European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00043.18M.0410.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin ist schuldig, dem Zweitantragsgegner binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Die Antragstellerin ist zu 700/8300‑Anteilen Miteigentümerin einer Liegenschaft. Mit diesen Anteilen ist Wohnungseigentum an der Einheit GR (Geschäftsraum) 4 verbunden. Die Antragsgegner sind die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft.
Das Bezirksgericht Dornbirn setzte mit Beschluss vom 25. 1. 1965 den ortsüblichen Jahresmietwert des gesamten Objekts sowie die Jahresmietwerte aller Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten gemäß § 2 WEG 1948 fest.
Das als Geschäftsraum gewidmete Wohnungseigentumsobjekt der Antragstellerin wurde zuletzt als Arztpraxis genutzt. Die Umwidmung in Wohnung wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 18. 2. 2016 bewilligt. Das Bauansuchen für den Ausbau als Wohnung wurde am 24. 5. 2016 bewilligt.
Die Antragstellerin begehrt mit Antrag vom 2. 6. 2017 die Neufestsetzung der Nutzwerte/Jahresmietwerte iSd § 9 Abs 2 WEG 2002. Nach Widmungsänderung weiche der Jahresmietwert für ihr Objekt um 31,43 % von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Die materiell‑rechtlichen Voraussetzungen für eine Neufestsetzung seien auch nach dem WEG 1948 gegeben.
Die Zweit ‑, Neunt ‑ und Zehntantragsgegner sprachen sich gegen den Antrag aus. Die Änderung der Widmung von Geschäftsraum auf Wohnung rechtfertige keine Neufestsetzung der Nutzwerte, weil eine solche nur bei einer Widmungsänderung im Zusammenhang mit allgemeinen Teilen in Betracht komme. Eine Neufestsetzung bloß nach Änderung der Benutzungsart würde die Eigentumsverhältnisse ändern und käme bedingt durch den Verlust von Anteilen einer Enteignung gleich. Der Zehntantragsgegner wendete sich insbesondere gegen die zu erwartenden höheren Betriebskosten.
Das Erstgericht setzte die Jahresmietwerte/Nutzwerte entsprechend dem vorgelegten Gutachten vom 11. 5. 2017 neu fest. In der rechtlichen Beurteilung bejahte es die Zulässigkeit der nach dem WEG 1948 zu beurteilenden Neufestsetzung im Fall der Änderung der Widmung von Geschäftsraum auf Wohnung. Die Neufestsetzung sei nach der ständigen Rechtsprechung nicht auf die ausdrücklich im Gesetz geregelten Fälle beschränkt. Zudem sei auch eine nachträgliche Bauführung im Sinn des § 3 Abs 2 Z 3 WEG 1975 anzunehmen. Da die Anteile der Antragsgegner vergrößert würden, sei der Einwand der einseitigen Änderung der Eigentumsverhältnisse oder der Enteignung unberechtigt. In diesem Verfahren sei nicht über eigentumsrechtliche Konsequenzen zu entscheiden.
Das vom Zweitantragsgegner angerufene Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluss im Sinn einer Abweisung des Antrags auf Neuparifizierung ab und ließ den Revisionsrekurs zu. In der rechtlichen Beurteilung hielt es zunächst – als im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig – fest, dass die Neufestsetzung der Jahresnutzwerte gemäß § 55 WEG 2002 iVm § 29 Abs 1 Z 1 WEG 1975 und § 2 WEG 1948 in sinngemäßer Anwendung des § 3 Abs 2 WEG 1975, nunmehr § 9 Abs 2 iVm Abs 3 WEG 2002 zu erfolgen habe und die dort genannten Fälle der Neufestsetzung der Nutzwerte nicht taxativ aufgezählt seien. Eine Widmungsänderung verstand es – 5 Ob 210/11k zitierend – im wohnungseigentumsrechtlichen Sinn, nämlich in der Änderung der Widmung von allgemeinen Teilen in Wohnungen oder Geschäftsräume, Zubehör in allgemeine Teile und ähnliches. Die Änderung bloß der Benützungsart oder der Zweckbestimmung von Wohn‑ oder Geschäftsräumen, für die bereits ein Nutzwert festgesetzt worden sei, erlaube hingegen keine Neufestsetzung. Auf § 9 Abs 2 Z 3 WEG 2002 (Änderung des Nutzwerts eines Wohnungseigentumsobjekts um mehr als 3 % als Folge einer abweichenden Bauführung) habe sich die Antragstellerin nicht gestützt. Eine derartige Bauführung ergebe sich zudem aus Bauansuchen und Baubeschreibung nicht.
Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht mit dem Vorliegen von divergierenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (5 Ob 210/11k vs. 5 Ob 148/11t).
Rechtliche Beurteilung
Der – vom Zweitantragsgegner beantwortete – Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Ausschließliches Thema des Revisionsrekursverfahrens ist, ob die Widmungsänderung des Wohnungseigentumsobjekts der Antragstellerin für sich alleine eine Neuparifizierung rechtfertigt. Die Frage der Auswirkungen von Umbaumaßnahmen wird nicht mehr releviert.
