OGH 6Ob169/18y

OGH6Ob169/18y26.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** G*****, vertreten durch DDr. Ernst Gramm, Rechtsanwalt in Neulengbach, als Erwachsenenvertreter gegen die beklagten Parteien 1. A***** E*****, 2. C***** E*****, beide *****, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Chyba Reiter Rechtsanwälte OG in St. Pölten wegen 69.600,34 EUR sA über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Mai 2018, GZ 15 R 45/18z‑45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00169.18Y.0926.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

1. Die Revision macht zusammengefasst geltend, die Beklagten hätten die Äußerung des geschäftsunfähigen Klägers, die Leistungen nicht mehr zu wollen, nicht einfach akzeptieren dürfen, sondern hätten durch Zureden und sonstige „mediatorische“ Maßnahmen dafür sorgen müssen, dass der Kläger die Leistungen doch annimmt.

2. Der Umstand, dass anstelle des für den vorliegenden Streit über das Ausgedinge eigentlich zuständigen Bezirksgerichts (§ 49 Abs 2 Z 3 JN; Simotta in Fasching/Konecny³ § 49 JN Rz 70) das Landesgericht entschieden hat, ist mangels Rüge der Beklagten geheilt (§ 104 Abs 3 JN).

3.1. Das Ausgedinge ist die auf einer Liegenschaft ruhende dingliche Verpflichtung zu Naturalleistungen, Geldleistungen und Arbeitsleistungen zum Zwecke des Unterhalts des früheren Eigentümers (RIS‑Justiz RS0022423). Es ist eine durch Rechtsgeschäft begründete, bäuerlichen Übergabsverträgen typische, der Versorgung (dem Unterhalt) des (Hof‑)Übergebers und naher Angehöriger dienende und daher auf seine Lebenszeit beschränkte Zusammenfassung verschiedener Leistungspflichten zu einer Einheit, bei der das Element der Reallast überwiegt und die deshalb insgesamt nach deren Regeln behandelt wird (RIS‑Justiz RS0022423 [T1]).

3.2. Der Auszugsberechtigte kann dann, wenn er durch den Auszugsverpflichteten schuldhafterweise außerstandegesetzt wurde, die bedungenen Naturalleistungen zu beziehen, eine Geldrente in Anspruch nehmen, die an Stelle der ursprünglichen Leistung tritt, im Übrigen die Natur des Ausgedinges bewahrt (RIS‑Justiz RS0022564). Dieser sogenannte „Unvergleichsfall“ („Nichtvertragsfall“), der den Ausgedingsnehmer berechtigt, die Ablösung des Naturalausgedinges in Geld zu verlangen, ist dann verwirklicht, wenn dem Ausgedingsberechtigten der Genuss des Naturalausgedinges nach dem Verhalten des Eigentümers der Übergabsliegenschaft billigerweise nicht mehr zumutbar ist (RIS‑Justiz RS0022521). Diesfalls kommt es zu einer Umwandlung des Naturalleistungsanspruchs in einen Schadenersatzanspruch, wobei die zukünftigen Leistungen nicht wegfallen, sondern in eine Geldrente umgewandelt werden (RIS‑Justiz RS0022564 [T6]). Dadurch soll der Ausgedingsberechtigte in den Stand gesetzt werden, sich die geschuldeten Leistungen anderweitig zu verschaffen (RIS‑Justiz RS0022466). Die Geldrente kann auch für die Vergangenheit begehrt werden (RIS‑Justiz RS0022404) und bestimmt sich nach dem objektiven Wert der jeweils geschuldeten Naturalleistungen (RIS‑Justiz RS0022404 [T1]).

