), das auf seine Charakteristik als Gründerzeitviertel zu untersuchen sei, ein eher kleinerer räumlicher Bereich sein solle (mehrere Häuserblöcke oder Gassen, die Gebäude rund um einen kleinen Platz oder die Kirche), der durch einen ähnlichen Gebäudebestand charakterisiert werde, ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilde und im allgemeinen Sprachgebrauch oftmals auch als „Grätzl“ bezeichnet werde. Dabei komme es nicht darauf an, ob die zu beurteilende Wohnung in einem Gebäude in der Mitte oder am Rand eines solchen Gebiets liege, weil sich auch die Aktivitäten der Bewohner „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ (§ 2 Abs 3 RichtWG) häufig eher auf ihr „Grätzl“ als ihre Wohnumgebung konzentrieren, als die durch größere Straßenzüge oder völlig andersartige Bebauung geschaffenen Grenzen zu überschreiten. Diesen Kriterien entsprächen im Wesentlichen die Zählbezirke, auf deren Grundlage die Lagezuschlagskarte des Magistrats der Stadt Wien erstellt worden sei, und nach der seit der Schaffung des Richtwertregimes durch das 3. WÄG (BGBl 1993/800) in der mietrechtlichen Praxis die Abgrenzung der Wohnumgebung vorgenommen worden sei. Die kreisförmige Abgrenzung des zu überprüfenden Raumes trage der Intention des Gesetzgebers nicht Rechnung, weil damit ein zufälliges Gebiet zustande komme, das nicht der von § 2 Abs 3 RichtWG geforderten charakteristischen Wohnumgebung entspreche. Mit der kreisförmigen Abgrenzung würden nicht nur in ihrer Charakteristik zweifellos zusammengehörende Wohnanlagen, sondern auch Häuserblöcke und sogar einzelne Häuser durchschnitten, sodass bei solchen Häusern oft strittig sein werde, ob sie noch zum Evaluierungsgebiet zu zählen seien. Vor allem aber werde dadurch eine willkürliche und nicht der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechende Wohnumgebung definiert. Selbst wenn stets derselbe Radius angewendet werde, könne es dazu kommen, dass die Wohnumgebung zweier Wohnungen, die im selben Häuserblock liegen, durch die geringfügige Verschiebung des Evaluierungskreises einmal schon und einmal nicht als Gründerzeitviertel zu beurteilen sei. Wenn auch der Radius variiert werde, sei nicht einmal mehr die Wohnumgebung zweier im selben Haus liegenden Wohnungen gesichert dieselbe. Die „Kreismethode“ für die Festlegung der Wohnumgebung sei daher ungeeignet und abzulehnen. Die Zählbezirke umfassen nicht nur jeweils Gebiete mit vergleichbarem Gebäudebestand, wie von § 2 Abs 3 RichtWG gefordert, sie gewährleisteten außerdem aufgrund ihrer klar definierten Grenzen auch Rechtssicherheit darüber, welches Gebiet für die jeweilige Wohnung als Wohnumgebung zugrunde zu legen sei.

Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage der Tauglichkeit der „Kreismethode“ für die Festlegung der Lage (Wohnumgebung) noch nicht Stellung genommen habe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen mit dem Antrag, die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.

Die Antragstellerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.

1. Ein Lagezuschlag iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG ist (nur) dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG).

2. Was unter „durchschnittlicher Lage“ zu verstehen ist, definiert § 16 Abs 4 MRG nicht. Er verweist dazu vielmehr auf § 2 Abs 3 RichtWG (5 Ob 74/17v). Danach ist die durchschnittliche Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen, wobei eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich einzustufen ist (§ 2 Abs 3 zweiter Halbsatz RichtWG).

3. Der zweite Halbsatz des § 2 Abs 3 RichtWG kommt (nur) dann zum Tragen, wenn die Lage (Wohnumgebung) des fraglichen Hauses zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung noch zu mehr als 50 % aus Gebäuden besteht, die in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurden und die damals im Zeitpunkt ihrer Errichtung überwiegend kleine Wohnungen der Ausstattungskategorie D enthielten. Diese gesetzlich als jedenfalls höchstens durchschnittlich eingestuften Lagen werden in der Regel als „Gründerzeitviertel“ bezeichnet. Das relevante Gebiet, für das die in § 2 Abs 3 RichtWG genannten Kriterien zu prüfen sind, ist nach dem Ausschussbericht zum 3. Wohnrechtsänderungsgesetz (AB 1268 BlgNR 18. GP  19) nicht ein ganzer Bezirk oder Stadtteil, sondern mehrere Wohnblöcke oder Straßenzüge mit einer gleichartigen Gebäudecharakteristik. Die Frage der räumlichen Ausdehnung dieses „Evaluierungsraums“ und der Möglichkeiten seiner Ermittlung im konkreten Einzelfall wird im Schrifttum durchaus kontroversiell diskutiert(5 Ob 74/17v mwN). Die in der mietrechtlichen Praxis gängige Methode der Ermittlung der konkreten Lage in einem Gründerzeitviertel ist das vom Magistrat der Stadt Wien erstellte Verzeichnis sämtlicher Gründerzeitviertel (vgl VfGH Erkenntnis vom 12. 10. 2016 G 673/2015 [ua]). Der (Gegen‑)Beweis, dass eine Liegenschaft ungeachtet des veröffentlichten Plans oder des Straßenverzeichnisses doch nicht in einem Gründerzeitviertel liegt, wird als zulässig angesehen. Insbesondere kann, wenn in dem betroffenen Evaluierungsraum entsprechend viele Häuser aus der Zeit von 1870 bis 1917 mittlerweile Neubauten gewichen sind, auch ein ursprüngliches Gründerzeitviertel in der Umschreibung des § 2 Abs 3 zweiter Halbsatz RichtWG zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags zu einer Wohnumgebung geworden sein, auf die die Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags nicht mehr zutrifft (5 Ob 74/17v, 5 Ob 102/17m, 5 Ob 43/17k, 5 Ob 188/14d; vgl auch VfGH G 673/2015 [ua]).

4. Das Erstgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Wohnumgebung der Liegenschaft einen überwiegenden Gebäudebestand aufweist, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufgewiesen hat, sowie – disloziert in der rechtlichen Beurteilung – dass das Haus sich in einem „Gründerzeitviertel“ befindet. Das Rekursgericht erachtete die von den Antragsgegnerinnen dagegen erhobene Beweisrüge als nicht berechtigt. Dieses von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens unterliegt als Frage der Beweiswürdigung keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (5 Ob 43/17k; 5 Ob 102/17m; RIS‑Justiz RS0007236 [T4, T7]; vgl auch RS0043122). Die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Frage nach der Tauglichkeit der „Kreismethode“ für die Festlegung der Lage (Wohnumgebung) ist daher bloß theoretischer Natur (RIS‑Justiz RS0111271).

5.  Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte