OGH 6Ob98/18g

OGH6Ob98/18g31.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. S***** T***** W*****, 2. Ing. D***** B*****, beide *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Parteien A***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Ploil Boesch Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 5.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. April 2018, GZ 5 R 24/18p‑14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00098.18G.0831.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Kläger befinden sich mit ihren unmittelbaren Nachbarn und jener Nachbarin, die das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite bewohnt, seit Jahren in einem Nachbarschaftsstreit, in dem es unter anderem um das „Einsperren“ angeblich unbefugt parkender Autos, gegenseitiges Fotografieren, frühmorgendliche Lärmerregung an Feiertagen, die Entfernung von Efeu, schadenstiftendes Pflanzen von Bäumen, die Erzeugung von Lichtemissionen durch aufgehängte CD´s, die Beschädigung von PKW, die Vergiftung von Hecken, die Überwachung mittels Videokameras bzw deren Störung mittels Laserlichts, das Auskippen von Jauche vor oder auf den Grundstücken der anderen bzw das Besprühen von Hecken und Rosen mittels Jauche, die Verwendung von Wanzen und Mikrofonen, Nötigung und generell um die Verbreitung von Lügen geht; zwischen den Genannten sind bzw waren bereits zahlreiche Gerichtsverfahren anhängig.

Die Beklagte ist Medieninhaberin und Fernsehveranstalterin des Programms A*****. Dort strahlt sie in regelmäßigen Abständen Folgen der Sendereihe „Mein Recht – Ich geb nicht auf“ aus. Die Beiträge werden über Auftrag der Beklagten von einer Produktionsfirma hergestellt, die den Rohschnitt produziert; dieser wird sodann von der Redaktion der Beklagten geprüft und abgenommen.

Für April 2018 war die Ausstrahlung einer Folge der genannten Sendereihe geplant, die sich mit dem eingangs geschilderten Nachbarschaftsstreit (dieser spielt sich in einer Stadt in Oberösterreich mit knapp 14.000 Einwohnern ab) beschäftigt und in der Äußerungen dahin getätigt werden, die Kläger (die allerdings namentlich nicht erwähnt werden) hätten den PKW der gegenüber wohnenden Nachbarin beschädigt und deren Hecke vergiftet sowie diese Nachbarin gefilmt und/oder überwacht und würden sie nötigen, außerdem hätten sie Efeu von der Garagenmauer der unmittelbaren Nachbarn entfernt und würden Bäume so setzen, dass diese auf dem Grundstück der Nachbarn Schaden anrichten, mit Rotlicht und/oder aufgehängten CD´s unzulässige Lichtemissionen erzeugen sowie die Nachbarn ständig fotografieren und/oder von deren Privatbereich Fotos anfertigen.

Die Vorinstanzen wiesen den zur Sicherung ihres Unterlassungsbegehrens beantragten und auf § 1330 ABGB gestützten Provisorialantrag der Kläger, der Beklagten die Verbreitung dieser Äußerungen zu verbieten, ab.

Rechtliche Beurteilung

1. Im Revisionsrekursverfahren ist nicht (mehr) strittig, dass die inkriminierten Äußerungen den Tatbestand des § 1330 ABGB erfüllen, die Beklagte als deren Verbreiter anzusehen ist und die Kläger betroffen sind, auch wenn aufgrund der konkreten Gestaltung der Folge jemand, der die Kläger und/oder die Nachbarn persönlich nicht kennt und/oder über den Konflikt nicht Bescheid weiß, die Kläger nicht identifizieren kann. Gegenstand des Revisionsrekurs-verfahrens ist ausschließlich die Frage der vorzunehmenden Interessenabwägung:

2.1. Der Angriff auf die absoluten Rechte der Ehre und des Rufes einer Person ist für sich noch nicht rechtswidrig, doch bildet schon der Eingriff in absolute Rechte ein Indiz für die Rechtswidrigkeit; diese kann jedoch nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden: Den Interessen am gefährdeten Gut müssen stets auch die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden (RIS‑Justiz RS0031657). Dabei kommt es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Recht und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses an (RIS‑Justiz RS0031657 [T4]).

Da eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde, bedarf es einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RIS‑Justiz RS0008990). Die Interessenabwägung muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen (RIS‑Justiz RS0008990 [T16]). Andererseits wiegt der Schutz des von unwahren Tatsachenbehauptungen Betroffenen dann schwer, wenn es sich um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch § 1330 Abs 2 ABGB geschützten Interessen handelt (1 Ob 36/89). In diesem Sinne ist bei der Interessenabwägung die Gewichtigkeit des Themas für die Allgemeinheit, in dessen Rahmen die ehrverletzende Äußerung fiel, eines von mehreren Beurteilungskriterien, das den Ausschlag für die Bejahung des Rechtfertigungsgrundes geben kann (6 Ob 291/00p). Das Interesse kann etwa wegen der besonderen Stellung des Zitierten in der Öffentlichkeit oder wegen der aktuellen, besonderen Wichtigkeit des Themas gegeben sein; an einer „Sensationsberichterstattung“ über ein spektakuläres Einzelschicksal besteht aber nur ein allenfalls fragwürdiges Interesse (6 Ob 249/01p).

