OGH 7Ob202/18h

OGH7Ob202/18h31.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. K***** S*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei N*****-Aktiengesellschaft Österreich, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 15.163,73 EUR sA, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. August 2018, GZ 2 R 99/18v‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 8. Mai 2018, GZ 12 Cg 65/17g‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00202.18H.1031.000

 

Spruch:

Das Verfahren AZ 7 Ob 202/18h wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, schloss zu privaten Zwecken als Versicherungsnehmer bei der beklagten Versicherung einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung ab, der am 1. 2. 1999 begann und am 1. 2. 2014 ablief. Die Prämien bezahlte der Kläger als Einmalerlag von 250.000 ATS (18.168,21 EUR) am 1. 2. 1999.

Auf der Rückseite des vom Kläger unterfertigten Versicherungsantrags finden sich „Erläuternde Hinweise“, die über das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG, § 3a KSchG sowie § 5b VersVG und § 165a VersVG belehren. In den dem Kläger ausgehändigten Allgemeinen Versicherungsbedingungen der fondsgebundenen Lebensversicherung heißt es (ua), dass alle Erklärungen des Versicherungsnehmers dann gültig sind, wenn sie schriftlich erfolgen und bei der Beklagten eingelangt sind.

Einen Rücktritt erwog der Kläger während der gesamten Vertragslaufzeit nicht. Nach Laufzeitende 2014 bezahlte die Beklagte dem Kläger den Ablaufwert von 14.052,49 EUR.

Der Kläger erklärte am 8. 5. 2017 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag und forderte sie auf, 15.904,58 EUR an vermeintlich rechtsgrundlos geleisteten Prämien samt Zinsen zurückzubezahlen. Die Beklagte lehnt ab.

Der Kläger begehrt mit der nunmehrigen Klage die mit 15.163,73 EUR sA ermittelte Differenz aus einbezahlten Prämien samt 4 % Zinsen und dem erhaltenen Ablaufwert samt Zinsen sowie abzuziehender Risikokosten. Er erhob hilfsweise das Eventualbegehren, den Lebensversicherungsvertrag ex nunc aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung zu verpflichten. Der Kläger bringt vor, die Belehrung über das Rücktrittsrecht sei fehlerhaft, unzureichend und falsch gewesen, weil entgegen dem Gesetz die Schriftform gefordert worden und weil ein falscher Fristbeginn angegeben gewesen sei. Sie sei irreführend, weil der Fristbeginn für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar sei und das Rücktrittsrecht des § 165a VersVG erst nach verschiedenen anderen Rücktrittsbelehrungen abgedruckt gewesen sei, die weitere Voraussetzungen erforderten.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren und erwiderte, der Kläger sei gesetzeskonform nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden § 165a VersVG aufgeklärt worden. Eine schriftliche Rücktrittserklärung sei nicht gefordert worden; das Schriftformerfordernis beziehe sich erkennbar nur auf andere Rücktrittsrechte. Der allgemeinen Klausel, wonach Willenserklärungen schriftlich abzugeben seien, sei als generelle Regel durch die spezielle Regelung zum Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG derogiert worden. Allenfalls habe die allgemeine Regelung zu entfallen. Die Schriftform hätte aber vereinbart werden dürfen, ein Schriftformerfordernis diene der Erleichterung des Identitätsnachweises und der Rechtssicherheit und sei nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Formularbelehrung liege einer Vielzahl von Lebensversicherungsverträgen zugrunde und zur Beurteilung, ob diese den nationalen und europarechtlichen Anforderungen genüge oder aufgrund Fehlerhaftigkeit dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zustehe, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag und er regt ein Vorabentscheidungsverfahren an.

Die Beklagte regt in ihrer Revisionsbeantwortung die Unterbrechung des Verfahrens im Hinblick auf bereits eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren an und beantragte in der Sache, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen :

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua ):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).

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