European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E123743
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war Halter und Zulassungsbesitzer eines Pkw, der am 28. 11. 2015 bei einem Unfall ohne Beteiligung eines weiteren Verkehrsteilnehmers beschädigt wurde. Gelenkt wurde der Pkw entweder vom Stiefsohn des Klägers oder von der Beklagten, der der Kläger das Fahrzeug überlassen hatte.
Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz seines mit 13.757 EUR sA bezifferten Schadens. Selbst wenn sie das Fahrzeug im Unfallszeitpunkt nicht selbst gelenkt, sondern es an den Stiefsohn weitergegeben haben sollte, trage sie dennoch die Verantwortung für den Schaden.
Die Beklagte wandte ein, es treffe sie kein Verschulden, weil das Fahrzeug im Unfallszeitpunkt vom Stiefsohn des Klägers gelenkt worden sei. Dass dieser keine Lenkberechtigung besessen habe, habe sie erst nach dem Unfall erfahren. Ein Vertragsverhältnis zum Kläger habe nicht bestanden. Dieser habe ihr das Fahrzeug bloß aus Gefälligkeit überlassen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 13.513 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 244 EUR sA ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf folgenden Sachverhalt:
Der Stiefsohn des Klägers und die damals mit ihm befreundete Beklagte befanden sich auf der Liegenschaft des Klägers. Da der Stiefsohn Besorgungen im Ortsgebiet machen wollte, bat er die Beklagte, ihn zu diesem Zweck mit dem Fahrzeug des Klägers zu chauffieren. Die Beklagte wusste, dass er über keine Lenkberechtigung verfügte. Der Stiefsohn fragte den Kläger, ob die Beklagte mit dessen Pkw fahren könnte. Der Kläger erwiderte, dass er vorher noch ihren Führerschein sehen wolle. Nachdem die Beklagte ihm ihren Führerschein gezeigt hatte, übergab er ihr den Fahrzeugschlüssel und ermahnte sie, vorsichtig zu sein, da das Fahrzeug über 150 PS verfüge. Die Beklagte verließ darauf mit dem am Beifahrersitz sitzenden Stiefsohn die Liegenschaft des Klägers. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Beklagte und der Stiefsohn in der Folge die Sitzplätze tauschten und wer von ihnen das Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt lenkte. Zum Unfall kam es, weil das Fahrzeug infolge eines Fahrfehlers ins Schleudern geriet, von der Fahrbahn abkam und sich überschlug. Am Pkw trat dadurch wirtschaftlicher Totalschaden ein. Den erhebenden Polizeibeamten gegenüber gaben die Beklagte und der Stiefsohn an, dass die Beklagte das Fahrzeug gelenkt habe, was diese später widerrief.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, es könne dahingestellt bleiben, ob eine vertragliche Bindung zwischen den Streitteilen bestanden habe, weil die Beklagte jedenfalls für den Schaden hafte. Sollte sie selbst gefahren sein, treffe sie das Verschulden an dem Unfall und habe den dabei verursachten Schaden zu ersetzen. Sollte sie den ihr übergebenen Pkw an den Stiefsohn weitergegeben haben, insbesondere im Wissen um dessen fehlende Lenkberechtigung, habe sie ebenfalls für den Schaden einzustehen.
Das nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Es vertrat die Ansicht, es könne auf sich beruhen, ob die Feststellung, die Beklagte habe von der fehlenden Lenkberechtigung des Stiefsohns Kenntnis gehabt, wie in der Berufung behauptet „überschießend“ und daher nicht zu berücksichtigen sei. Gemäß § 102 Abs 8 KFG hätte die Beklagte das Lenken des Fahrzeugs ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers nicht einer dritten Person überlassen dürfen. Wenn sie das – wie sie behaupte – dennoch getan habe, noch dazu ohne vorherige Abklärung einer vorhandenen Lenkberechtigung, hätte sie auch dann ein schuldhaftes Fehlverhalten zu verantworten, sodass sie für den Schaden jedenfalls hafte.
Über Antrag der Beklagten ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich doch zu, weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob auch die vermögensrechtlichen Interessen des Zulassungsbesitzers vom Schutzzweck des § 102 Abs 8 KFG erfasst seien.
