OGH 5Ob12/19d

OGH5Ob12/19d20.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Grohmann und Mag. Malesich sowie die Hofräte Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin M*, vertreten durch Mag. Wolfgang Seifert, Rechtsanwalt in Wien, gegen sämtliche Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG 01101 *, darunter 5. E*, 6. L*, 7. A*, 8. N*, ebenda, 10. S* GmbH, *, 11. Mag. A*, ebenda, 14. H*, 15. A*, 16. Dr. I*, 17. Dr. E*, ebenda, alle vertreten durch Dr. Thomas Wiesinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 9 WEG iVm § 32 Abs 5 WEG über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. September 2018, GZ 39 R 205/18t‑27, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 9. Mai 2018, GZ 5 Msch 14/17f‑21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124881

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, den 5.‑, 6.‑, 7.‑, 8.‑, 10.‑, 11.‑, 14.‑, 15.‑, 16.‑ und 17.‑Antragsgegnern binnen 14 Tagen deren mit 626,90 EUR (darin 104,48 EUR USt) bestimmte Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Parteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer eines Hauses. Die Antragstellerin begehrte die Festsetzung eines abweichenden Aufteilungsschlüssels für die Personenaufzugskosten. Ihre Eigentumswohnung befinde sich im Erdgeschoss, der Personenaufzug verbinde lediglich die Obergeschosse und fahre nicht in den Keller.

Die sich am Verfahren beteiligenden Antragsgegner wendeten ein, der Aufteilungsschlüssel sei auch für die Personenaufzugskosten mittels einstimmiger Vereinbarung aller Wohnungseigentümer im Wohnungseigentumsvertrag festgelegt worden, auch die Antragstellerin habe diesen unterschrieben. Von dieser Vereinbarung dürfe gemäß § 32 Abs 2 WEG nur im Fall einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeiten abgewichen werden, die nicht vorliege.

Das Erstgericht setzte den Aufteilungsschlüssel betreffend die Aufwendungen für den Personenaufzug des Hauses mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2018 gemäß § 32 Abs 5 WEG neu fest und ordnete die Ersichtlichmachung des Aufteilungsschlüssels im Grundbuch an.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegner Folge und wies das Begehren auf Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels für die Liftkosten ab. Es ging davon aus, dass die Mit‑ und Wohnungseigentümer im Punkt IX des Wohnungseigentumsvertrags eine von der gesetzlichen Bestimmung des § 32 Abs 1 WEG abweichende Vereinbarung über die Aufteilung der Liegenschaftsaufwendungen getroffen hätten. Dabei dürfe nicht nur isoliert ein Teil der Vereinbarung herausgegriffen werden, sondern die dort getroffenen Regelungen über die Aufteilung der Liegenschaftsaufwendungen seien insgesamt und in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Die Mit‑ und Wohnungseigentümer hätten eine umfangreiche und in weiten Teilen von der gesetzlichen Bestimmung des § 32 Abs 1 WEG abweichende Regelung getroffen, betreffend die Aufteilung der Liftkosten hätten sie die Beibehaltung des gesetzlich vorgesehenen Aufteilungsschlüssels ausdrücklich vereinbart. Nach § 32 Abs 5 WEG setze bei Bestehen einer Vereinbarung über einen abweichenden Verteilungsschlüssel iSd § 32 Abs 2 WEG eine gerichtliche Änderung dieses Schlüssels voraus, dass sich seit der Vereinbarung eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten ergeben habe. Eine derartige Änderung habe die Antragstellerin nicht behauptet. Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob eine vom gesetzlichen Aufteilungsschlüssel abweichende Vereinbarung iSd § 32 Abs 2 WEG über jede einzelne Aufwendung getroffen werden müsse oder ob es genüge, dass insgesamt eine Vereinbarung über die Liegenschaftsaufwendungen getroffen wurde, die (wenngleich nicht in allen Punkten) von der gesetzlichen Regelung abweicht.

