OGH 10ObS102/18z

OGH10ObS102/18z20.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Michael Mutz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Dr. Friedrich J. Reif‑Breitwieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2018, GZ 10 Rs 77/17t‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00102.18Z.1120.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1954 geborene Kläger war bildender Künstler. Die Vorinstanzen wiesen sein auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab dem Stichtag 1. 11. 2014 gerichtetes Klagebegehren mit der Begründung ab, dass Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs 3 GSVG nicht vorliege.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger als erhebliche Rechtsfrage geltend, es fehle Rechtsprechung zur beruflichen Rehabilitation bildender Künstler sowie zur Zumutbarkeit einer Einkommenseinbuße durch den Einsatz von Hilfskräften.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Erwerbsunfähigkeit des Klägers, der zum Stichtag das 58. Lebensjahr (vgl § 345 Abs 4 GSVG) bereits vollendet hatte, ist nach § 133 Abs 3 GSVG zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung gilt der Versicherte als erwerbsunfähig, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei ist die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung seines Betriebs zu berücksichtigen.

§ 133 Abs 3 GSVG normiert – ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 131c GSVG – einen verstärkten Berufsschutz („Tätigkeitsschutz“; RIS‑Justiz RS0109047; 10 ObS 114/04v, SSV‑NF 18/94). In dessen Rahmen kommt es zu keiner „Verweisung“. Vielmehr hat nach weitgehender Konkretisierung der maßgebenden Erwerbstätigkeit und der Feststellung, dass der Leistungswerber aus gesundheitlichen Gründen zur Weiterausübung nicht mehr in der Lage ist, die Prüfung möglicher Umorganisationsmaßnahmen (sachlicher und personeller Art), ausschließlich bezogen auf den Betrieb, zu erfolgen. Als letztes Tatbestandsmerkmal ist sodann zu beurteilen, ob eine gefundene Umorganisationsmaßnahme auch zumutbar ist. Dabei ist auf die konkret ausgeübten selbständigen Tätigkeiten und die konkrete Betriebsstruktur abzustellen (10 ObS 114/04v, SSV‑NF 18/94). Die Berücksichtigung möglicher Umorganisationsmaßnahmen trägt dem Umstand Rechnung, dass selbständig Erwerbstätige die Möglichkeit haben, durch eine Umorganisation ihres Betriebs kalkülsüberschreitende Arbeiten, die sie bisher verrichteten, zu vermeiden (vgl RIS‑Justiz RS0109275), sodass es insofern nicht auf die vom Versicherten konkret verrichteten Tätigkeiten ankommt (vgl 10 ObS 44/18w; RIS‑Justiz RS0109275 [T6]).

Erster Prüfungsschritt gemäß § 133 Abs 3 GSVG ist demnach die Konkretisierung der vom Versicherten im Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübten Tätigkeit, die auf ihre Vereinbarkeit mit dem dem Kläger verbliebenen Leistungskalkül zu prüfen ist.

2. Nach den Feststellungen kann der Kläger alle leichten und halbzeitig mittelschweren körperlichen Tätigkeiten – unter näher festgestellten Bedingungen – verrichten. Dass ihm demnach bis zu halbzeitig über den Arbeitstag verteilt das Anheben von Lasten bis 25 Kilogramm und das Tragen von Lasten bis 15 Kilogramm ohne Kalkülsüberschreitung möglich ist, wird in der außerordentlichen Revision nicht in Zweifel gezogen.

Die vom Kläger im Beobachtungszeitraum geschaffenen Bilder gingen über ein Gewicht von höchstens 8 Kilogramm jeweils nicht hinaus.

Ausgehend davon, dass der Kläger nach einer Ausstellung im Jahr 2008 bis zum Stichtag 1. 11. 2014 (sohin während eines Zeitraums von über fünf Jahren) keine Kunstwerke mehr schuf, deren Herstellung oder Manipulation Trageleistungen von über 15 Kilogramm oder Hebeleistungen von über 25 Kilogramm erfordert hätten, verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen einer Tätigkeit, die im Beobachtungszeitraum zumindest 120 Kalendermonate hindurch derartige Hebe- oder Trageleistungen umfasst hätte.

Da die derart konkretisierte, während zumindest 120 Kalendermonaten im Beobachtungszeitraum vom Kläger konkret ausgeübte Tätigkeit sohin nicht kalkülsüberschreitend war, kam das Berufungsgericht rechtlich zum Schluss, dass eine Prüfung von Umorganisationsmaßnahmen unterbleiben könne.

3. Der Revisionswerber zeigt nicht auf, inwiefern das Berufungsgericht bei dieser Beurteilung von den von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorgegebenen Grundsätzen abgewichen sein soll, sodass in seinem Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird (vgl RIS‑Justiz RS0042779).

Die Rechtsmittelzulässigkeit ist zudem nur dann gegeben, wenn in der Revision zumindest eine erhebliche Rechtsfrage, von deren Lösung die Sachentscheidung abhängt, die also in diesem Sinn „präjudiziell“ ist, nachvollziehbar aufgezeigt wird (RIS‑Justiz RS0088931 [T7]).

Da Erwerbsunfähigkeit nicht vorliegt, erweisen sich die in der außerordentlichen Revision angesprochenen Fragen der beruflichen Rehabilitation eines bildenden Künstlers nicht als präjudiziell.

Die Entscheidung in der vorliegenden Sozialrechtssache hängt auch nicht von der – vom Revisionswerber als erheblich erachteten – Rechtsfrage der infolge eines Einsatzes von Hilfskräften hinzunehmenden Einkommenseinbuße ab. Vielmehr hat bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die gemäß § 133 Abs 3 GSVG maßgeblichen Tätigkeiten weiterhin ohne Kalkülsüberschreitung ausüben kann, sodass sachliche oder personelle Umorganisationsmaßnahmen nicht zu prüfen sind.

Schließlich findet das Vorbringen, der Revisionswerber sei nicht in der Lage, kleinere Kunstwerke, deren Schaffung sein Leistungskalkül nicht überschreite, zu verpacken, zu transportieren, oder in Ausstellungsräume zu hängen, im festgestellten Sachverhalt keine Grundlage. Auch die im Rechtsmittel angesprochenen Überkopfarbeiten sind nach dem festgestellten Leistungskalkül nicht ausgeschlossen. Da der Revisionswerber insofern nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (vgl RIS‑Justiz RS0042779; RS0043603), zeigt er auch mit diesem Vorbringen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

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