3.3. Der Anspruch auf Geldablösung eines Naturalausgedinges (im „Unvergleichsfall“) hängt vom Nachweis eines Verschuldens des Übernehmers ab (RIS‑Justiz RS0022573). Geringfügige Vernachlässigung (RIS‑Justiz RS0022521 [T11]) oder gelegentliche Taktlosigkeit (RIS‑Justiz RS0022573 [T2]) reichen allerdings nicht hin. Auch eine gröbliche Vertragsverletzung durch den Hofeigentümer muss nicht immer den Unvergleichsfall herbeiführen (RIS‑Justiz RS0022573 [T4]). Somit vermag nicht schon jede unbedeutende Verzögerung einzelner Naturalleistungen, wie sie auch sonst in einem Familienverband auftreten kann, den Anspruch auf eine Geldrente zu rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0022521 [T7]). Allerdings können geringfügige Verstöße durch ihre Summierung entscheidende Bedeutung erlangen (RIS‑Justiz RS0022564 [T3]).

3.4. Kein „Unvergleichsfall“ liegt weiters vor, wenn sich der Übergeber grundlos beharrlich weigert, die Ausgedingsleistungen in natura anzunehmen (RIS‑Justiz RS0022521 [T6]). Weigert sich der Ausgedingsberechtigte, die ordnungsgemäß erbrachte Leistung anzunehmen, gerät er in Annahmeverzug (RIS‑Justiz RS0022521 [T10]). Es steht ihm dann nicht einmal ein Anspruch auf dasjenige zu, was sich der Ausgedingsverpflichtete hiedurch erspart hat (RIS‑Justiz RS0022485 [T1]).

3.5. Zusammengefasst wird der „Unvergleichsfall“ daher durch schuldhaften Verzug des Verpflichteten oder sonst schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Verpflichteten begründet (RIS‑Justiz RS0022521 [T15]). Jedes Verhalten, das dem Ausgedingsberechtigten den Genuss des Naturalausgedinges billigerweise unzumutbar macht, stellt ein den Unvergleichsfall bewirkendes Verschulden des Ausgedingspflichtigen dar; ein Verschulden liegt vor, wenn jenes Maß an Takt und Lieblosigkeit überschritten wird, das nach allgemeiner Lebenserfahrung auch sonst in einem Familienverband auftreten kann, sofern es durch den Ausgedingsberechtigten nicht geradezu provoziert wird (RIS‑Justiz RS0022502). Da die Ablösung des Naturalausgedinges in Geld den Übernehmer ungleich schwerer belastet als die Reichung der Naturalien, liegt es in erster Linie am Ausgedingspflichtigen, durch friedfertiges und verständnisvolles Verhalten gegen die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oft auch wunderlich oder starrsinnig werdenden Auszügler den Nichtvertragsfall gar nicht entstehen zu lassen (RIS‑Justiz RS0022521 [T14]). Es kommt nicht darauf an, ob den Ausgedingsberechtigten ein Verschulden trifft, ihm also sein Fehlverhalten vorwerfbar ist, schon gar nicht ob er „geschäftsfähig“ war (RIS-Justiz RS0022573 [T7]).

3.6. Die für die Beurteilung, ob der „Unvergleichsfall“ eingetreten ist, erforderliche Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls wirft keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0022564 [T8]).

4.1. Von den dargestellten Grundsätzen sind die Vorinstanzen im hier zu beurteilenden Fall nicht abgewichen. Den Feststellungen lassen sich keine schuldhaften Verfehlungen der Beklagten entnehmen, die dem Kläger die Annahme der Naturalleistungen unzumutbar machen würden. Da kein Fall eines „non liquet“ vorliegt, kommen auch die Beweislastregeln, insbesondere § 1298 ABGB, nicht zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0039903).

4.2. Dass die Beklagten die Leistungserbringung einstellten, beruht nach den Feststellungen darauf, dass der Kläger zunächst ab 2003 das Essen der Beklagten ablehnte und im Jahr 2006 den Beklagten sagte, er wolle sie überhaupt nicht mehr sehen und sie sollten nicht mehr zum Haus kommen. In der Folge wurden die Beklagten weder vom Kläger selbst noch von seinem Sachwalter (nunmehr Erwachsenenvertreter) aufgefordert, die vereinbarten Leistungen zu erbringen, sie wären dazu jedoch bereit. Es liegt daher der dargestellte Fall des Annahmeverzugs vor, da sich der Berechtigte schlicht weigert, die Leistungen anzunehmen (RIS‑Justiz RS0022521 [T10]).