Dagegen richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin, in dem sie eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Sachbeschlusses anstrebt. Die Antragsgegner beantragen den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der ordentliche Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

1. Ein Bewertungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz nach § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG ist unanfechtbar, wenn weder zwingende Bewertungsvorschriften verletzt wurden, eine offenkundige Unter‑ oder Überbewertung vorliegt, noch eine Bewertung überhaupt hätte unterbleiben müssen (5 Ob 278/08f mwN zu einem Antrag nach § 52 Abs 1 Z 9 WEG 2002). Die gegen die Bewertung des Rekursgerichts erhobenen Einwände der Antragsgegner gehen schon aus diesem Grund ins Leere. Abgesehen davon ist die Bewertung des Entscheidungsgegenstands hier nicht relevant, zumal das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs ohnedies für zulässig erklärt hat.

2.1 Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS‑Justiz RS0042776). Dies gilt grundsätzlich auch für die Frage, ob ein von § 32 Abs 1 Satz 2 WEG abweichender Verteilungsschlüssel vereinbart wurde (RIS‑Justiz RS0042776 [T40]). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts ist hier nicht zu erkennen:

2.2 Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (RIS‑Justiz RS0117165) ist – wenn ein gesetzliches Schriftformgebot besteht – die ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt. Sowohl der Wohnungseigentumsvertrag als auch Vereinbarungen der Mit‑ und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG 2002, die der Schriftform bedürfen, sind somit nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut zu interpretieren (5 Ob 198/16b mwN; 5 Ob 17/16k). Auf den Willen der vertragsschließenden Parteien kommt es insoweit nicht an. Von diesen Auslegungsgrundsätzen ist das Rekursgericht nicht abgewichen.

2.3 § 32 Abs 1 Satz 1 WEG ordnet an, dass die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen sind. Gemäß § 32 Abs 2 WEG können sämtliche Wohnungseigentümer einen von der Regelung des Abs 1 abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen. In der Entscheidung 5 Ob 3/10t sah der Fachsenat die Auslegung einer im Wohnungseigentumsvertrag getroffenen Vereinbarung „vom gesetzlichen Aufteilungsschlüssel ... nicht abzuweichen und seien diese Anteile entsprechend den Nutzwerten zu tragen...“ dahin, dass dort eine von § 32 Abs 1 Satz 2 WEG (aufgrund bestehender Altmietverhältnisse) abweichende Vereinbarung nicht getroffen worden sei, als im Einzelfall nicht korrekturbedürftig an. Daraus ist schon deshalb nichts für den Standpunkt der Antragstellerin zu gewinnen, weil der Fachsenat dort ausdrücklich darauf hinwies, dass das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd (dort) § 502 Abs 1 ZPO nicht schon dadurch begründet werde, dass auch die vom dortigen Kläger gewünschte Auslegung denkmöglich erscheine.

2.4 Hier setzt die Antragstellerin der Argumentation des Rekursgerichts im Wesentlichen entgegen, für die Beurteilung der von ihr begehrten Neufestsetzung der Liftbetriebskosten könne ausschließlich die Frage von Bedeutung sein, ob hiefür eine abweichende Vereinbarung nach § 32 Abs 2 WEG 2002 getroffen worden sei. Da die Parteien im Wohnungseigentumsvertrag diesbezüglich die Beibehaltung des gesetzlichen Aufteilungsschlüssels festgelegt hätten, sei insoweit nicht von einer abweichenden Vereinbarung nach § 32 Abs 2 WEG auszugehen. Die Auslegung des Rekursgerichts steht allerdings entgegen den Revisionsrekursausführungen sowohl mit dem objektiven Wortlaut der Vereinbarung als auch mit dem Gesetzestext des § 32 WEG im Einklang und ist daher nicht korrekturbedürftig:

