OGH 8Ob111/18h

OGH8Ob111/18h24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei M* K*, vertreten durch Mag. Helmut Hawranek, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte und widerklagende Partei M* K*, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner, Rechtsanwältin in Graz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 4. Juli 2018, GZ 2 R 157/18z‑21, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 24. April 2018, GZ 263 C 21/17d‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E123216

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die bezüglich der Scheidung der Ehe als unangefochten unberührt bleiben, werden im Umfang des Verschuldensausspruchs und der Verfahrenskosten aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Streitteile haben am 19. 8. 1989 die Ehe geschlossen, der zwei bereits erwachsene Kinder entstammen. Mit ihrer verbundenen Klage und Widerklage begehrten sie die Ehescheidung aus dem jeweils alleinigen Verschulden des anderen Teils.

Der Kläger brachte vor, die Beklagte habe ihre eheliche und familiäre Beistandspflicht verletzt, beharrlich den Geschlechtsverkehr verweigert und sei zuletzt grundlos und unter Mitnahme der gemeinsamen Sparbücher aus der Ehewohnung ausgezogen. Sie sei nicht bereit, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen.

Die Ehegattin und Widerklägerin warf dem Kläger zusammengefasst vor, er habe sich in den letzten beiden Jahren immer mehr aus dem gemeinsamen Familienleben zurückgezogen und wichtige Angelegenheiten nur mehr mit seiner Mutter anstatt mit seiner Ehefrau besprochen, es habe zuletzt faktisch keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen den Eheleuten gegeben. Der Kläger habe die Beklagte lieb- und interesselos behandelt, ignoriert, nicht wertgeschätzt und jegliche Kommunikation mit ihr verweigert.

Das Erstgericht stellte (zusammengefasst) folgenden Sachverhalt fest:

Die Streitteile führten bis zum Dezember 2014, in dem der Vater des Klägers starb, eine gut funktionierende und im Großen und Ganzen harmonische Ehe. Danach änderte sich die Beziehung der Streitteile grundlegend.

Grund dafür war unter anderem, dass der Kläger begann, sich überaus aufopferungsvoll um seine hochbetagte Mutter zu kümmern. Er besuchte sie bis zu fünfmal pro Woche für jeweils zwei bis drei Stunden oder auch länger, er brachte sie zum Arzt, Friseur und zum Einkaufen und erledigte für sie Gartenarbeiten sowie das Schneeräumen. Er pflegte eine innige Beziehung zu seiner Mutter und besprach von diesem Zeitpunkt an wichtige Angelegenheiten mit ihr anstatt mit der Beklagten. Es fanden in der Folge zwischen den Streitteilen kaum noch Gespräche statt. Bei der Beklagten entwickelte sich eine Eifersucht gegenüber der Schwiegermutter, sie besuchte sie zunächst zwar noch, zog sich aber dann immer mehr zurück und unterstützte den Kläger nicht mehr bei den Angelegenheiten, die er für seine Mutter erledigte.

Früher waren die Streitteile gemeinsam Sportarten wie Wandern, Nordic Walken und Langlaufen nachgegangen, seit dieser Zeit waren kaum noch gemeinsame Interessen vorhanden und wurde nur mehr selten etwas gemeinsam unternommen. Die hin und wieder stattfindenden gemeinsamen Wanderungen waren der Beklagten unangenehm, weil der Kläger zumeist schweigend wanderte und schweigend wieder nach Hause fuhr. Aus diesem Grund nahm sie oftKolleginnen mit auf die Wanderung.

Der Kläger verließ nicht gerne das Haus, wogegen die Beklagte gerne öfter ausgehen wollte. Bis zum Sommer 2016 unternahmen die Streitteile gemeinsame Urlaube, zuletzt war aber die Kommunikation so weit eingefroren, dass sie einander auf der Frühstücksterrasse des Hotels schweigend gegenübersaßen.