2.2. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterscheidet bei Abwägung von Art 8 und Art 10 EMRK danach, ob die Veröffentlichungen nur dem Zweck dienten, die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Privatleben einer bekannten Person zu befriedigen, oder ob sie als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden können; in ersterem Fall gebietet die freie Meinungsäußerung eine weniger weite Auslegung (vgl die in RIS‑Justiz RS0123987 indizierten Erkenntnisse). Auch bei der Veröffentlichung von Fotos, die sehr persönliche oder sogar intime Informationen über einen Menschen enthalten, besteht das entscheidende Kriterium für die Abwägung darin, inwieweit die veröffentlichten Fotos zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen (vgl RIS‑Justiz RS0125177).

Für die Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens sind nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl RIS‑Justiz RS0129575) folgende Kriterien ausschlaggebend: Zunächst ist nach dem Beitrag zu fragen, den die Fotos oder Artikel zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Rolle oder Funktion der betroffenen Person und die Art der Aktivitäten, über die berichtet wird. Dabei ist zwischen Privatpersonen und Personen zu unterscheiden, die wie Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens in einem öffentlichen Kontext handeln. Das Verhalten der Person vor der Veröffentlichung des Berichts ist ein weiterer Faktor. Dabei kann jedoch die bloße Tatsache einer Zusammenarbeit mit der Presse bei früheren Gelegenheiten nicht als Argument dafür verwendet werden, die betroffene Person jeglichen Schutzes vor der Veröffentlichung des umstrittenen Artikels oder Fotos zu berauben. Weitere zu berücksichtigende Faktoren sind die Art und Weise, wie die Informationen erlangt wurden, sowie ihr Wahrheitsgehalt. Die Art und Weise, wie der Bericht veröffentlicht und wie die Person darin dargestellt wird, kann ebenfalls ein relevanter Faktor sein. Schließlich ist auch die Art und Schwere der verhängten Sanktionen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen.

3. Nach dem als bescheinigt angenommen Sachverhalt werden im Rahmen der Sendereihe der Beklagten österreichische Rechtsfälle und -konflikte aus unterschiedlichen Sachbereichen mit der Kamera begleitet, wobei ein österreichischer Rechtsanwalt unentgeltlich als Moderator durch die Sendung führt und mit den Beteiligten spricht. Die Themenauswahl ist darauf ausgerichtet, rechtliche Konflikte von allgemeinem Interesse, etwa Stalking oder Nachbarschaftsstreitigkeiten, deren Ursachen, Entwicklung und rechtliche Relevanz auf eine Weise darzustellen, dass einerseits der Seher erkennt, wie solche Situationen entstehen und wie man sich darin verhalten sollte, und andererseits eine gütliche Lösung versucht wird. Die Fälle werden danach ausgewählt, ob sie für das Publikum interessant und unterhaltend sind und es veranlassen, sich auch künftige Folgen der Sendereihe anzusehen. Die Beklagte lädt das Publikum ein, ihr Fälle zu präsentieren. Die Personen und Beschwerdeführer, die die Fälle herantragen, werden interviewt, persönlich gezeigt und mit Namen genannt. Ihrem „Widerpart“ wird stets Gelegenheit zur Stellungnahme, sei es auch öffentlich oder unter Wahrung der Anonymität, gewährt, wobei in letzterem Fall weder Namen genannt noch diese Personen in einer Weise gezeigt werden, dass sie von Sehern, die die Beteiligten nicht bereits kennen, identifiziert werden können. Steht – ohne dass es bereits rechtkräftige Behördenentscheidungen oder eindeutige Beweise in eine Richtung gibt – Aussage gegen Aussage, ergreift der Rechtsanwalt nicht Partei und gibt auch keine Meinung zur Glaubwürdigkeit ab, sondern bemüht sich – nicht immer erfolgreich – um eine Lösung. Naturgemäß steht den „Beschwerdeführern“, die ihr Problem an die Beklagte herantragen, größerer Raum zur Verfügung, zumal sie ihren Standpunkt persönlich darlegen. Sie haben jedoch kein Mitspracherecht an der Endfassung der Folge, und es kann durchaus geschehen, dass die Sendung nicht ihren Vorstellungen entspricht, sondern letztlich ihr Standpunkt als nicht erwiesen bzw nicht stärker als der ihrer Gegner dargestellt wird.

3.1. Damit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt zunächst einmal von jenen Fällen, in denen die von den inkriminierten Äußerungen Betroffenen Politiker oder andere in der Öffentlichkeit stehende Personen waren (vgl RIS‑Justiz RS0075552; jüngst 6 Ob 50/18y [angebliche Parteienfinanzierung]); bei den Klägern handelt es sich vielmehr um Privatpersonen. Auch die Rolle der Medien als „public watchdog“, aus der sich ergibt, dass für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses nur ein sehr enger Beurteilungsspielraum besteht (RIS‑Justiz RS0123667 [insbesondere T5]), ist hier nicht einschlägig.