Gegen das zweitinstanzliche Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Revisionsbeantwortung des Klägers wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Berufungsgerichts als verspätet zurückgewiesen.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, der Schutzzweck des § 102 Abs 8 KFG sei nur auf die Vermeidung einer Schädigung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gerichtet, nicht aber auch der Schädigung des Zulassungsbesitzers. Im Verhältnis zwischen Zulassungsbesitzer und Lenker bedürfe es einer Interessenabwägung, die hier zugunsten der Beklagten ausschlage, weil sie vom Kläger auf die mangelnde Lenkberechtigung des Stiefsohns nicht hingewiesen worden sei. Es liege daher kein verbotswidriges Verhalten der Beklagten vor. Die Berücksichtigung der überschießenden Feststellung sei unzulässig.
Hiezu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
1. § 102 KFG regelt die Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers. Gemäß Abs 8 dieser Bestimmung darf der Lenker das Lenken eines ihm übergebenen Kraftfahrzeugs ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers nicht dritten Personen überlassen.
2. Diese Verbotsnorm ist im Zusammenhang mit den in § 103 KFG geregelten Pflichten des Zulassungsbesitzers zu sehen:
Soweit hier von Bedeutung darf der Zulassungsbesitzer nach § 103 Abs 1 Z 3 lit a KFG das Lenken seines Kraftfahrzeugs nur Personen überlassen, die die erforderliche Lenkberechtigung besitzen. Er hat sich daher vor der Überlassung davon zu überzeugen, ob die Person, der das Kraftfahrzeug überlassen werden soll, die Lenkberechtigung besitzt (vgl 2 Ob 343/65 SZ 38/2014; 2 Ob 20/68 ZVR 1969/289; RIS-Justiz RS0058359). Dieselbe Verpflichtung trifft den Zulassungsbesitzer aber, will man einen Wertungswiderspruch vermeiden, auch dann, wenn es um die Erteilung der nach § 102 Abs 8 KFG erforderlichen Zustimmung zur Überlassung seines Kraftfahrzeugs durch den Lenker an eine dritte Person geht. Letztlich liegt es daher stets in der Verantwortung des Zulassungsbesitzers, dass nur ein dazu berechtigter Lenker sein Kraftfahrzeug lenkt.
3. § 103 Abs 1 Z 3 KFG ist eine Schutznorm iSd § 1311 ABGB, die allen Schäden, die durch mangelnde Fahrtauglichkeit des Lenkers verursacht werden, vorzubeugen sucht und deren Zweck im Schutz der Allgemeinheit liegt. Sie bezweckt nur nicht den Schutz des Fahrers selbst oder jener Person, die trotz Kenntnis von der fehlenden Lenkberechtigung des Lenkers im Kraftfahrzeug mitfährt (8 Ob 193/83 ZVR 1985/8; 8 Ob 69/87 ZVR 1988/153; 2 Ob 155/09x; RIS-Justiz RS0065833). Auch der Zulassungsbesitzer selbst, dessen Verpflichtung zur Nichtüberlassung seines Fahrzeugs an einen fahruntauglichen Lenker die Bestimmung ja gerade regelt, wird von deren Schutzzweck nicht erfasst (vgl 8 Ob 69/87).
4. Auf dieser Grundlage ist jedenfalls – wie selbst die Beklagte nicht bezweifelt – auch § 102 Abs 8 KFG als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu beurteilen, die wertungsmäßig jener des § 103 Abs 1 Z 3 KFG entspricht. Auch diese Schutznorm bezweckt daher grundsätzlich den Schutz der Allgemeinheit vor Schäden, die infolge der mangelnden Fahrtauglichkeit eines Lenkers drohen, wobei allerdings aus folgenden Gründen der Kreis der von der Schutzwirkung erfassten Personen um die Person des Zulassungsbesitzers zu erweitern ist.
