OGH 8Ob98/18x

OGH8Ob98/18x24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der Schuldnerin L*****, wegen Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 213 Abs 1 Z 1 IO idF vor dem IRÄG 2017), über den Revisionsrekurs der Gläubigerin U***** AG, *****, vertreten durch Putz & Rischka Rechtsanwälte KG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. April 2018, GZ 47 R 367/17v‑41, mit dem aufgrund des Rekurses der Schuldnerin der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 3. November 2017, GZ 13 S 15/12p‑38, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00098.18X.0924.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 1. 6. 2012 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 17. 9. 2012 nach Scheitern des angebotenen Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Am 3. 11. 2017 teilte die bestellte Treuhänderin mit, dass mit der Verteilung vom 2. 11. 2017 eine Quote von 51,57 % erreicht worden sei. Im Hinblick darauf, dass drei Jahren der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen seien, ersuchte sie das Erstgericht, das Abschöpfungsverfahren gemäß § 213 Abs 1 Z 1 IO idF vor dem IRÄG 2017 (aF) für beendet zu erklären.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 3. 11. 2017 den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung ab. Die Bestimmung über die Mindestquoten des ersten Satzes des § 213 Abs 1 IO (aF) sei nicht mehr anzuwenden, weshalb die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens gemäß § 280 IO nF frühestens nach Ablauf der Abtretungserklärung erfolgen könne.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Schuldnerin Folge. In Abänderung des angefochtenen Beschlusses erklärte es das Abschöpfungsverfahren für beendet und erteilte der Schuldnerin die Restschuldbefreiung. Der Schuldner eines vor dem 1. 11. 2017 eingeleiteten Abschöpfungsverfahrens habe nach Inkrafttreten des IRÄG 2017 das Wahlrecht, entweder 50 % der Forderungen vorzeitig (vor Ablauf der siebenjährigen Abtretungserklärung) zu zahlen und nach zumindest drei Jahren Abschöpfungsverfahren die Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 IO aF zu beantragen oder nach sieben Jahren Abschöpfungsverfahren unabhängig von der gezahlten Quote die Restschuldbefreiung nach § 280 IO nF zu beantragen. Dass die Schuldnerin im vorliegenden Fall in erster Instanz keinen Antrag gestellt habe, sei unschädlich, weil die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 1 Z 1 IO aF – im Gegensatz zu § 280 IO nF – von Amts wegen zu erfolgen habe. Im Übrigen habe die Schuldnerin ihr Wahlrecht im Rekurs ausgeübt und die Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 IO aF beantragt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigt, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, weil klärungsbedürftig sei, ob § 213 Abs 1 erster Satz IO aF nach dem 1. 11. 2017 weiterhin anwendbar sei, obwohl § 280 IO nF in seinem zweiten Satz nur auf § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz IO aF verweise.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichtete Revisionsrekurs der Gläubigerin U***** AG ist aus dem vom Rekursgericht dargelegten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach § 279 Abs 1 IO traten die §§ 183, 184 Abs 1, §§ 193, 194 Abs 1, § 199 Abs 2, § 201 Abs 1, § 203 Abs 1, §§ 213 und 257 Abs 3 in der Fassung des IRÄG 2017 mit 1. 11. 2017 in Kraft. Die Bestimmungen sind, soweit die folgenden Absätze (des § 279 IO) nichts anderes bestimmen, auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 31. 10. 2017 eröffnet werden.

Nach § 279 Abs 3 IO ist § 213 IO nF dann auch in einem bereits anhängigen Verfahren anzuwenden, wenn der Antrag auf Durchführung des Abschöpfungsverfahrens nach dem 31. 10. 2017 bei Gericht eingelangt ist.

2. Abschöpfungsverfahren, die zum Stichtag 1. 11. 2017 bereits anhängig waren, unterliegen nicht dem neuen Recht, sondern weiterhin den bis dahin geltenden Bestimmungen der IO. Hinzugetreten ist für diese Verfahren lediglich die Option eines Antrags gemäß § 280 IO auf Restschuldbefreiung ohne Mindestquote (vgl Kodek, Privatkonkurs „neu“ – Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017, Zak 2018/73 [46]; auch: Konecny, Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung in alten Abschöpfungsverfahren, ZIK 2018, 50 [51]; vgl auch: 8 Ob 6/18t).

3. Die Ausführungen von Mohr (Neuerungen im Privatinsolvenzrecht – IRÄG 2017, 97 [102]), dass nach dem 1. 11. 2017 keine Restschuldbefreiung nach Ablauf von drei Jahren und Erreichen einer Quote von 50 % mehr möglich sei, weil es diese Variante nach der Reform nicht mehr gebe beziehen sich, wenngleich die Formulierung eine solche Auslegung zulässt, nicht unbedingt auf zum Stichtag anhängige Verfahren. Unter Beachtung des Inkrafttretens nach § 279 Abs 1 IO liegt eher die Vermutung nahe, dass der Autor nur die nach dem Stichtag eingeleiteten Abschöpfungsverfahren gemeint hat, für die nach der neuen Rechtslage eine solche vorzeitige Beendigung tatsächlich nicht mehr vorgesehen ist (zu einem „Altfall“ siehe dagegen Mohr, Privatinsolvenz3 Rz 637).

4. Nach Senoner/Weber-Wilfert in IRÄG 2017 –Änderungen des (Privat‑)Insolvenzrechts, RZ 9/2017, 174 ff, sollen zwar gemäß § 280 IO die Bestimmungen gemäß § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz IO (somit die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung bei Erreichen der 50 %-Quote) in der vor dem IRÄG 2017 vorgesehenen Fassung auf anhängige Abschöpfungsverfahren anzuwenden sein, nicht anzuwenden sei die Bestimmung, wonach der Schuldner bei Erreichen von 50 % nach 3 Jahren der Abtretung die Restschuldbefreiung erhält.

5. Schlepnik (Judikaturüberblick zur Anwendung des § 280 IO, ZIK 2018/64, 68) meint, eine vorzeitige Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 Z 1 IO aF sei nach dem Inkrafttreten des als lex specialis zu wertenden § 280 IO mit 1. 8. 2017 nicht mehr statthaft, weil diese Bestimmung keine Beendigung nach § 213 IO aF bei Erreichen der 50 % mehr vorsehe. Unschwer sei der „Abtausch“ dieser für die Gläubiger eindeutig nachteiligen Bestimmung gegen die Auflassung der Mindestquote für alle anhängigen Abschöpfungsverfahren zu erkennen, weshalb diese Interpretation auch als gerecht angesehen werden könne.

Diese Rechtsansicht vertritt auch die Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel, obgleich sich ein solcher – dem auf Erleichterung der Entschuldung gerichteten Gesetzeszweck widerstreitender – „Abtausch“ den Gesetzesmaterialien gerade nicht entnehmen lässt (ErlRV 1588 BlgNR 25. GP  1, 12).

6. All die einschränkenden Ausführungen sind für den hier vorliegenden „Altfall“ aus dem Gesetzeswortlaut nicht nachvollziehbar. Ordnet doch § 279 IO klar an, dass für diese weiterhin die alten Bestimmungen der IO anzuwenden sind und räumt § 280 IO dem Schuldner nur eine Option („Antrag“) ein.

7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein vor dem 1. 11. 2017 eingeleitetes Abschöpfungsverfahren bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 213 Abs 1 Z 1 IO aF auch weiterhin nach dieser Gesetzesstelle zu beenden ist.

Dem Revisionsrekurs der Gläubigerin war daher keine Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte