OGH 10ObS42/18a

OGH10ObS42/18a26.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Schmidberger-Kassmannhuber-Schwager Rechtsanwalts-Partnerschaft in Steyr, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Entziehung des Rehabilitationsgeldes, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2018, GZ 11 Rs 12/18s‑40, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00042.18A.0626.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1974 geborene Kläger bezog ab 1. 5. 2015 bis zu dessen Entziehung per 31. 7. 2016 Rehabilitationsgeld.

Mit der gegen den Entziehungsbescheid gerichteten Klage begehrt er die Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes über den 31. 7. 2016 hinaus.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung– soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – zugrunde, dass der Kläger aufgrund der seit der Gewährung des Rehabilitationsgeldes eingetretenen Besserung seines Gesundheitszustands wiederum in seinem Berufsfeld als (gelernter) Sägefacharbeiter tätig sein kann. Der Kläger, der in einer typischen „Pendlergemeinde“ wohnt, ist in der Lage, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen und eine Wegstrecke von 500 m innerhalb von 20 bis 25 Minuten zu bewältigen. Eine Wohnsitzverlegung und ein Wochenpendeln ist ihm medizinisch nicht möglich. Innerhalb eines Radius einer mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Tagesdistanz liegen aber nicht einmal 15 kalkülsentsprechende Arbeitsplätze. Innerhalb eines Radius einer mit einem PKW erreichbaren Tagespendlerdistanz existieren demgegenüber mehr als 30 derartige Arbeitsplätze. Zum Entziehungszeitpunkt (dem 31. 7. 2016) war der Kläger mittels seines privaten Kraftfahrzeugs in der Lage, einen kalkülsentsprechenden Arbeitsplatz für einen Sägetechniker zu erreichen. Seit Oktober 2017 (somit zu einem mehr als ein Jahr nach der Entziehung des Rehabilitationsgeldes, aber noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt) darf er seinen PKW mangels gültiger Begutachtungsplakette nach § 57a KFG nicht mehr benützen. Im Hinblick auf ein anhängiges Schuldenregulierungsverfahren ist er derzeit nicht in der Lage, die notwendigen Reparaturkosten in Höhe von 800 EUR zu finanzieren. Es besteht für ihn auch keine Möglichkeit, innerhalb des Familienverbandes Fahrgemeinschaften zu bilden.

Das Erstgericht wies die Klage auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Da der Kläger in einer typischen Pendlergemeinde wohne, sei er auf die Benützung eines privaten PKWs verweisbar. Der Umstand, dass ihm kein Kraftfahrzeug mehr zur Verfügung stehe, sei erst nach dem Zeitpunkt der Leistungsentziehung eingetreten. Die daraus abgeleitete Frage der fehlenden Verweisbarkeit stelle sich daher im Verfahren über die Entziehung des Rehabilitationsgeldes nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

1.1 Der angefochtene Bescheid vom 16. 6. 2016 fällt bereits in den Geltungsbereich des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes 2015 (SVAG 2015, BGBl I 2015/2), mit dem auch die Entziehung des Rehabilitationsgeldes neu geregelt wurde. Der Grundtatbestand des § 99 Abs 1 ASVG blieb aber unberührt. Bei dem Entziehungstatbestand der Besserung des Gesundheitszustands handelt es sich daher (weiterhin) um einen Fall des Wegfalls einer ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzung im Sinne des Grundtatbestands des § 99 Abs 1 ASVG (Atria in Sonntag, ASVG9 [2018] § 99 Rz 23). Das Rehabilitationsgeld darf daher nach § 99 Abs 1 ASVG nur dann entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung eingetreten ist (10 ObS 50/15y, SSV‑NF 29/48; RIS‑Justiz RS0106704 [T4]; RS0083941 [T9]).

1.2 Gegenüberzustellen sind der Zustand zur Zeit der Erlassung des Gewährungsbescheids und der Zustand im Zeitpunkt der Entziehung. Ist der Leistungsbezieher durch die Änderung (etwa die Besserung des Gesundheitszustands) auf dem Arbeitsmarkt wieder einsetzbar, ist auch eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes sachlich gerechtfertigt (vgl RIS‑Justiz RS0083876 [T2]; Schramm in SV‑Komm [184. Lfg] § 99 ASVG Rz 6 mwN). Maßgeblicher Vergleichszeitpunkt für die Frage der Entziehung des Rehabilitationsgeldes ist – wie ganz allgemein – jener der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes (10 ObS 131/16m = RIS‑Justiz RS0083876 [T2]).

2. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass der Kläger bei Gewährung des Rehabilitationsgeldes zu keiner geregelten Arbeit befähigt war. Dagegen war er zum Zeitpunkt der Entziehung infolge Besserung des Gesundheitszustands arbeitsfähig und auch in der Lage, mit seinem privaten PKW auf dem ihm offen stehenden regionalen Arbeitsmarkt einen kalkülsentsprechenden Arbeitsplatz zu erreichen.

3.1 Mit seinem Standpunkt, dass er wegen der nach der Entziehung, aber noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetretenen Reparaturbedürftigkeit seines PKW als nicht mehr verweisbar (bzw nicht mehr arbeitsfähig) anzusehen sei, gelingt es dem Revisionswerber nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

3.2 Ein Antrag auf Weitergewährung einer gemäß § 99 ASVG wegen Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustands des Anspruchsberechtigten entzogenen Leistung, etwa einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension, ist grundsätzlich nicht geeignet, einen neuen Stichtag iSd § 223 Abs 2 ASVG auszulösen (10 ObS 30/92, SSV‑NF 6/19).

4.1 Ein Ausnahmefall von diesem Grundsatz liegt nur bei zunächst zu Recht erfolgter Entziehung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension und dem Hinzutreten eines neuen Leidens während des Gerichtsverfahrens vor. In diesem Fall ging die Rechtsprechung schon bisher davon aus, dass der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit von Neuem eingetreten ist (§ 223 Abs 1 Z 2 lit a oder b ASVG), weshalb das Klagebegehren (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) ab einem neuen Stichtag berechtigt angesehen wurde. Von der Notwendigkeit eines neuen Leistungsantrags wurde abgesehen, da das auf Weitergewährung der entzogenen Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren als logisches Substrat das Eventualbegehren auf Wiedergewährung der Pensionsleistung enthält (10 ObS 116/93, SSV‑NF 7/92; RIS‑Justiz RS0099110).

4.2 Folgt man dieser Ansicht, ist im vorliegenden Fall zu bedenken, dass es zu keiner Änderung des Gesundheitszustands infolge Hinzutretens eines neuen medizinischen Leidenszustands gekommen ist, sondern dass lediglich der Umstand eingetreten ist, dass der zur Erreichung des Arbeitsplatzes erforderliche PKW des Klägers schadhaft geworden ist. Ein derartiger Umstand ist aber nach der dargestellten Rechtsprechung ungeeignet, die vom Revisionswerber offenbar gewünschte Anwendung der in der Entscheidung 10 ObS 116/93, SSV‑NF 7/92 (RIS‑Justiz RS0099110) vertretenen Rechtsansicht im Verfahren über die Entziehung des Rehabilitationsgeldes zu begründen.

5.1 Auch materiell‑rechtlich wäre der Anspruch des Klägers auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes zu verneinen:

Für einen Versicherten, der (aus gesundheitlichen Gründen) nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, besteht an sich keine Verpflichtung, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen (RIS‑Justiz RS0085083). Diese Rechtsauffassung wurde vor allem damit begründet, dass sonst vom Versicherten, der bereits den überwiegenden Teil der Anschaffungskosten für den Pkw getragen hatte, unter Berücksichtigung der regelmäßigen Betriebskosten des Fahrzeugs für die Zurücklegung des Weges zum Arbeitsplatz ein finanzieller Einsatz verlangt würde, der erheblich über dem der Mehrheit der Versicherten liegt, denen die Möglichkeit zur Verfügung steht, ein öffentliches Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz zu benützen (10 ObS 347/88, SSV‑NF 3/142 = SZ 62/195).

5.2 Nach ständiger Rechtsprechung kommt dieses Kostenargument aber dann nicht zum Tragen, wenn auch Versicherte in einer vergleichbaren Situation zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeugs angewiesen sind (RIS‑Justiz RS0084907; RS0085083 [T3]).

5.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass in der Wohnortgemeinde des Klägers 75 % der Erwerbstätigen mit dem PKW zum Arbeitsplatz pendeln. Der Kläger ist nicht aus medizinischen Gründen daran gehindert, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen; der Grund, die Arbeitswege mit dem PKW zurückzulegen, liegt für ihn nur darin, dass infolge der Abgelegenheit seines Wohnorts keine ausreichende Anzahl von ihm zumutbaren Arbeitsplätzen vorhanden ist, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbarerweise erreichbar sind.

6. Damit muss der Einwand des Klägers, er könne die Kosten für die Reparatur seines Fahrzeugs nicht aufbringen, erfolglos bleiben. Ist Tagespendeln nicht aus medizinischen Gründen ausgeschlossen, hat ein abgelegener Wohnort des Versicherten, der durch öffentliche Verkehrsmittel kaum oder schlecht erschlossen ist, als persönliches Moment bei der Beurteilung der Verweisbarkeit grundsätzlich ebenso außer Betracht zu bleiben (RIS‑Justiz RS0085017).

Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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