5. Dies ergibt sich schon aus dem Erfordernis seiner Zustimmung zur Weitergabe des Fahrzeugs, womit die Norm offenkundig (auch) die Möglichkeit der Beurteilung des Zulassungsbesitzers schützt, auf wessen Fahrkönnen er vertraut und wem er daher das Lenken seines Fahrzeugs gestattet (vgl schon Punkt 2). Diese Möglichkeit dient zwar einerseits der Vermeidung von Schäden Dritter, andererseits aber auch und gerade der Vermeidung der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs. Hat die Norm aber den Zweck, die diesbezügliche Beurteilung durch den Zulassungsbesitzer abzusichern, dann sind auch Schäden an dessen eigenen Fahrzeug, die durch einen Fahrfehler eines nicht von seiner Zustimmung gedeckten Lenkers verursacht wurden, vom Schutzbereich erfasst. Auf das formale Erfordernis der Lenkberechtigung käme es dann gar nicht entscheidend an.
6. Folgt man dem Vorbringen der Beklagten, hat sie die in § 102 Abs 8 KFG normierte Pflicht verletzt. Damit hinderte sie den Kläger an der Möglichkeit zu beurteilen, wem er sein Fahrzeug anvertraut. Infolge dieser Pflichtverletzung ist ein Schaden eingetreten, den die übertretene Norm verhindern wollte. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der Schutznorm und dem eingetretenen Schaden ist deshalb zu bejahen. Der Kläger hat nach allgemeinen deliktischen Grundsätzen Anspruch auf Schadenersatz. Ob daneben auch eine vertragliche Haftung der Beklagten bestünde, ist für diese Beurteilung nicht relevant.
7. Unterstellt man abermals die Richtigkeit der Prozessbehauptung der Beklagten, nicht sie, sondern der Stiefsohn des Klägers habe dessen Pkw im Unfallszeitpunkt gelenkt, war die Weitergabe des Kraftfahrzeugs an den Stiefsohn für den Eintritt des Schadens (im Sinn einer conditio sine qua non) kausal. Hätte sie ihm das Lenken des Fahrzeugs nicht überlassen, wäre der Schaden nicht eingetreten.
8. Auch die adäquate Verursachung des Schadens ist zu bejahen, liegt es doch keineswegs außerhalb aller Lebenserfahrung, dass ein Lenker ohne Lenkberechtigung die Herrschaft über das von ihm gelenkte Kraftfahrzeug verliert (RIS-Justiz RS0022914, RS0098939).
9. Der Beweis fehlenden Verschuldens oblag der Beklagten, die objektiv gegen die Schutznorm des § 102 Abs 8 KFG verstoßen hat (RIS-Justiz RS0112234). Dieser Beweis wäre ihr selbst dann nicht gelungen, wenn man wieder die Richtigkeit ihres Prozessvorbringens unterstellt. Denn die Beklagte hat nie behauptet, dass ihr die Einholung der Zustimmung des Klägers nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.
10. Den Beweis, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden wäre, hat die Beklagte nicht einmal angetreten. In ihrem erstinstanzlichen Vorbringen geht sie vielmehr selbst vom Wissen des Klägers über die fehlende Fahrtauglichkeit seines Stiefsohns aus, sodass bei lebensnaher Würdigung der Gesamtumstände mit der Zustimmung des Klägers zur Überlassung seines Pkw an den Stiefsohn keinesfalls zu rechnen gewesen wäre. Gegenteiliges hat die Beklagte ohnehin nicht behauptet.
11. Unter diesen Prämissen hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers auf deliktischer Grundlage zutreffend bejaht. Die vom Erstgericht offen gelassene Frage, ob zwischen den Streitteilen eine vertragliche Bindung bestand (vgl 2 Ob 153/98k), ist daher für die Entscheidung ebenso wenig von Bedeutung, wie die vom Berufungsgericht nicht beantwortete Frage, ob die Feststellung, die Beklagte habe bei Weitergabe des Fahrzeugs von der fehlenden Lenkberechtigung des Stiefsohns Kenntnis gehabt, als „überschießend“ außer Betracht zu bleiben hat.
12. Die Revision der Beklagten muss aus diesen Gründen erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Ein Kostenzuspruch an den Kläger kommt wegen der Verspätung der Revisionsbeantwortung nicht in Betracht.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)