OGH 8Ob75/17p

OGH8Ob75/17p28.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen (Antragsgegner) 1. L*, geboren am * 2005, und 2. I*, geboren am * 2008, beide wohnhaft bei ihrer Mutter K*, beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung *, gegen den Vater (Antragsteller) I*, vertreten durch Dr. Christoph Schützenberger, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der Antragsgegner gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Februar 2017, GZ 44 R 90/17m‑453, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 30. Dezember 2016, GZ 4 PU 75/10v‑444, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119498

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Die beiden Minderjährigen entstammen der im Jänner 2009 geschiedenen Ehe zwischen K* und I*. Sie leben im Haushalt der Mutter.

Der Vater der beiden Minderjährigen ist seit 14. September 2015 bei der Griechisch-Orthodoxen Kirchengemeinde angestellt. Seit 1. September 2016 bezieht er aus einer 20 Stunden-Beschäftigung ein monatliches Nettoeinkommen von 833,46 EUR. Er lebt bei seinem Vater (Großvater der Minderjährigen) und hat keine weiteren Sorgepflichten.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 17. 2. 2016 (ON 371), teilweise abgeändert durch den Beschluss des Rekursgerichts vom 29. 3. 2016 (ON 378), wurde die Unterhaltspflicht des Vaters zuletzt für Februar 2015 mit je 40 EUR je Kind, für März bis September 2015 mit 172 EUR je Kind, für Oktober und November 2015 mit je 131 EUR je Kind, für Dezember 2015 mit 142 EUR für L* sowie mit 119 EUR für I* und für die Zeit ab 1. 1. 2016 mit 138 EUR für L* sowie 115 EUR für I* festgestellt. Damals bezog der Vater seit 14. September 2015 aus seiner Anstellung bei der Griechisch‑Orthodoxen Kirchengemeinde durchschnittlich 1.024 EUR netto monatlich einschließlich anteiliger Sonderzahlungen.

Mit Antrag vom 10. (und 24.) Oktober 2016 begehrte der Vater (Antragsteller), seine Unterhalts-verpflichtung ab 1. September 2016 auf 33 EUR für L* und auf 28 EUR für I* herabzusetzen. Als Lehrer habe er keinen Einfluss auf die Anzahl der Unterrichtseinheiten. Er bemühe sich vergeblich um ein Zusatzeinkommen. Die Ausübung des Kontaktrechts zu seinen Kindern verursache hohe Kosten. Im Hinblick auf die absolute Belastungsgrenze sei sein Unterhalt herabzusetzen.

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger als gesetzlicher Vertreter der beiden Minderjährigen sprach sich gegen die beantragte Unterhaltsherabsetzung aus. Es möge geprüft werden, ob die verminderte Arbeitstätigkeit des Vaters durch den Arbeitgeber vorgegeben sei und ob der Vater andere Einkünfte aus Gelegenheitsarbeiten erzielen könne. Außerdem sei zu prüfen, ob das Existenzminimum des Vaters zu verringern sei, wenn er in einer Haushaltsgemeinschaft (mit seinem Vater) lebe und die Lebenshaltungskosten daher nicht allein zu tragen habe.

Das Erstgericht wies das Unterhalts-herabsetzungsbegehren ab. Bei der Unterhaltsbemessung sei zwar die absolute Belastungsgrenze zu berücksichtigen, die dem Unterhaltsschuldner zur Befriedigung seiner eigenen Lebensbedürfnisse verbleiben müsse. Diese belaufe sich im Jahr 2016 auf 772 EUR monatlich. Der Antragsteller lebe jedoch seit Jahren mit seinem Vater im gemeinsamen Haushalt, weshalb für ihn die niedrige Belastungsgrenze von 580 EUR heranzuziehen sei. Davon ausgehend entspreche die bisherige Unterhaltsverpflichtung des Vaters seiner Leistungsfähigkeit, weil die ihm verbleibenden monatlichen Beträge nach der Prozentsatzmethode auf die beiden Unterhaltsberechtigten aufzuteilen seien, wobei diese Berechnung genau zu den seit 1. Jänner 2016 dem Vater auferlegten Unterhaltsbeträgen führe.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung über Rekurs des Vater teilweise ab und setzte dessen Unterhaltsverpflichtung für beide Kinder ab 1. September 2016 auf jeweils 40 EUR monatlich herab. Der Einwand des Rekurswerbers, er wohne zwar bei seinem Vater, allerdings führten die beiden getrennte Haushalte, müsse erfolglos bleiben. Der Vater lebe bereits seit Jahren im gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater, auch im Jahre 2015, als der Kinder‑ und Jugendhilfeträger ausgehend vom damaligen Nettoeinkommen des Vaters (857,70 EUR) einer Unterhaltsherabsetzung auf jeweils monatlich 40 EUR für beide Kinder zugestimmt hat. Da sich im Vergleich zur damaligen Unterhaltsfestsetzung die Umstände nicht wesentlich geändert hätten, stelle die bloße Beibehaltung des gemeinsamen Wohnsitzes mit dem Vater keine wesentliche Änderung dar, die einen Eingriff in die materielle Rechtskraft der Vorentscheidung zu rechtfertigen vermöge; der Unterhaltsbetrag von je 40 EUR für beide Kinder sei daher „beizubehalten“.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, „ob eine in einer Vorperiode erteilte Zustimmung zu einer Unterhaltsherabsetzung auf der Basis damals und derzeit vergleichbarer Wohn-und Einkommensverhältisse für die nunmehrige Bemessungsperiode Bindungswirkung auch dann entfalte, wenn in der dazwischen liegenden Periode die Einkommensverhältnisse eine wesentliche Änderung erfahren haben.“

