OGH 3Ob46/18p

OGH3Ob46/18p23.5.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Familienrechtssache des A*, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, Vater C*, vertreten durch Dr. Thomas Marschall, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 12. Dezember 2017, GZ 15 R 430/17m‑280, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 25. August 2017, GZ 2 PU 20/13m‑271, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121593

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird im angefochtenen Umfang (soweit damit der Antragsgegner zu Unterhaltszahlungen für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2017 verpflichtet wurde, mit Ausnahme der unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Mehrbegehrens von 3.541,74 EUR sA für diesen Zeitraum) aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der im Juli 1997 geborene Antragsteller begehrte am 20. März 2015 (damals noch minderjährig, vertreten durch seine Mutter), seinen Vater zu einer höheren monatlichen Unterhaltsleistung von 600 EUR ab 1. Februar 2015 zu verpflichten. Der vom Gericht zuletzt am 28. Mai 2014 festgesetzte Unterhalt von 488 EUR monatlich sei unzureichend und entspreche nicht der Einkommenssituation des Vaters. Die Einkommensverhältnisse des Antragsgegners hätten sich seit der letzten Beschlussfassung wesentlich geändert. Am 21. April 2017 (nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens) begehrte der Antragsteller eine Erhöhung des monatlichen Unterhalts ab 1. Februar 2015 auf je 1.200 EUR, wobei die rückständigen Unterhaltsbeträge samt 4 % Zinsen seit Fälligkeit zu leisten seien. Aus dem zwischenzeitig vom Gericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen ergebe sich ein Nettoeinkommen des Antragsgegners von monatlich zumindest 7.548 EUR, weshalb dieser zu Unterhaltsleistungen in der geforderten Höhe zu verpflichten sei.

Der Antragsgegner wendete zusammengefasst ein, dem Antrag stehe die rechtskräftige Unterhaltsfestsetzung vom Mai 2014 entgegen und die Änderung des Erhöhungsantrags durch die Ausdehnung im April 2017 sei wegen Streitanhängigkeit des zuerst erhobenen Antrags für denselben Zeitraum unzulässig. Die vom Sohn behaupteten Einkommensverhältnisse des Vaters seien unrealistisch und die Zurechnung von Jahresüberschüssen der GmbH, an der der Antragsgegner beteiligt sei, habe im Familienrecht keine Grundlage. Außerdem sei der Antragsteller seit Juli 2017 selbsterhaltungsfähig, weshalb die Einstellung der Unterhaltsverpflichtung beantragt werde.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner zu (näher aufgeschlüsselten) monatlich höheren Unterhaltszahlungen ab 1. Februar 2015 und wies das Mehrbegehren des Kindes auf Unterhaltserhöhung sowie den Antrag des Vaters auf Befreiung von der Unterhaltsverpflichtung ab.

Das Erstgericht stellte das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des (selbständig tätigen) Antragsgegners in den Jahren 2012 bis 2014 fest sowie „die Jahressteuerbemessungsgrundlage für das Jahr 2015“, ermittelte die festgesetzten monatlichen Unterhaltsbeträge und verwies darauf, dass die (jeweils dem Alter des Antragstellers entsprechend bezifferte) Luxusgrenze damit nicht erreicht werde. Die Änderung des Erhöhungsantrags (von zunächst 600 EUR auf 1.200 EUR monatlich) sei eine zulässige ziffernmäßige Änderung des Begehrens auf Unterhaltserhöhung. Mangels Vorlage sämtlicher Unterlagen für das Jahr 2015 durch den Antragsgegner sei dessen tatsächliches Einkommen nicht feststellbar. Daher seien die letzten drei Jahreseinkommen (2012 bis 2014) der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legen.

Das Rekursgericht gab den dagegen von beiden Parteien erhobenen Rekursen teilweise Folge; hob die Entscheidung des Erstgerichts über die Anträge auf Unterhaltserhöhung ab 1. Juli 2017 sowie auf Unterhaltsbefreiung auf und verwies die Rechtssache insoweit (sowie im Umfang eines Zinsenmehrbegehrens) zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Es verpflichtete den Antragsgegner für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2017 zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands von insgesamt 17.286,26 EUR samt 4 % Zinsen (gestaffelt) aus den Beträgen, die jeweils den bereits festgesetzten Unterhalt von 488 EUR monatlich übersteigen, und wies ein Mehrbegehren für diesen Zeitraum in der Höhe von 3.361,74 EUR sA (unbekämpft) ab.