4.3. Zwar wird im Rahmen eines Ausgedinges in aller Regel auch Pflege und seelischer Beistand geschuldet (vgl Bayer/Nowotny in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1284 Rz 25), was sich hier auch an der Formulierung in Punkt Drittens des Vertrags zeigt, wonach die Beklagten die „Vorkehr all dessen schulden, was zum Wohl des Übergebers notwendig ist“. Soweit die Revision geltend macht, die Beklagten hätten dem Kläger ähnlich wie beim „Suppenkasper“ gut zureden und ihn beeinflussen müssen, die Leistungen anzunehmen, lässt der Kläger unberücksichtigt, dass er nach den Feststellungen selbst in der Lage war, sich über das „Hilfswerk“ eine andere Essensversorgung zu organisieren; auch die Post und die Pension ließ der Kläger nun offenbar von einer Bekannten verwalten.

4.4. Dass der Kläger aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht geschäftsfähig ist, ihm die Fähigkeit zur freien Entscheidungsfindung fehlt und er auch nicht in der Lage ist, auf ihm zustehende Rechte zu verzichten, steht dazu nicht in Widerspruch, weil die Feststellungen zeigen, dass der Kläger offenbar sehr wohl in der Lage war, sich Mahlzeiten zu organisieren und zu entscheiden, was er essen möchte. Ein „Entfall der Versorgungsleistungen“ liegt damit nicht vor; vielmehr hat sich der Kläger die Leistungen selbst anderweitig beschafft. Auf eine Geschäftsunfähigkeit des Berechtigten kommt es für die Frage des „Unvergleichsfalls“ nach der Judikatur nicht an (5 Ob 29/02d = RIS‑Justiz RS0022573 [T7] zum Fall eines alkoholabhängigen Ausgedingsnehmers, der das schlechte Verhältnis zu den Verpflichteten überwiegend durch Drohungen und Aggressionen und offensichtliches Nichtinteresse an einer Beziehung selbst verschuldet hatte).

4.5. In der Auffassung der Vorinstanzen, die Beklagte treffe kein Verschulden, weil sie den Wunsch des Klägers respektierten und ihm nicht Leistungen gegen seinen Willen aufdrängten, ist somit keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Die Beklagten sind auch nach wie vor leistungsbereit, sodass auch kein in die Zukunft wirkender Verzicht des Klägers auf die Versorgungsleistungen vorliegt; der Kläger oder sein Erwachsenenvertreter können jederzeit wieder Leistungen von den Beklagten verlangen.

4.6. Dass die Beklagten den Kläger durch ihr Verhalten geradezu gedrängt hätten, den Kontakt abzulehnen, findet in den Feststellungen keine Deckung; der Grund dafür, dass der Kläger zunächst ab dem Jahr 2003 das Essen der Beklagten nicht mehr annahm und ab 2006 die Annahme der Leistungen ganz verweigerte, konnte nicht festgestellt werden. Es erscheint nicht korrekturbedürftig, wenn die Vorinstanzen der Ansicht waren, dass die gelegentlichen Beschimpfungen des Klägers als „Depperter“ nicht das für den Eintritt des „Unvergleichsfalls“ notwendige Ausmaß erreichten (vgl RIS‑Justiz RS0022573 [T2]).

5. Soweit die Revision geltend macht, die Klagsforderung sei nicht nur auf den „Unvergleichsfall“, sondern auch (allgemein) auf Schadenersatz gestützt, fehlt es auch dafür an einem Verschulden der Beklagten.

6. Zusammenfassend vermag die Revision daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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