OGH 10Ob80/18i

OGH10Ob80/18i20.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** und 2. F*****, beide *****, beide vertreten durch Aigner Rechtsanwalts‑GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, Vereinigtes Königreich, Zweigniederlassung B***** PLC *****, Deutschland, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 22.532,41 EUR und Rechnungslegung (5.000 EUR), infolge des Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Dezember 2016, GZ 5 R 146/16a‑20, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 49 Cg 54/12a‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00080.18I.1120.000

 

Spruch:

I. Das unterbrochene Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagenden Parteien Rechnungslegung begehren und ihr Zahlungsbegehren auf vertragliche Ansprüche stützen.

Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die von der Beklagten erhobene Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Dem Erstgericht wird insoweit die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit werden gegeneinander aufgehoben.

 

Begründung:

I. Das Revisionsrekursverfahren ist am 18. 5. 2017, 10 Ob 9/17x, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. 5. 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf

Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen worden. Mit Urteil vom 12. 9. 2018, Rs C‑304/17, hat der EuGH über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsrekursverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

II. Die Beklagte ist eine Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Deutschland. Sie ist Emittentin der Schuldverschreibung „X*****“, die institutionelle Investoren zeichneten und ihrerseits am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiter verkauften.

Der Rückzahlungsbetrag und damit Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. 9. 2005 und einem Konditionenblatt vom 20. 12. 2005 samt Anhängen. Auf Antrag der Beklagten erfolgte auch eine Notifikation des Basisprospekts in Österreich. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von 20. 12. 2005 bis 24. 2. 2006, am 31. 3. 2006 erfolgte die Emission. Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main, wo auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt ist.

Trading Manager und Fonds Advisor der X***** GmbH war H*****, der maßgeblichen Einfluss auf die X***** GmbH hatte. Diesen nutzte er, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball‑Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. H***** wurde durch das Landgericht Würzburg im Jahr 2011 wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung verurteilt. Die Zertifikate sind wertlos.

Die Kläger haben Zertifikate über ein bei einer in Graz ansässigen Bank geführtes Depot erworben. Mit Valuta vom 5. 9. 2007 wurde das Verrechnungskonto der Kläger bei dieser Bank mit dem Kaufpreis belastet.

Die in Österreich wohnhaften Kläger begehren mit ihrer Klage von der Beklagten die Zahlung von 22.532,41 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe der von ihnen gekauften 11,617 Anteile des Wertpapiers X*****, hilfsweise die Feststellung, dass ihnen die Beklagte infolge rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens für jenen Schaden hafte, welcher ihnen aus ihrer Investition am 5. 9. 2007 in Höhe von 20.739,71 EUR in dieses Wertpapier entstanden ist oder in Zukunft entstehen wird. Diese Klage dehnten die Kläger im Zuge des Verfahrens um ein Rechnungslegungsbegehren aus, weil die Anleihe zwischenzeitig zur Auszahlung fällig geworden sei. Zwischen den Streitteilen sei ein Vertrag zustande gekommen. Den Klägern stünden aus der Anleihe selbst, aber auch aus dem Anleiheerwerb vertragliche und daraus abgeleitete Ansprüche gegen die Beklagte zu. Neben diesem Erfüllungsanspruch stehe den Klägern Schadenersatz zu. Die Beklagte hafte deliktisch, insbesondere aus dem Titel der Prospekthaftung, weil die Prospektangaben irreführend und unvollständig gewesen und die strengen Normen des InvFG umgangen worden seien.

Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützten sich die Kläger auf die Gerichtsstände der Art 5 Nr 1, Art 5 Nr 3 und Art 15 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (in der Folge: EuGVVO 2000).