Die Ausdehnung des ursprünglichen Antrags auf Unterhaltserhöhung sei zulässig. Die Rechtskraft des Beschlusses vom 28. Mai 2014 stehe dem Antrag nicht entgegen, weil der Unterhaltsberechtigte eine wesentliche Änderung der Verhältnisse behauptet und unter Beweis gestellt habe. Zur Frage der vom Antragsgegner eingewendeten Selbsterhaltungsfähigkeit des Antragstellers seien allerdings noch ergänzende Feststellungen (insbesondere zur Zielstrebigkeit der Schulausbildung durch den Unterhaltsberechtigten) erforderlich. Aufgrund der Weigerung des Antragsgegners, an der Ermittlung seines Einkommens mitzuwirken, habe das Erstgericht zu Recht weitere Erhebungen zum Jahr 2015 unterlassen; nur mangels Vorlage entsprechender Urkunden habe nicht festgestellt werden können, ob (und in welcher Höhe) ausschüttungsfähige Gewinne oder Privatentnahmen des Antragsgegners vorhanden gewesen seien. Eine Beteiligung des Antragsgegners an einer GmbH sei im Gutachten des Sachverständigen ausgewiesen, zusätzlich habe die Gesellschaft eine Verbindlichkeit gegenüber dem Antragsgegner und sie selbst verfüge über eine Beteiligung an einer anderen GmbH, wobei deren Ergebnis nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage Eingang gefunden habe. Der Sachverständige habe aber für die Jahre 2012 bis 2014 das dem Unterhaltspflichtigen jeweils zurechenbare Eigenkapital festgestellt und darauf hingewiesen, dass eine Berechnung der Entnahmen und Verknüpfung mit den Lebenshaltungskosten mangels Informationen nicht möglich sei. Der Antragsgegner habe seine Einwände gegen das festgestellte Einkommen nicht nachweisen können; allein die Vorlage des Einkommensteuerbescheids für 2015 ohne weitere Unterlagen sei unzureichend und es sei nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht diese Urkunde nicht zum Anlass genommen habe, das Sachverständigengutachten neuerlich ergänzen zu lassen. Ein vermutlich aufgrund eines Ziffernsturzes zu gering zuerkannter Betrag von 36 EUR für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2015 sei zu berichtigen gewesen, ebenso die vom Erstgericht unterlassene Entscheidung über das Zinsenbegehren. Da Feststellungen darüber fehlten, ob und wann im Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2017 die monatlichen 488 EUR vom Antragsgegner geleistet worden seien, sei auch zum Zinsenmehrbegehren in diesem Umfang eine Verfahrensergänzung erforderlich.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, nach der Rechtsprechung sei bei der Unterhaltsbemessung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum das tatsächlich erzielte Einkommen maßgeblich; demgegenüber sei hier aber der Beschlussfassung eine Schätzung zugrunde gelegt worden.

In seinem Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Unterhaltserhöhungsanträge des Antragstellers zurück‑ oder abgewiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn seines Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Den – bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen – Einwand des Antragsgegners, die Ausdehnung des am 20. März 2015 erhobenen Unterhaltserhöhungsantrags mit Antrag vom 21. April 2017 sei wegen Streitanhängigkeit unzulässig, haben die Vorinstanzen zutreffend als unberechtigt erkannt. Dem Außerstreitverfahren ist der Begriff der Streitanhängigkeit fremd (RIS‑Justiz RS0125903 [T3]). § 12 Abs 2 AußStrG normiert für die der Streitanhängigkeit entsprechende Verfahrenskonstellation eine spezifische Art des Umgangs, indem sie – im Gegensatz zum Zivilprozess – kein Prozesshindernis, sondern die „Vereinigung“ aller Anträge vorsieht (RIS‑Justiz RS0116910 [T1]; RS0125903). Nach der Rechtsprechung ist ein während des laufenden Verfahrens volljährig gewordenes Kind berechtigt, neue Behauptungen aufzustellen, neue Beweismittel anzubieten, aber auch geltend zu machen, dass der gesetzliche Unterhaltsanspruch höher ist als bisher angenommen; eine solche Ausdehnung des Unterhaltsbegehrens stellt inhaltlich eine Präzisierung des bereits geltend gemachten Begehrens auf angemessenen Unterhalt dar und nicht die Erhebung eines neuen Anspruchs (RIS‑Justiz RS0047381 [T3], wobei seit dem 1. Jänner 2005 auch gesetzliche Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder im Außerstreitverfahren geltend zu machen sind; RIS‑Justiz RS0119814 [T1]). Allgemein ist eine Änderung oder Erweiterung des Begehrens im laufenden Verfahren mangels einer einschränkenden Regelung im Gesetz unbeschränkt zulässig; die Präklusionsregel des § 33 Abs 2 AußStrG gilt nur für Tatsachenvorbringen oder Beweise (Rechberger in Rechberger, AußStrG2 § 9 Rz 3; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 9 Rz 36).