2.1 Hier wurde Wohnungseigentum noch nach dem WEG 1948 begründet. Die vor Inkrafttreten des WEG 1975 ergangene Rechtsprechung hielt zwar einen Antrag auf Neufestsetzung der Jahresmietwerte bei Änderungen des Sachverhalts für zulässig (5 Ob 288/63; RIS‑Justiz RS0083026), ließ aber eine bloße Änderung der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts (wie von Wohnung auf Geschäftsraum und umgekehrt) ohne bauliche Veränderungen außerhalb der Räumlichkeiten des Objekts nicht genügen. Das wurde damit begründet, dass nach § 12 Abs 5 MG, der sinngemäß auch auf Neuparifizierungen nach § 2 WEG anzuwenden sei, der Jahresmietzins nur festgesetzt werden könne, wenn der Mietgegenstand in seinem Bestand geändert wurde. Solche Änderungen könnten sich nur auf den Umfang des Bestandgegenstands (Vergrößerung oder Verkleinerung des Objekts) beziehen (5 Ob 31/65; RIS‑Justiz RS0083026 [T1]).
2.2 Nach § 55 WEG 2002 gelten die Übergangsregelungen des § 29 Abs 1 bis 3 WEG 1975 für die davon erfassten Rechtsverhältnisse (Wohnungs-eigentumsbegründung vor Inkrafttreten des WEG 1975) weiter.
2.3 § 29 Abs 1 WEG 1975 regelte das Außerkrafttreten des WEG 1948 mit folgenden Einschränkungen:
„Die §§ 2 und 5 (WEG 1948) sind in den Fällen weiterhin anzuwenden, in denen zumindest an einer Wohnung (einem Geschäftsraum) das Wohnungseigentum nach den bisher geltenden Vorschriften erworben worden ist. Dabei ist der § 3 Abs 2 Z 2 und Abs 3 iVm den § 4 Abs 3 und § 5 Abs 3 des vorliegenden Bundesgesetzes sinngemäß anzuwenden.“
2.4 § 3 Abs 2 Z 2 WEG 1975 (in der Stammfassung BGBl 1975/417) sah die Neufestsetzung des Nutzwerts auf Antrag vor, wenn sich der festgesetzte Nutzwert durch Änderungen im Bestand räumlich unmittelbar aneinandergrenzender Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten oder durch die Übertragung von Teilen der Liegenschaft, die nach § 1 Abs 2 mit einer Wohnung oder einer sonstigen Räumlichkeit im Wohnungseigentum stehen, von dieser auf eine andere Wohnung oder sonstige Räumlichkeit ändert.
2.5 Dieser, nach der zitierten Übergangsbestimmung des WEG 1975 sinngemäß auch auf Wohnungseigentumsbegründungen nach dem WEG 1948 anzuwendende Änderungstatbestand entspricht im Wesentlichen den in § 9 Abs 2 Z 5 WEG 2002 geregelten Fällen.
3.1 Nach der Rechtsprechung sind bei Wohnungseigentumsbegründung nach dem WEG 1948 die mit einer beantragten Neuparifizierung zusammenhängenden Streitfragen noch nach den Vorschriften des genannten Gesetzes zu lösen. Das gilt zufolge der Übergangsbestimmung des § 29 Abs 1 Z 1 WEG 1975 für die (Neu‑)Parifizierung durch Festsetzung der Jahresmietwerte (5 Ob 18/14d; 5 Ob 210/11k je mwN; RIS‑Justiz RS0048303). In diesem Zusammenhang sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass eine Neufestsetzung der Jahresmietwerte der vorhandenen Wohnungseigentumsobjekte nach § 2 WEG 1948 in sinngemäßer Anwendung des § 3 Abs 2 WEG 1975 (§ 9 Abs 2 WEG 2002) zu erfolgen habe (5 Ob 210/11k mwN).
3.2 Die Fälle der Neufestsetzung der Nutzwerte sind weder in § 3 Abs 2 WEG 1975 noch in § 9 Abs 2 WEG 2002 taxativ aufgezählt (stRsp RIS‑Justiz RS0083159). Dies hat der Oberste Gerichtshof auch für Fälle der Wohnungseigentumsbegründung noch vor Inkrafttreten des WEG 1975 vertreten und eine Neufestsetzung der Jahresmietwerte dann zugelassen, wenn Sachverhaltsänderungen nach den zwingenden Parifizierungsvorschriften eine Neuparifizierung erforderten (5 Ob 109/03w [unterbliebene Errichtung eines Wohnungseigentumsobjekts, das dessen Erlöschen gleichzuhalten ist]; 5 Ob 156/98x [Ausbau eines Dachgeschosses zu einer Wohnung]; 5 Ob 24/93 [Zerlegung eines Wohnungseigentumsobjekts in mehrere Einheiten]).
3.3 Die – hier umstrittene – Änderung der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts von Geschäftsraum auf Wohnung fällt nicht in diese Kategorie von Ausnahmefällen, in denen eine Neufestsetzung der Jahresmietwerte für zwingend notwendig erachtet wurde.
