OGH 8Ob106/18y

OGH8Ob106/18y28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

 Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin G*****, infolge Revisionsrekurses der Gläubigerin R*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 23. Mai 2018, GZ 1 R 86/18f‑58, mit dem dem Rekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. März 2018, GZ 23 S 63/10m‑54, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00106.18Y.0828.000

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben und der Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts zurückgewiesen.

 

Begründung:

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 30. 11. 2010 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 9. 2. 2011 nach Scheitern des Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Nach Ablauf der Abtretungserklärung teilte der Treuhänder am 8. 3. 2018 mit, dass die Gläubiger 0,06 % ihrer angemeldeten Forderungen erhalten hätten. Von der Treuhandvergütung hafteten 888 EUR aus. Am Treuhandkonto ein Negativsaldo von 95,01 EUR, für den Kontoabschluss würden noch einmal Spesen von 45 EUR anfallen.

Die Schuldnerin beantragte das Abschöpfungsverfahren nach § 280 IO für beendet zu erklären und ihr die Restschuldbefreiung zu erteilen.

Mit Beschluss vom 20. 3. 2018 erklärte das Erstgericht das Abschöpfungsverfahren für beendet. Weiters sprach es aus: „ Die Entscheidung über die Restschuldbefreiung und den Antrag gemäß § 280 IO bleibt vorbehalten, bis die Kosten des Abschöpfungsverfahrens beglichen sind. Die Schuldnerin wird daher aufgefordert, binnen drei Wochen den offenen Betrag von 1.028,01 EUR auf das Konto beim Bezirksgericht Innsbruck (…) zu überweisen oder binnen dieser Frist ein begründetes Ratenansuchen an das Gericht zu stellen. Die Entscheidung hinsichtlich der Restschuldbefreiung erfolgt nach Ablauf obiger Frist, wobei angemerkt wird, dass KEINE neuerliche Aufforderung ergeht. “ Es führte aus, dass das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären sei, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung abgelaufen sei und die Insolvenzgläubiger während des Insolvenz- und Abschöpfungsverfahren zumindest 10 % der Forderungen erhalten hätten. Mit 1. 8. 2017 sei allerdings § 280 IO in Kraft getreten. Aufgrund der neuen Gesetzeslage sei die Restschuldbefreiung grundsätzlich ohne das Erfordernis des Erreichens einer Mindestquote zu erteilen. Allerdings sei § 196 IO analog anzuwenden. Das bedeute, dass die Restschuldbefreiung die Bezahlung der Vergütung des Treuhänders voraussetze. Die Schuldnerin sei zur Erlangung der Restschuldbefreiung angehalten, die Masseforderungen in einer vom Gericht angemessen festzusetzenden Frist zu begleichen.

Dem gegen diesen Beschluss – mit Ausnahme des Ausspruchs über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens – gerichteten Rekurs der Schuldnerin gab das Rekursgericht Folge und änderte den Beschluss dahingehend ab, dass er insgesamt zu lauten habe: „ Das Abschöpfungsverfahren wird eingestellt; die Schuldnerin wird von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit. “ Es führte aus, dass das Gesetz einen ausdrücklichen Konnex zwischen der Erteilung der Restschuldbefreiung und offenen Massekosten nicht herstelle. Der Gesetzgeber nehme eine fehlende Kostendeckung sowohl im Insolvenzeröffnungs-, als auch im anschließenden Verfahren über die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens in Kauf und habe eine dem § 196 Abs 2 IO über die Nichtigkeit des (bestätigten) Zahlungsplans bei offenen Masseforderungen entsprechende Bestimmung nicht in den – die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und die Erteilung der Restschuldbefreiung regelnden – § 213 IO aufgenommen. Die Restschuldbefreiung, die nur den Insolvenzgläubigern gegenüber wirke, setze damit weder die Entrichtung der Massekosten, noch die Ersatzpflicht des Schuldners bezüglich der Massekosten voraus. Damit sei in Stattgebung des Rekurses der Schuldnerin die Restschuldbefreiung unabhängig von der Zahlung der restlichen Massekosten zu erteilen gewesen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, da zur Frage der Restschuldbefreiung bei noch offenen Massekosten keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Insolvenzgläubigerin R***** mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses war der Beschluss des Rekursgerichts für nichtig zu erklären und der Rekurs der Schuldnerin zurückzuweisen.