Der Kläger verhielt sich gegenüber der Beklagten lieb- und interesselos und brachte ihr – mit Ausnahme eines morgendlichen Abschiedskusses – keine Zärtlichkeiten entgegen. Der letzte Geschlechtsverkehr fand im Juli 2016 statt, danach wollte die Beklagte nicht mehr mit dem Kläger intim werden, weil er trotz Aufforderung den ganzen Tag kaum mit ihr redete. Damit ihr der Kläger nicht zu nahe käme, behauptete die Beklagte, sie sei in den Wechseljahren. Wenn er sie umarmte, reagierte sie mit Ablehnung. Er sagtehin und wieder „ich liebe dich“zu ihr, sie erwiderte dies aber nicht. Blumen und weitere Wertschätzungen bekam die Beklagte seltenvom Kläger.

Im September 2015 sprach die Beklagte den Kläger darauf an, dass er nicht mehr mit ihr rede und es keine gemeinsamen Unternehmungen mehr gegeben habe, worauf er erbost reagierte und fragte, was er tun solle und ob er seine Mutter oder sich umbringen solle. Sein wortkarges Verhalten rechtfertigte er damit, dass er nicht wisse, was er erzählen solle, zumal er viel Zeit mit seiner Mutter verbringe und die Beklagte diese nicht möge.

Der Kläger ist kein geduldiger Mensch. Er verfügt über eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur, er will bzw kann eigene Fehler nicht eingestehen und er hat Schwierigkeiten, andere Meinungen zu akzeptieren. Nach dem Tod seines Vaters wurde er schnell wütend, etwa wenn es Reparaturen zu erledigen gab oder in Diskussionen mit der Tochter, mit deren Lebensstil er nicht einverstanden war.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine eher besonnene und ruhige Person, die überlegt handelt, während der Kläger sich offenbar zu impulsiven und unüberlegten Handlungen hinreißen lässt. Dieses Verhalten führte zur endgültigen Zerrüttung der Ehe (Anm: dislozierte Feststellung S 7 des erstgerichtlichen Urteils).

Ab Weihnachten 2016 zog sich die Beklagte weiter vom Kläger zurück und schlief in einem anderen Zimmer. Der Kläger führte dieses Verhalten auf die Wechseljahre der Beklagten zurück bzw auf eine depressive Phase, ohne sie aber auf diesen Verdacht anzusprechen.

Zu Weihnachten 2016 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Tochter der Streitteile, die aufgrund seines Ärgers eskalierte. Nach diesem Streit verlor die Beklagte, die bis dahin noch auf eine Besserung der Situation gehofft hatte, endgültig den Willen, die Ehe fortzuführen. Die Ehe war ab diesem Zeitpunkt unheilbar zerrüttet. Die Beklagte teilte dem Kläger ihren Entschluss aber nicht mit, weil er einmal – nachdem sie sich zuvor bereits über eine Trennung geeinigt hatten – gemeint hatte, er würde „eher die Bude abfackeln“ als sich scheiden zu lassen.

Am 11. 3. 2017 zog die Beklagte dann unangekündigt aus dem gemeinsamen Haushalt aus und hinterließ einen Zettel, auf dem sie dem Kläger mitteilte, dass sie ihn nicht mehr aushalte, nicht mehr ertrage, nicht mehr liebe, keine gemeinsame Zukunft mehr sehe und in Ruhe gelassen werden wolle. Beim Auszug nahm die Beklagte zwei gemeinsame Sparbücher mit einem Einlagenstand von insgesamt ca 30.000 EUR mit, den sie zu rund einem Drittel verbraucht hat. Ihre Ankündigung, dem Kläger ein Drittel des Geldes als seinen Anteil zurückzugeben, wurde bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung nicht erfüllt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Klägers. Er habe sich in weit übermäßigem Maß um seine betagte Mutter gekümmert, dabei aus dem Familienverband zurückgezogen und seine Pflicht zur anständigen Begegnung gegenüber der Beklagten verletzt. Er habe nicht mit ihr gesprochen, sei vielmehr verbal aggressiv gewesen, habe sich nicht mehr für gemeinsame Interessen begeistern lassen und dieses Verhalten trotz Konfrontation mit der Situation nicht geändert. Er habe keine Fühlung mehr mit der Beklagten gesucht und nur seine eigenen Interessen verfolgt.

