OGH 5Ob102/17m

OGH5Ob102/17m27.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin D* P*, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegner 1. „E*“ * Gesellschaft m.b.H., *, 2. „Z*“ * GmbH, *, beide vertreten durch die Engin-Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG, Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Jänner 2017, GZ 40 R 120/16t‑58, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 29. Oktober 2015, GZ 8 Msch 9/15w‑47, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E118703

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerinnen sind schuldig, der Antragstellerin die mit 368,95 EUR (darin enthalten 61,49 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Erstgericht stellte mit seinem Sachbeschluss den für einzelne Perioden jeweils zulässigen Hauptmietzins fest, erklärte die Hauptmietzinsvereinbarung vom 31. 1. 2011, soweit sie den zulässigen Mietzins übersteigt, sowie die aufgrund einer Wertsicherungsvereinbarung erfolgten Mietzinsanhebungen im jeweils konkret angeführten Umfang für unwirksam und verpflichtete die Antragsgegner zur Rückzahlung der von der Antragstellerin zu viel geleisteten Beträge. Das Bestandobjekt befinde sich in einem Gründerzeitviertel, weshalb die Lage zwingend als „höchstens durchschnittlich“ zu beurteilen sei. Den Gegenbeweis, dass mehr als die Hälfte der Gebäude nicht mehr aus dem Errichtungszeitraum 1870 bis 1917 stammten, etwa weil zahlreiche ursprünglich vorhandene Gebäude aus der Gründerzeit abgerissen und durch Neubauten ersetzt worden wären, hätten die Antragsgegner nicht erbracht.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den Revisionsrekurs über Zulassungsvorstellung der Antragsgegnerinnen gemäß § 63 AußStrG zu, weil „in § 2 Abs 3 RichtWG die Ausdehnung jener 'Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat' nicht näher definiert ist, sodass der Festlegung des 'Evaluierungsraumes' bzw des 'Wohnviertels', hinsichtlich dessen geprüft wird, ob die Voraussetzungen eines sogenannten 'Gründerzeitviertels' im Sinne des § 2 Abs 3 RichtWG vorliegen bzw allenfalls aufgrund baulicher Veränderungen nicht mehr vorliegen, entscheidende Bedeutung für die Frage zukommt, ob ein Lagezuschlag verrechnet werden darf“, und der Oberste Gerichtshof zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen habe.

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 AußStrG):

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 16 Abs 4 zweiter Halbsatz MRG ist ein Lagezuschlag nach Abs 3 Z 3 leg cit nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG). Die Revisionsrekurswerberinnen relevieren ausschließlich Fragen in diesem Zusammenhang und meinen, ein Lagezuschlag sei der vertraglichen Mietzinsregelung zulässig zugrunde gelegt worden, weil die Wohnumgebung, in die der Mietgegenstand eingebunden sei, nicht mehr in einem historischen Gründerzeitviertel liege.

2.1 Die Frage, ob und in welcher Höhe Zuschläge zum Richtwertmietzins gerechtfertigt sind, hängt ganz allgemein von den Umständen des Einzelfalls ab und unterliegt deshalb grundsätzlich keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RIS-Justiz RS0116132).

2.2 Nach § 2 Abs 3 Richtwertgesetz (RichtWG) ist die durchschnittliche Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RIS-Justiz RS0111204), wobei eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich einzustufen ist. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen, dass durch diese, auf die sogenannten Gründerzeitviertel hinweisende Bestimmung für Wiener Verhältnisse lediglich klargestellt werde, dass eine derartige Lage als durchschnittlich und daher als Merkmal einer Normwohnung zu qualifizieren sei (5 Ob 188/14d mwN).

2.3 Das Erstgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass sich die Liegenschaft in einem „Gründerzeitviertel“ befindet, also in einer Wohnumgebung mit einem überwiegend dementsprechenden Gebäudebestand liegt. Den nach der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl 5 Ob 43/17k) zulässigen Gegenbeweis der Entwicklung des konkreten Wohnviertels zu einem „Nicht‑(mehr‑)Gründerzeitviertel“ (wie bei Ersatz einer solchen Anzahl von Gründerzeitgebäude durch Neubauten, dass diese nicht mehr überwiegen) sah es als nicht erbracht an. Das Rekursgericht erachtete die von den Antragstellerinnen dagegen erhobenen Beweisrüge als nicht berechtigt. Diese Frage der Beweiswürdigung kann damit vor dem Obersten Gerichtshof nicht neuerlich aufgerollt werden (RIS-Justiz RS0007236 [T4; T7]).

2.4 Steht für den Obersten Gerichtshof bindend (vgl RIS-Justiz RS0007070 [T1]) fest, dass das Bestandobjekt in einer Wohnumgebung mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufgewiesen hat, kommt der vom Rekursgericht als erheblich erachteten Frage nach der konkreten räumlichen Ausdehnung der Wohnumgebung („Evaluierungsraum“) keine rechtliche Bedeutung zu. Die Beantwortung bloß theoretischer Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0111271).

3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. 10. 2016 (G 673/2015 ua) § 2 Abs 3 zweiter Halbsatz RichtWG (iVm § 16 Abs 4 MRG: kein Lagezuschlag in „Gründerzeitvierteln“) als verfassungskonform beurteilt. Damit erübrigt es sich, auf die von den Revisisonswerberinnen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zu § 2 Abs 3 RichtWG näher einzugehen.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die Antragstellerin hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel nicht zulässig ist. Es entspricht der Billigkeit, ihr die Kosten für die Rechtsmittelgegenschrift zuzusprechen (RIS-Justiz RS0122294 [T1]). Zu berücksichtigen war jedoch, dass die Bemessungsgrundlage nach § 10 Z 3 lit a) cc) RATG 1.000 EUR beträgt.

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