3.4 So hat das der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 210/11k = immolex 2014/62 ( Prader ) = wobl 2013/16 ( T . Hausmann ) – bezogen auf Altobjekte nach dem WEG 1948 – auch gesehen. Er verweist zwar auf die demonstrative Aufzählung des § 3 Abs 2 WEG 1975 und die Zulässigkeit einer Neuparifizierung nach Widmungsänderung, versteht darunter aber nur die Änderung der Widmung von Allgemeinen Teilen in Wohnungen und Geschäftsräume, Zubehör in allgemeine Teile, nicht aber die Änderung bloß der Benützungsart oder der Zweckbestimmung von Wohn‑ oder Geschäftsräumen, für die bereits ein Mietwert festgesetzt wurde.
3.5 Prader (immolex 2014, 254) hält dieses Ergebnis im Hinblick auf die Übergangsbestimmungen des § 55 WEG 2002, § 29 Abs 1 Z 1 WEG 1975 für richtig, weil nach § 2 WEG 1948 und § 12 Abs 6 MG ausschließlich bauliche Änderungen als berücksichtigungswürdig galten.
3.6 Tatsächlich ist die Aussage des Obersten Gerichtshofs in 5 Ob 210/11k auf Fälle der Wohnungseigentumsbegründung noch nach dem WEG 1948 zu reduzieren: Eingangs der rechtlichen Beurteilung legte die Entscheidung die Übergangsbestimmungen und die darauf basierende ständige Rechtsprechung dar, wonach mit der beantragten Neuparifizierung zusammenhängende Streitfragen nach den Vorschriften des WEG 1948 zu lösen sind. Als primäre Belegstelle für die Unzulässigkeit der Neufestsetzung eines (dort wie auch hier relevant) Mietwerts wird 5 Ob 187/68 (MietSlg 20.628/29) zitiert. Auch in dieser Entscheidung wurde so wie zu 5 Ob 31/65 begründet mit § 12 Abs 5 (nach dem Mietrechtsänderungsgesetz Abs 6) MG eine Neufestsetzung der Jahresmietzinse bloß wegen einer Widmungsänderung des Objekts ohne dessen umfängliche Änderung verneint.
3.7 T. Hausmann (wobl 2013, 53; Hausmann/Vonkilch WEG 4 § 9 Rz 59 und 60) kritisiert die Entscheidung 5 Ob 210/11k, die seiner Ansicht nach in krassem Widerspruch zu der wenige Wochen zuvor ergangenen Entscheidung 5 Ob 148/11t (wobl 2012, 357/109) sowie zu 5 Ob 23/87 (MietSlg 39.610/14) steht.
3.8 Dieser Widerspruch ist aber – ausgehend von dem bereits dargelegten Verständnis der kritisierten Entscheidung 5 Ob 210/11k – vermeintlich:
Zu 5 Ob 148/11t bejahte der Oberste Gerichtshof in seinem Zurückweisungsbeschluss (§ 508a Abs 2 ZPO) die Frage, ob eine Zustimmung aller Wohnungseigentümer zu einer Widmungsänderung (von Büro auf Wohnung) Voraussetzung eines Antrags auf Neufestsetzung der Nutzwerte nach den §§ 9, 10 WEG (und nicht der Jahresmietwerte im Sinn des WEG 1948) sei. Der Antrag auf Neuparifizierung scheiterte bereits an der fehlenden Zustimmung. Die Aussage zur Zulässigkeit einer Neuparifzierung bei Widmungsänderung bezieht sich nicht auf Altobjekte nach dem WEG 1948.
5 Ob 23/87 betraf die nach § 3 Abs 2 Z 2 WEG 1975 zu beurteilende Zusammenlegung eines Geschäftslokals und einer Wohnung sowie die nach § 3 Abs 2 Z 1 oder 3 WEG 1975 zu beurteilende Umwidmung der Wohnung in ein Geschäftslokal bei Wohnungseigentumsbegründung schon nach dem WEG 1975. In diesem Konnex wurde die zu § 2 WEG 1948 ergangene Rechtsprechung zur Unzulässigkeit einer Neuparifizierung nach Änderung der Zweckbestimmung als überholt bezeichnet.
3.9 T. Hausmann sieht zudem einen Widerspruch zu § 5 Abs 1 WEG 1975. Danach ist die Zweckbestimmung eines Objekts einer von mehreren beispielsweise angeführten Parametern für die Festsetzung des Nutzwerts. Die hier anzuwendende Übergangsbestimmung des § 29 Abs 1 WEG ordnet aber die sinngemäße Anwendung des § 5 Abs 1 WEG 1975 für Altobjekte nach dem WEG 1948 nicht an.
4. Ergebnis: Die Änderung der Benützungsart oder Zweckbestimmung eines Wohnungseigentumsobjekts, für das nach dem WEG 1948 ein Jahresmietwert festgesetzt wurde, ist für sich alleine kein Grund für eine Neuparifizierung. Das Rekursgericht hat somit den darauf abzielenden Antrag zutreffend abgewiesen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG 2002.
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