3.2. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (14 U 71/00 ZUM 2001, 883; der deutsche Bundesgerichtshof [VI ZR 297/01] und das deutsche Bundesverfassungsgericht [1 BvR 2007/02] wiesen Rechtsmittel gegen diese Entscheidung zurück bzw ab) vertrat in einem Fall, in dem in einer Fernsehsendung identifizierend über das Scheidungsverfahren der Erstklägerin berichtet worden war, die Auffassung, die Berichterstattung über die finanziellen Folgen von Ehescheidungen liege insbesondere vor dem Hintergrund einer aktuellen Äußerung einer Politikerin zu diesem Thema im öffentlichen Interesse, wobei durch Namensnennung einzelner Betroffener „Authentizität und Glaubhaftigkeit der Äußerung wesentlich erhöht“ würden.

3.3. In Österreich wurde ein öffentliches Interesse bislang bei Gesundheitsthemen (vgl RIS‑Justiz RS0009006), bei Fragen des Tierschutzes (vgl 6 Ob 321/04f [„Der Holocaust auf Ihrem Teller“]), bei Umweltfragen (Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1330 Rz 41) und bei Fragen der öffentlichen Sicherheit (vgl 6 Ob 27/15m) anerkannt. Auch im Fall der Berichterstattung über die behauptete Fehlbehandlung bei einer Schönheitsoperation wurde ein öffentliches Informationsinteresse angenommen, weil der wesentliche Sinn der damals inkriminierten Fernsehsendung in der Information der Öffentlichkeit über die Schönheitschirurgie im Allgemeinen und ihre Risiken, dargestellt anhand eines konkreten Falls einer Patientin, bestand (6 Ob 249/01p).

3.4. Das Rekursgericht ist davon ausgegangen, dass die Öffentlichkeit gerade an zivilrechtlichen Auseinandersetzungen im Nachbarschaftsbereich ein „besonderes Interesse“ habe, welcher Auffassung in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden kann, betreffen diese doch regelmäßig (lediglich) die Beteiligten und gehen sonst niemanden etwas an; das Interesse Dritter lässt sich regelmäßig vielmehr nur mit dem Wunsch nach Befriedigung der Neugier erklären, der rechtlich nicht geschützt werden sollte (vgl 6 Ob 249/01p).

Allerdings ist bei der Interessenabwägung immer auch die konkrete Ausgestaltung der Sendung mit zu berücksichtigen. Hier werden österreichische Rechtsfälle und -konflikte unter Moderation eines österreichischen Rechtsanwalts dargestellt, wobei die Beklagte die Themenauswahl auf rechtliche Konflikte von allgemeinem Interesse, etwa Stalking oder Nachbarschaftsstreitigkeiten, ausrichtet und deren Ursachen, Entwicklung und rechtliche Relevanz auf eine Weise darstellt, dass der Seher erkennt, wie solche Situationen entstehen und wie man sich darin verhalten sollte. Dazu kommt, dass die Standpunkte der Beteiligten möglichst objektiv und nicht immer in einem positiven Licht für denjenigen dargestellt werden, der sich an die Beklagte gewandt hatte; den Gegnern wird die Möglichkeit eingeräumt, sich zu den Vorwürfen zu äußern, wobei zu unterstellen ist, dass sie mit ihren Stellungnahmen auch in der konkreten Sendung zu Wort kommen (würden). Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass von der Beklagten bei der Gestaltung der Sendung der Wunsch der Gegner nach Anonymität gewahrt wird, sodass diese nur jemand identifizieren kann, der sie und/oder jene Personen, die sich an die Beklagte gewandt hatten, persönlich kennt und/oder über den Konflikt Bescheid weiß.

Damit ist aber die Abweisung des Provisorialantrags durch die Vorinstanzen durchaus vertretbar, steht doch – anders als es die Darstellung des außerordentlichen Revisionsrekurses nahelegt – tatsächlich nicht die reißerische und möglichst spektakuläre Darstellung einzelner Sachverhalte im Vordergrund, sondern sollen Rechtsfälle und die Rechtslage zu Alltagsthemen in einer für Laien nachvollziehbaren und verständlichen Form präsentiert werden, wobei auf eine ausgewogene Darstellung der jeweiligen Standpunkte der Parteien Wert gelegt wird und die Rechtslage sowie Einigungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

4. Die vom außerordentlichen Revisionsrekurs gewünschte fiktionale Darstellung von Fällen mithilfe von Schauspielern würde nicht die gleiche Authentizität aufweisen (vgl OLG Karlsruhe 14 U 71/00 ZUM 2001, 883); es wären dann gerade keine Fälle, wie sie jeden in seinem Alltag betreffen können, sondern nur auf solchen basierende Geschichten. Der Beklagten vorzugeben, dass sie ihre Sendung nur noch auf diese Art und Weise gestalten darf, wäre im Übrigen ein zu starker gerichtlicher Eingriff in die journalistische Gestaltungsfreiheit (vgl RIS‑Justiz RS0126045).

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