Die Antragsgegner wenden sich in ihrem Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts und beantragen, diesen aufzuheben und den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Das Rekursgericht bezieht sich in seinen Rechtsausführungen auf eine mit Zustimmung der Unterhaltsberechtigten erfolgte Unterhaltsherabsetzung im Jahr 2015. Mit dem damaligen Beschluss vom 23. 7. 2015 (ON 326) wurden rückwirkend für acht Monate (1. 6. 2014 bis 31. 1. 2015) die damals mit 205 EUR bzw 180 EUR monatlich festgesetzten Unterhaltsbeträge auf 40 EUR monatlich je Kind herabgesetzt. Seit dieser – überdies nur für einen in der Vergangenheit gelegenen, begrenzten Zeitraum erfolgten – Unterhaltsfestsetzung haben sich die maßgebenden Verhältnisse und auch die Unterhaltsbeträge mehrfach geändert. Dazu kommt, dass die Frage, ob für den Antragsteller wegen einer schon seit Jahren (angeblich) bestehenden Haushaltsgemeinschaft (mit seinem Vater) eine niedrigere Belastungsgrenze heranzuziehen ist, in früheren Verfahren über die Festsetzung der Unterhaltsbeträge nie thematisiert und demgemäß auch nicht behandelt wurde. Für die vom Rekursgericht angenommene Bindungswirkung fehlt daher jegliche Grundlage.

Damit erweist sich das Verfahren aber als noch nicht spruchreif.

2. Nach ständiger Rechtsprechung hat dem Unterhaltsschuldner ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Person und seiner Persönlichkeit notwendig ist (RIS‑Justiz RS0008667). Die Bestimmungen der Exekutionsordnung können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Die Unterhaltsbemessung kann im Hinblick auf § 292b EO zwar über die Grenze des § 291b EO hinausgehen, jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre (RIS‑Justiz RS0047455). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann daher auch unter das – auch als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichnete – niedrigste Existenzminimum in Höhe von 75 % des allgemeinen Grundbetrags (§ 291b Abs 2 iVm § 291a Abs 1 EO; dazu Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 590) herabgegangen werden (RIS‑Justiz RS0125931; 1 Ob 160/09z [verst Senat]; 6 Ob 81/10w). Als ein solcher Ausnahmefall wurde der Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehepartner oder Lebensgefährten anteilig getragen werden (6 Ob 184/06m; 1 Ob 160/09z; s dazu auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8, 85 ff und Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 593).

3. In seinem Rekurs gegen die erstgerichtliche Entscheidung beanstandete der Antragsteller, dass der gemeinsame Wohnsitz an der Adresse seines Vaters vom Erstgericht mit ihm nicht erörtert worden sei; andernfalls hätte sich herausgestellt, dass ein bloßes Untermietverhältnis vorliege und getrennte Haushalte der beiden bestünden. Der vom Erstgericht als Belastungsgrenze angesetzte Betrag sei für die Lebensführung des Antragstellers unzureichend; das Erstgericht sei zu Unrecht von einer Haushaltsgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Vater ausgegangen.

Diesem Einwand kann Berechtigung nicht abgesprochen werden: Die Antragsgegner haben mit Eingabe vom 15. 12. 2016 unter Hinweis auf den Umstand, dass der Antragsteller schon vor Jahren zu seinem Vater gezogen sei, um Prüfung ersucht, ob eine Haushaltsgemeinschaft der beiden vorliege. Weder wurde diese Eingabe mit dem Vater erörtert, noch wurden zu dieser Frage Erhebungen gepflogen und Feststellungen getroffen. Allein die Tatsache, dass der Antragsteller bei seinem Vater gemeldet ist, reicht aber für eine abschließende Beurteilung nicht aus.

Im fortzusetzenden Verfahren wird daher zu erheben sein, ob und in welchem Umfang sich der Antragsteller durch seine konkrete Wohnsituation an der Adresse seines Vaters Kosten der Unterkunft (und allenfalls auch der Verpflegung) erspart. Erst danach kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie sich dies auf seine äußerste Belastungsgrenze (und damit auch auf die Höhe seiner Unterhaltspflichten) auswirkt.

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