1. Hervorzuheben ist, dass die Schuldnerin in ihrem Rekurs den erstgerichtlichen Beschluss zwar mit Ausnahme des Ausspruchs über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens formal bekämpft, sie aber sowohl inhaltlich als auch im Rechtsmittelantrag die Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt. In Entsprechung des Rekurses wurde vom Rekursgericht die Restschuldbefreiung ausgesprochen. Dabei wurde jedoch übersehen, dass das Erstgericht über die Restschuldbefreiung noch nicht entschieden hat, sondern die Schuldnerin nur in analoger Anwendung des § 196 Abs 2 IO zur Zahlung der Kosten des Treuhänders und der Schließung des Treuhandkontos aufgefordert hat.

2. § 196 IO sieht – im hier nicht vorliegenden Fall eines von den Gläubigern angenommen und vom Gericht bestätigten Zahlungsplans – vor, dass trotz Säumnis des Schuldners mit der Zahlung der Masseforderungen die Nichtigkeit des Zahlungsplans erst eintritt, wenn der Schuldner nach Aufforderung unter Einräumung einer mindestens vierwöchigen Nachfrist unter Hinweis auf die Säumnisfolgen die Massekosten nicht gezahlt hat.

Bei Einführung dieser Bestimmung orientierte sich der Gesetzgeber an der damaligen Regelung des § 156 KO, nach der die Verzugsfolgen im Ausgleich erst dann anzunehmen sind, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit trotz einer vom Gläubiger unter Einräumung einer mindestens 14‑tägigen Nachfrist an ihn gerichteten schriftlichen Mahnung nicht gezahlt hat (ErlRV 988 BlgNR 21. GP  37). Dementsprechend wurde in der Literatur auch vertreten, dass die Mahnung als bloße Zahlungsaufforderung nach § 196 IO nicht in Beschlussform zu ergehen habe ( Fink , Der Privatkonkurs nach der Insolvenzrechts‑Novelle 2002, ÖJZ 2003/11; ihm folgend Feil , InsolvenzO 8 § 196 Rz 3), und damit überhaupt nicht bekämpfbar wäre.

3. Ob die vom Erstgericht in Analogie zu § 196 IO erfolgte Aufforderung an die Schuldnerin zur Zahlung der Treuhänder‑ und Treuhandkontokosten unter Hinweis auf die sonst nicht erfolgende Restschuldbefreiung einen anfechtbaren Beschluss darstellt, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.

Während sich das Erstgericht die Entscheidung über die Restschuldbefreiung ausdrücklich vorbehalten hat und in seinem Beschluss nur die Aufforderung zur Zahlung der Treuhandkosten aufgenommen hat, strebt die Schuldnerin mit ihrem Rekurs eine Entscheidung über die Restschuldbefreiung an. Sie will daher keine Aufhebung oder Abänderung im Rahmen des „Entscheidungsgegenstands“ des Erstgerichts – so wendet sie sich nicht gegen ihre grundsätzliche Zahlungspflicht für die Treuhänderkosten –, sondern eine Entscheidung über eine Sachfrage, über die das Erstgericht ausdrücklich noch nicht entschieden hat. Ein „Beschluss“, womit das Gericht wie hier die Entscheidung über einen gestellten Antrag vorbehält, hat nicht den Charakter einer gerichtlichen Entscheidung und ist deshalb mangels einer Beschwer des Anfechtenden unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0006111; 1 Ob 2401/96m mwN).

Dabei handelt es sich auch nicht bloß um ein Versehen der Schuldnerin, sondern eindeutig um das von ihr angestrebte Rechtsschutzziel, weshalb auch ein Verbesserungsverfahren nicht in Betracht käme.

Der Rekurs wäre daher von der zweiten Instanz als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Stattdessen ist aber eine inhaltliche Entscheidung erfolgt.

Entscheidet das Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen die unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurs als Nichtigkeit, die eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen und der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0042059; RS0115201).

Über die Restschuldbefreiung wird nunmehr das Erstgericht (erstmalig) zu entscheiden haben.

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