Die Ausdehnung des (mit Antrag vom 20. März 2015 zunächst auf eine monatliche höhere Unterhaltsleistung von je 600 EUR [statt 488 EUR] gerichteten) Begehrens am 21. April 2017 auf monatlich je 1.200 EUR ab 1. Februar 2015 ist daher – entgegen der Meinung des Antragsgegners – zulässig, weil der früher gestellte (geringer bezifferte) Antrag der Änderung (Ausdehnung) des Begehrens im laufenden Verfahren nicht entgegen steht.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung erfolgt bei selbständig Tätigen ganz allgemein die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage aus dem Durchschnittseinkommen der drei letzten, der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre, sofern nicht gesicherte aktuelle Daten zur Verfügung stehen. Damit sollen Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, ausgeschaltet und eine verlässliche Bemessungsgrundlage gefunden werden (RIS‑Justiz RS0053251 [T5, T6]).

Wird der Unterhalt für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum begehrt, so ist, soweit feststellbar, das im jeweiligen Zeitraum erzielte tatsächliche Einkommen maßgebend (RIS‑Justiz RS0053251 [T15]).

Bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage trifft den Unterhaltsschuldner eine Mitwirkungspflicht (RIS‑Justiz RS0047430 [T4], RS0047432 [T2]). Fällt ihm eine Verletzung dieser Pflicht zur Last, kann sein Einkommen nach freier Würdigung geschätzt werden (RIS‑Justiz RS0047432 [T7]).

2.2 Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht den Sachverständigen ausdrücklich (Beschluss vom 10. August 2015, Ergänzungsauftrag vom 19. Jänner 2017) nur mit der Ermittlung der Einkommensverhältnisse des Unterhaltsschuldners für die Jahre 2012 bis 2014 beauftragt und auch nur zu diesen drei Jahren (und damit für die Zeit vor dem Antragszeitraum ab 1. Februar 2015) Feststellungen getroffen; eine Schätzung des Einkommens hat es nicht vorgenommen. Aus der Begründung seiner Entscheidung lässt sich (ohne Rückrechnen) nicht entnehmen, welches Einkommen des Vaters für die hier maßgeblichen Jahre 2015 bis 2017 den festgesetzten Unterhaltsbeträgen zugrunde gelegt wurde.

Der Hinweis darauf, dass der Unterhaltsschuldner sich seit langem (und trotz mehrfacher Aufforderung) weigerte, dem Sachverständigen (bzw dem Gericht) geeignete Unterlagen und Informationen zu seinen Einkommensverhältnissen zur Verfügung zu stellen, kann entsprechende Feststellungen zum Einkommen in den Jahren 2015 bis 2017 nicht ersetzen.

2.3 Die Sachverhaltsgrundlage reicht für eine abschließende Beurteilung der angefochtenen Unterhaltsverpflichtung für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2017 daher nicht aus.

Im fortzusetzenden Verfahren wird auch zu beachten sein, dass – entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners – nach herrschender Ansicht bei einem selbständig erwerbstätigen Unterhaltsschuldner (auch) die Privatentnahmen als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen sind, sofern diese höher sind als der sonst für die Berechnung maßgebende Reingewinn (RIS‑Justiz RS0047382; vgl auch RS0117850; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 9; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 140 Rz 150 mwN). Der Unterhaltspflichtige muss die Unterhaltsberechtigten letztlich auch insoweit an seinem aufrecht erhaltenen Lebensstandard teilhaben lassen (RIS‑Justiz RS0047382, RS0011596).

Die – unbekämpft in Rechtskraft erwachsene – Abweisung des Mehrbegehrens für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis 30. Juni 2017 bezieht sich erkennbar auf die jeweiligen Differenzen zum beantragten (erhöhten) monatlichen Unterhalt von insgesamt 1.200 EUR ab 1. Februar 2015 (daher je 251,10 EUR für Februar 2015 bis Juni 2015, je 205,10 EUR für Juli 2015 bis Dezember 2015 und je 175,94 EUR für Jänner 2016 bis Juni 2016).

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 AußStrG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte