OGH 4Ob175/18s

OGH4Ob175/18s29.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Mag. Ingomar Arnez und Mag. Klaus R. Nagele, Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei I***** M*****, vertreten durch die Schlösser & Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 44.704,48 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. Juni 2018, GZ 4 R 43/18b‑66, mit dem das (Teil- und Zwischen‑)Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. Jänner 2018, GZ 28 Cg 140/15x‑62, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00175.18S.0129.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.260,08 EUR (darin 376,68 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung nach schweizerischem Recht hat an ihre in der Schweiz wohnende Versicherungsnehmerin für als Folge eines Schiunfalls in Österreich erlittene Verletzungen Leistungen erbracht.

Die Vorinstanzen sprachen aus, dass das Klagebegehren, die am Unfall zur Hälfte mitschuldige Beklagte habe der Klägerin für diese Leistungen 44.704,48 EUR sA zu zahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe und die Beklagte der Klägerin für 50 % künftiger unfallskausaler Schäden hafte. Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil keine neuere Rechtsprechung zur Frage des anwendbaren Rechts bei Regressforderungen eines schweizerischen Sozialversicherungsträgers bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dass der Schadenersatzanspruch der Versicherungsnehmerin der Klägerin auf diese übergegangen ist, wird von der Revisionswerberin nicht in Frage gestellt. Sie gesteht auch zu, dass Art 85 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: VO Nr 883/2004) anzuwenden ist, meint aber, dies treffe auf Art 19 der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (in der Folge: Rom II‑VO) nicht zu; der Anspruch sei nach schweizerischem Recht zu beurteilen und demnach verjährt. Die Beklagte zeigt weder damit noch sonst in ihrer Revision eine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1. Nach Art 1 Abs 1 der unmittelbar anzuwendenden Rom II‑VO gilt diese für außervertragliche Schuldverhältnisse (Art 2 leg cit) in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.

Die Rom II‑VO verlangt damit nicht, dass der Sachverhalt einen Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten aufweist, sondern sie gilt auch dann, wenn der Sachverhalt – wie hier – Bezüge nur zu einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat aufweist (RIS‑Justiz RS0129416; vgl Unberath/Cziupka in Rauscher, EuZPR/EuIPR III4 [2016] Art 1 Rom II‑VO Rn 3 f).

1.2. Nach Art 4 Rom II‑VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Damit ist an den Staat anzuknüpfen, in dem der (Personen- oder Sach-) Schaden selbst tatsächlich eingetreten ist (lex loci damni), unabhängig von dem Staat oder den Staaten, in dem bzw denen die indirekten Folgen auftreten könnten (ErwGr 16 ff Rom II‑VO).

1.3. Das nach der Rom II‑VO auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist nach Art 15 leg cit insbesondere maßgebend unter anderem für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können (lit a), die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung (lit b), das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung (lit c) und die Bedingungen für das Erlöschen von Verpflichtungen und die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste, einschließlich der Vorschriften über den Beginn, die Unterbrechung und die Hemmung der Verjährungsfristen und der Fristen für den Rechtsverlust (lit h).

1.4. Der gegenständliche Unfall hat sich in Österreich ereignet und der Schaden – die Körperverletzung der schweizer Versicherungsnehmerin – ist in Österreich eingetreten. Auf das außervertragliche Schuldverhältnis zwischen den Unfallbeteiligten ist daher österreichisches Recht einschließlich seiner Verjährungsbestimmungen anzuwenden.

2.1. Nach der Kollisionsnorm des Art 19 Rom II‑VO („gesetzlicher Forderungsübergang“) gilt Folgendes: Hat eine Person („der Gläubiger“) aufgrund eines außervertraglichen Schuldverhältnisses eine Forderung gegen eine andere Person („den Schuldner“) und hat ein Dritter die Verpflichtung, den Gläubiger zu befriedigen, oder befriedigt er den Gläubiger aufgrund dieser Verpflichtung, so bestimmt das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehungen maßgebenden Recht geltend zu machen berechtigt ist.

2.2. Nach Art 85 Abs 1 VO Nr 883/2004 – der auch im Verhältnis zwischen EU und der Schweiz anzuwenden ist – gilt dann, wenn einer Person nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Leistungen für einen Schaden gewährt werden, der sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen Ereignis ergibt, für etwaige Ansprüche des zur Leistung verpflichteten Trägers gegenüber einem zum Schadenersatz verpflichteten Dritten, dass jeder Mitgliedstaat den Übergang von Ansprüchen, die der Leistungsempfänger gegenüber dem Dritten hat, nach den für den zur Leistung verpflichteten Träger geltenden Rechtsvorschriften anerkennt.

3. Bei Beurteilung der Legalzession einer Ersatzforderung ist daher zwischen dem für den Anspruch maßgeblichen Schuldstatut und dem für die Zession maßgeblichen Recht (Zessionstatut) zu unterscheiden (RIS‑Justiz RS0045258, RS0045287; vgl Neumayr/Huber in Schwimann/G. Kodek 4 § 332 ASVG Rz 117 mwN).

3.1. Der gesetzliche Übergang von Forderungen mit außervertraglicher Grundlage ist nach dem Zessionsgrundstatut zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0077439 [T2]). Maßgeblich ist demnach das Sachrecht jener Rechtsordnung, die die Leistungspflicht eines Drittzahlers verfügt und damit den Zessionsgrund liefert (RIS‑Justiz RS0083638). Voraussetzungen und Inhalt der Legalzession hinsichtlich der Schadenersatzansprüche eines verletzten Versicherten an einen ausländischen Sozialversicherungsträger sind nach dem Recht zu beurteilen, dem dieses Versicherungsverhältnis unterworfen ist (vgl RIS‑Justiz RS0045287 [T1],

RS0045260).

3.2. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof zu Art 15 der Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I‑VO) festgehalten, dass ein gesetzlicher Forderungsübergang dem Zessionsgrundstatut unterstellt ist, also jener Rechtsordnung, die die Leistungspflicht des Drittzahlers verfügt und damit den Zessionsgrund geliefert hat (4 Ob 40/13f = RIS‑Justiz RS0129065). Dasselbe gilt auch für den weitgehend wort‑ und im Kern inhaltsgleichen Art 19 Rom II‑VO (oben 2.1.).

3.3. Bereits das Berufungsgericht hat auf Art 72 des schweizerischen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (in der Folge: ATSG) hingewiesen, dessen Abs 1 Grundlage für den Übergang der Ansprüche der Versicherungsnehmerin auf die Klägerin ist (Zessionstatut). Dies wird von der Revision nicht in Frage gestellt.

4.1. Der Bestand der zedierten Forderung ist hingegen gesondert nach dem Statut der Forderung (Forderungsstatut) zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0045258 [insb T1]). Auf das der Abrechnung zugrundeliegende Kausalverhältnis, also Grund und Umfang des durch Legalzession übergegangenen Anspruchs, ist daher das Recht des Deliktsortes anzuwenden; dies gilt auch für Bestimmungen über die Verjährung des Anspruchs (Art 15 lit h Rom II‑VO; vgl schon zu § 48 IPRG RIS‑Justiz

RS0045260; vgl Neumayr in KBB5 [2017] Art 15 Rom II‑VO Rz 3; Neumayr/Huber in Schwimann/G. Kodek 4 § 332 ASVG [2016] Rz 101 und 117).

4.2. Warum – wie die Revisionswerberin meint – Art 85 Abs 1 VO Nr 883/2004 auch für das Deliktsstatut auf schweizerisches Schadenersatz- und Verjährungsrecht verweisen soll, ist nicht nachvollziehbar. „Diese Rechtsvorschriften“ nach Art 85 Abs 2 leg cit sind nach dem völlig klaren Wortlaut dieser Bestimmung solche, in denen festgelegt ist, in welchen Fällen die Arbeitgeber oder ihre Arbeitnehmer von der Haftung befreit sind, beziehen sich also auf Dienstgeberhaftungsprivilegien (vgl § 333 ASVG), was hier irrelevant ist. Wie sonst Art 85 leg cit als von der – grundsätzlich den Erfolgsort als Deliktsstatut festlegenden – Regel des Art 4 Rom II‑VO abweichende Kollisionsnorm (§ 28 Rom II‑VO; vgl Atria in Sonntag, ASVG9 [2018] § 332 Rz 9) verstanden werden könnte, zeigt die Revision nicht auf.

4.3. Zusammengefasst ist die Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass die Frage der Verjährung nach österreichischem Recht als dem Deliktsstatut zu beurteilen ist, und dass die Frist des § 1489 ABGB keinesfalls abgelaufen ist, weil die Klage weniger als drei Jahren nach dem Unfall gerichtsanhängig gemacht wurde.

5.1. Die Beurteilung des Verschuldensgrades unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS‑Justiz RS0087606). Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen– von einer krassen Verkennung der Rechtslage abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage zu lösen ist (RIS‑Justiz RS0087606 [T2]).

5.2. Nach der Beurteilung der Vorinstanzen haben sich beide parallel talwärts fahrende Schifahrerinnen den FIS‑Regeln 1 und 2 zuwider verhalten, als sie beide beim Setzen gegengleicher Schwünge weder einen ausreichenden Seitenabstand eingehalten noch ihnen mögliche unfallvermeidende Reaktionen auf das wechselseitig bereits ein bis zwei Schwünge vor der Kollision erkennbare Herannahen der Anderen gesetzt haben, weshalb sie ein gleichteiliges Verschulden an der Kollision treffe. Die Revision zeigt nicht auf, inwieweit diese Beurteilung des festgestellten Sachverhalts durch die Vorinstanzen fehlerhaft sein soll.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 4150 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der in den Vorinstanzen ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im – hier vorliegenden – Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0129365 [T1, T3]).

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