2.5 In dem auch von der Antragstellerin unterfertigten Wohnungseigentumsvertrag wurde unter Punkt IX eine umfassende Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels im Bezug auf die unter lit b bis e genannten Kosten getroffen. Auch die Betriebs‑, Instandhaltungs‑ und Erneuerungskosten des Lifts wurden dort (lit c) ausdrücklich genannt und vereinbart, sie nach dem gesetzlichen Schlüssel aufzuteilen. Eine derartige Vereinbarung war nach der Systematik dieser Vertragsbestimmung erforderlich, weil grundsätzlich (vgl Punkt IX lit b) alle Aufwendungen für die Liegenschaft im Verhältnis der reinen Nutzflächen der einzelnen Wohnungen bzw selbständigen Einheiten aufgeteilt wurden. Nach dem Gesamtkontext dieser Vereinbarung davon auszugehen, es handle sich um eine einheitliche Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels (die in Bezug auf eine einzelne Post, nämlich die Liftkosten entgegen den übrigen Bestimmungen ausdrücklich die Vereinbarung des gesetzlichen Aufteilungsschlüssels beinhaltete) ist somit keinesfalls unvertretbar. Diese Auslegung wird auch dadurch gestützt, dass die Vertragsteile im letzten Absatz des Punkts IX ihre Zustimmung zur Ersichtlichmachung des abweichenden Abrechnungs‑ und Aufteilungsschlüssels gemäß § 32 Abs 8 WEG 2002 ohne jegliche Einschränkung erteilten, woraus sich ergibt, dass sie die gesamte Vereinbarung im Punkt IX des Wohnungseigentumsvertrags als einheitliche Vereinbarung werteten. Dass § 32 Abs 2 WEG ausdrücklich anordnet, dass sämtliche Wohnungseigentümer einen von der Regelung des Abs 1 abweichenden Aufteilungsschlüssel festlegen können, stützt ebenfalls die Auslegung des Rekursgerichts. Dass § 32 Abs 8 WEG im Zusammenhang mit der Möglichkeit der grundbücherlichen Ersichtlichmachung von der Regelung des Abs 1 abweichender Aufteilungsschlüssel in der Mehrzahl spricht, hat entgegen den Revisionsrekursausführungen keine Aussagekraft in Bezug auf die Frage, ob eine einheitliche im Wohnungseigentumsvertrag getroffene Regelung eines abweichenden Aufteilungsschlüssels tatsächlich auch in jedem einzelnen Punkt eine Abweichung vom Gesetz beinhalten muss oder nicht. Das von der Antragstellerin befürchtete „Durchschlagen“ abweichender Regelungen für einzelne Liegenschaftsaufwendungen auf sämtliche nicht abweichend geregelte Aufwendungen ist nicht nachvollziehbar. Geht man – wie hier das Rekursgericht – davon aus, dass im Rahmen einer einheitlichen Vereinbarung eines weitgehend vom Gesetz abweichenden Verteilungsschlüssels in Bezug auf ganz bestimmte Aufwendungen – wie hier die Personenaufzugskosten – ausdrücklich die Beibehaltung des gesetzlichen Aufteilungsschlüssels vereinbart werden kann, bedarf es in Bezug auf die Abänderung einer derartigen, als einheitlich zu wertenden Vereinbarung nach § 32 Abs 5 WEG eben einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeiten. Dies entspricht auch der grundsätzlichen Zielsetzung dieser Bestimmung, dort, wo eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über einen abweichenden Verteilungsschlüssel vorliegt, primär auf diese abzustellen und aus dem Umstand alleine, dass erheblich unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten vorliegen, noch nicht die Möglichkeit abzuleiten, einen Antrag nach § 32 Abs 5 WEG zu stellen.

2.6 Die Auslegung des Rekursgerichts im konkreten Fall entspricht daher sowohl dem objektiven Wortlaut des Wohnungseigentumsvertrags als auch der Gesetzeslage, auf die Erwägungen der Entscheidung 5 Ob 129/14b, der gerade keine Vereinbarung iSd § 32 Abs 2 WEG zugrunde lag, kommt es somit nicht an.

3. Der ordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

4. Die sich am Verfahren beteiligenden Antragsgegner haben auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, weshalb ihnen nach § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG ihre tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zuzusprechen waren.

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