Aus diesen Gründen sei es der Beklagten nicht vorzuwerfen gewesen, dass sie keine körperliche Beziehung mit dem Kläger mehr haben wollte, ihn nicht bei der Betreuung seiner Mutter unterstützt und ihn schließlich verlassen habe. Der Auszug aus der Ehewohnung und die Mitnahme der gemeinsamen Sparbücher hätten erst nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe stattgefunden und seien für den Verschuldensausspruch daher nicht mehr von Bedeutung.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das alleinige oder zumindest überwiegende Verschulden der Beklagten, hilfsweise das gleichteilige Verschulden der Parteien an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen werde.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, eventualiter ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des alternativ gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt, weil die Frage des (Mit‑)Verschuldens der Beklagten und Widerklägerin aufgrund der getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden kann.

1. Nach § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Die Eckpfeiler der ehelichen Verbindung sind im Regelfall die geistige, Wohnungs-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft (Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek ABGB4 § 90 Rz 1 ua).

Die Pflicht zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft ist eine gegenseitige, beide Teile gleichermaßen treffende Verpflichtung. Ihre Erfüllung setzt voraus, dass beide Ehepartner im Rahmen des Zumutbaren auf die Eigenheiten des anderen Teils eingehen und so nach Kräften zur Verwirklichung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft beitragen (RIS‑Justiz RS0009466).

In diesem Sinne sind die Vorinstanzen grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, dass Interesselosigkeit gegenüber den Belangen des Partners und ein Leben nur für die eigenen Interessen eine schwere Eheverfehlung darstellen (7 Ob 718/88; 3 Ob 524/89).

2. Beide Streitteile haben nach den eingangs wiedergegebenen Feststellungen Verhaltensweisen verwirklicht, die im dargestellten Sinn objektiv den Tatbestand einer Eheverfehlung erfüllen.

Der Kläger macht aber in seiner Revision im Ergebnis zutreffend geltend, dass die Frage, welches festgestellte Fehlverhalten eine Reaktion auf welche Verfehlung des anderen Ehepartners war, aus dem Sachverhalt nicht klar hervorgeht und die Beleuchtung der Motive der Streitteile einseitig ausschließlich aus dem Blickwinkel der Beklagten erfolgt zu sein scheint.

3. Zentraler Vorwurf an den Kläger ist, dass er die Beklagte vernachlässigt hat, um sich im Übermaß der Betreuung seiner Mutter zuzuwenden. Richtig weist die Revision allerdings darauf hin, dass der Kläger mit der Betreuung seiner betagten Mutter einer rechtlichen (§ 137 Abs 2 ABGB) und moralischen Verpflichtung nachgekommen ist, die er nicht selbst gewählt hat, sondern die ihm schicksalhaft auferlegt wurde.

In dieser Situation oblag es umgekehrt der Ehegattin, den Kläger bei der Erfüllung seiner Sohnespflichten im Rahmen des ehelichen Beistands in zumutbarer Weise zu unterstützen. Ein Gatte, der dem anderen in dieser Situation eine tätige Mithilfe verweigert, kann ihm nicht gleichzeitig vorwerfen, dass er dann auf sich allein gestellt mehr Zeit für seine Aufgabe aufwenden muss. Der Umstand, dass die Beklagte auf ihre Schwiegermutter eifersüchtig war, enthob sie jedenfalls nicht von ihrer Beistandspflicht gegenüber dem Ehemann.

Ob sich der Kläger tatsächlich objektiv übermäßig lange und intensiv um seine Mutter gekümmert hat und dadurch das eheliche Zusammenleben der Streitteile in nicht zu duldendem Ausmaß beeinträchtigt wurde, lässt sich anhand des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts nicht endgültig beurteilen. Die Feststellungen lassen insbesondere offen, wie die Streitteile ihr Familienleben vor dem Ableben des Vaters des Klägers zeitlich gestaltet haben. Um ein konkretes Bild von der tatsächlichen Belastung zu gewinnen, wäre festzustellen, welche Arbeitszeiten die berufstätigen Streitteile hatten, ob der Kläger allenfalls seine Mutter auch während der Arbeit der Beklagten besucht hat sowie ob bzw welchen Freizeitbeschäftigungen die Beklagte ihrerseits alleine nachgegangen ist.