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Die Kläger könnten die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2000 stützen, weil sich eine über die aus dem bloßen Halten der Anleihe resultierende vertragliche Beziehung hinausgehende freiwillige Verpflichtung der Beklagten ihnen gegenüber aus ihrem Vorbringen nicht ergebe. Aus diesem Grund sei das Erstgericht für vertragliche Ansprüche nicht international zuständig. Zu den hilfsweise geltend gemachten deliktischen Ansprüchen im Sinn des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 zählten auch Prospekthaftungsansprüche. Die Kläger hätten allerdings nicht vorgebracht, dass sich der Schaden unmittelbar auf einem ihnen zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in Wien verwirklicht habe. Das angerufene Gericht sei deshalb nicht zuständig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge. Auf den vom Erstgericht verneinten Verbrauchergerichtsstand des Art 15 EuGVVO 2000 kämen die Rekurswerber zu Recht nicht mehr zurück. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts scheide der Gerichtsstand des Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2000 nicht von vornherein aus, weil zu dessen Begründung die von den Klägern behauptete freiwillig eingegangene Verpflichtung der Beklagten genüge. Sowohl nach der von der Beklagten behaupteten Rechtswahl als auch nach Art 4 des hier noch anzuwendenden EVÜ gelange man jedoch zur Anwendbarkeit deutschen Rechts, weil die Beklagte als Emittentin die charakteristische Leistung, nämlich die Rückzahlung der Schuldverschreibung, erbringe. Die Beklagte habe eine Zweigniederlassung in Deutschland, dort sei auch der Sitz der Clearingstelle und sei auch die Globalurkunde zum Zertifikat hinterlegt, das eine deutsche ISIN trage. Geldschulden seien nach den §§ 269, 270 BGB Schickschulden, der Leistungsort liege am (Wohn‑)Sitz des Schuldners. Für die aus dem Vertrag geltend gemachte Rückzahlungspflicht und das als vertraglichen Nebenanspruch anzusehende Rechnungslegungsbegehren sei daher die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben. Auch in ihrem Rekurs brächten die Kläger keinen Erfüllungsort in Österreich zur Darstellung. Im Hinblick auf den vertraglichen Charakter ihrer Ansprüche könnten die Kläger diesen auch nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 stützen. Auch bezüglich des Rechnungslegungsbegehrens hätten sich die Kläger nicht rügelos im Sinn des Art 24 EuGVVO 2000 in den Streit eingelassen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Zuständigkeitsstreit im Hinblick auf die Vielzahl von gleichgelagerten Fällen, die gegen die Beklagte beim Erstgericht geführt würden, in seiner Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Kläger, mit dem diese die Fortsetzung des Rechtsstreits vor dem als international zuständig anzusehenden Erstgericht anstreben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

Im Revisionsrekurs machen die Kläger insbesondere geltend, dass die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die gemäß den §§ 7 ff iVm 11 KMG geltend gemachten Prospekthaftungsansprüche gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 gegeben sei. Auch die internationale Zuständigkeit nach Art 5 Nr 1 EuGVVO 2000 sei gegeben. Mangels ausdrücklicher klarer Benennung eines Erfüllungsorts sei im Weg der Vertragsauslegung davon auszugehen, dass die Vereinbarung der „Zahlung an Order“ nur am Ort der österreichischen Depotbank der Kläger erfüllt werden könne. Die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts habe die Beklagte nicht ausdrücklich bestritten, sie hätte daher vom Erstgericht nicht aufgegriffen werden dürfen. Bezüglich der Ausdehnung der Klage um das Rechnungslegungsbegehren habe sich die Beklagte in den Streit eingelassen, ohne das Fehlen der internationalen Zuständigkeit zu rügen, sodass diese gemäß Art 24 EuGVVO 2000 gegeben sei.

Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile in zwei gleich gelagerten Parallelverfahren mit vergleichbarem Sachverhalt (3 Ob 185/18d und 4 Ob 185/18m) mit ausführlicher Begründung – gestützt auf die Entscheidung des EuGH Rs C‑304/17, Löber die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die mit der Klage geltend gemachten vertraglichen Ansprüche und des vertraglichen Nebenanspruchs auf Rechnungslegung verneint, hingegen für die deliktischen Ansprüche, insbesondere aus der Prospekthaftung, ausgesprochen, dass das Erstgericht für diese Ansprüche gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 international zuständig ist.

Die zu 4 Ob 185/18m bzw 3 Ob 185/18d angestellten Erwägungen, auf die verwiesen wird, sind auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde zu legen.

Die Vorinstanzen haben daher auch hier die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche zu Recht verneint, weshalb insofern der angefochtene Beschluss zu bestätigen ist.

Dagegen ist das Erstgericht für die aus Delikt abgeleiteten Ansprüche nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 international zuständig, sodass die Entscheidung des Rekursgerichts insoweit abzuändern ist. Das Erstgericht wird daher das gesetzmäßige Verfahren über diese Ansprüche zu führen haben.

Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS‑Justiz RS0109078 [T15]). Angesichts des Umstands, dass beide Parteien jeweils in Ansehung eines der beiden tragenden Rechtsgründe als unterlegen anzusehen sind, ist die Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 erster Fall ZPO für das erstinstanzliche Verfahren und – nach §§ 50, 43 Abs 1 erster Fall ZPO – auch für das Rechtsmittelverfahren sachgerecht.

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