Nicht festgestellt ist ferner, ob der Kläger die Beklagte um Unterstützung bei der Betreuung seiner Mutter gebeten hat, welche Mithilfe sie zunächst geleistet und dann aus Eifersucht eingestellt hat und welche Auswirkungen der Rückzug der Beklagten auf die Belastung des Klägers hatte.

4. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Kläger habe wichtige Angelegenheiten nur mehr mit seiner Mutter anstatt mit der Ehefrau besprochen, lässt der Sachverhalt offen, um welche Angelegenheiten es sich konkret gehandelt hat. Da es im Allgemeinen noch kein ehewidriges Verhalten darstellt, wenn ein Ehegatte auch noch zu einem Elternteil ein persönliches Vertrauensverhältnis pflegt, kann ohne nähere Feststellungen darüber, von welchen Angelegenheiten die Beklagte ausgeschlossen wurde, nicht abschließend beurteilt werden, ob das Verhalten des Klägers nur subjektiv (aufgrund der festgestellten Eifersucht der Beklagten) oder objektiv nachvollziehbar kränkend und daher als Eheverfehlung zu werten war.

5. Den Feststellungen zum Rückgang der gemeinsamen Freizeitbeschäftigungen der Eheleute mangelt es ebenfalls an hinreichender Deutlichkeit. Es steht fest, dass die Streitteile „nur mehr selten“ etwas gemeinsam unternommen hätten, um wie viel weniger gemeinsam unternommen wurde als etwa noch 2014 und auf wessen jeweilige Initiative, lässt der Sachverhalt aber offen.

Allein aus der Feststellung, dass der Kläger oft keine Lust zu abendlichem Ausgehen hatte, ergibt sich nicht, wie oft die Beklagte deswegen auf ihre Wünsche verzichten musste und welche Gründe der Kläger für sein Verhalten hatte. Es entspricht dem Wesen einer funktionierenden Ehe, dass auf gegensätzliche Interessen durch wechselseitige Rücksichtnahme Bedacht genommen wird. Aus den von den Vorinstanzen festgestellten unterschiedlichen persönlichen Präferenzen der Streitteile zum Thema abendliches Ausgehen lässt sich mangels Präzisierung der Auswirkungen weder gegen den einen noch den anderen Ehegatten einen Verschuldensvorwurf ableiten.

Immerhin fanden „hin und wieder“ Wanderungen statt, zu denen die Beklagte sogar „oft“ Kolleginnen eingeladen hat. Ein klares Bild der Situation ergibt sich aber auch hier nicht, insbesondere steht nicht fest, ob die Wanderungen in der Gruppe wieder harmonischer verliefen.

6. Generell lassen die Feststellungen eine auch nur grobe chronologische Einordnung der fortschreitenden Entfremdung innerhalb des kurzen Zeitraums, in dem sich das jahrzehntelange Eheleben von „harmonisch“ zu „unheilbar zerrüttet“ verschlechtert hat, nicht erkennen.

7. Der zentrale Vorwurf gegen den Kläger stützt sich auf seine zunehmende Schweigsamkeit, die die Beklagte gekränkt und bedrückt habe. Inwiefern aber der Verlust der Kommunikation einseitig vom Kläger ausgegangen ist und ob die Beklagte ihrerseits versucht hat, mit ihm in Gespräche der von ihr gewünschten Art zu kommen, ist offen geblieben. Es wird zwar dem Kläger vorgeworfen, das Interesse an der Beklagten verloren zu haben, jedoch umgekehrt nicht erhoben, ob diese sich umgekehrt für die Gründe seines nach fünfundzwanzig Ehejahren so plötzlich veränderten Wesens interessiert und um Verständnis bemüht hat.

8. In einem Spannungsverhältnis zum Bild des ständigen Schweigens zwischen den Streitteilen stehen jene Feststellungen, die auf Streit hinweisen (die festgestellten verbalen Entgleisungen des Klägers sind offenbar in einer Auseinandersetzung gefallen) und die isolierte, zeitlich nicht einordenbare Feststellung, dass die Streitteile sich auf eine Scheidung geeinigt hätten, aber der Beklagte sein Einverständnis dann widerrufen habe. Es scheint widersprüchlich, dass eine Einigung über eine Scheidung erzielt werden konnte, ohne dass die Streitteile miteinander gesprochen haben. Ob die Beklagte den Kläger ihrerseits tatsächlich – wie er ihr vorgeworfen hat – in seinem Kommunikationsverhalten entmutigt hat, weil sie keine Erzählungen über seine Mutter hören wollte, wurde ebenfalls nicht erhoben.

9. Das Verhalten der Beklagten, Berührungen und Annäherungen des Klägers mit Ausflüchten zurückzuweisen, auf seine Liebeserklärungen einfach nicht zu antworten und schließlich aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen, kann nicht als adäquate Reaktion auf eine schweigsame Art und häufige Besuche bei der Mutter angesehen werden. Ein solches Verhalten ist unter Eheleuten objektiv kränkend, lieb- und interesselos und nicht geeignet, eine Entfremdung zu bessern, sondern sie zu fördern und zu verstärken.

Einem Partner, der mit Ausflüchten (Klimakterium) über die wahren Motive für eine solche Zurückweisung getäuscht wird, wird damit auch die Möglichkeit zur Einsicht genommen, dass er sein Verhalten ändern müsste, um die Beziehung zu retten. Dies ist hier schon deswegen nicht ohne Bedeutung, weil fest steht, dass der Kläger – im Gegensatz zur Beklagten – an der Ehe festhalten wollte und dazu professionelle Hilfe in Anspruch genommen hat.

10. Den Vorinstanzen kann nicht darin gefolgt werden, dass das Verlassen der ehelichen Wohngemeinschaft unter Mitnahme (auch) des klägerischen Anteils an den gemeinsamen Ersparnissen für die Verschuldensteilung nicht mehr von Bedeutung war, weil die Beklagte den heimlichen Entschluss dazu bereits einige Wochen vorher gefasst hatte und die Ehe beim tatsächlichen Auszug bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei.

Für die Frage, ob das Verlassen des Ehepartners ein (Mit‑)Verschulden an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe begründet, kann es nicht darauf ankommen, ob der Entschluss dazu unmittelbar am selben Tag in die Tat umgesetzt wird, oder erst ein paar Wochen später, insbesondere wenn die Absicht dem anderen Teil nicht zu erkennen gegeben wurde und er vom Auszug überrascht wurde.

Das Verlassen der ehelichen Gemeinschaft könnte nur dann als sachlich gerechtfertigte Reaktion der Beklagten auf das ehewidrige Verhalten des Klägers anzusehen sein, wenn ihr beim Entschluss dazu ein weiteres Zusammenleben mit ihm unzumutbar gewesen wäre. Ob dies der Fall war, lässt sich anhand des festgestellten Sachverhalts noch nicht abschließend beurteilen.

Grundsätzlich rechtfertigen nur besonders schwere Eheverfehlungen des Ehegatten die eigenmächtige Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft durch den anderen Teil (RIS‑Justiz RS0009503). Nicht jedes Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, kann aus einer subjektiven Sichtweise heraus bereits die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens begründen (RIS‑Justiz RS0121302 [T3]).

Hier steht als unmittelbarer Anlass dafür, dass die Beklagte zu Weihnachten 2016 den Ehewillen zur Gänze aufgegeben und heimlich ihren Auszug vorbereitet hat, ein eskalierter Streit zwischen dem Kläger und der erwachsenen gemeinsamen Tochter fest. Mangels näherer Kenntnis der Umstände lässt sich nicht beurteilen, inwieweit die Beklagte selbst in diesen Streit involviert war und inwiefern er ein weiteres Zusammenwohnen mit dem Kläger objektiv unzumutbar gemacht hat. Auch aus dem beim Auszug hinterlassenen Abschiedsbrief ergibt sich kein Verhaltensvorwurf gegen den Kläger, sondern vielmehr ein tiefgreifender subjektiver Überdruss der Beklagten.

11. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Feststellungen im dargelegten Sinn zu ergänzen haben, sodass eine ausreichende objektive Sachverhaltsgrundlage für die Beurteilung des Anteils der Streitteile am Scheitern der Ehe und eine allfällige Verschuldensteilung geschaffen wird.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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