OGH 4Ob48/18i

OGH4Ob48/18i22.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* GmbH, *, Deutschland, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 62.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 5. Februar 2018, GZ 5 R 13/18y‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121146

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Beide Parteien vertreiben ein Medizinprodukt (PCT‑Test) einer Drittherstellerin, mit dem schwere bakterielle Infektionen diagnostiziert werden können. Die PCT‑Tests werden nur an professionelle Abnehmer (Krankenhäuser, Ärzte, Labors) abgegeben. Die Beklagte verkauft die PCT‑Tests so, wie sie von der Herstellerin geliefert werden, und zwar ohne Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache. Der „Beipackzettel“ enthält lediglich einen (für Österreich und Deutschland nicht weiterführenden) Hinweis auf die Website der Herstellerin. Die Telefonhotline der Herstellerin ist 24 Stunden täglich erreichbar.

Zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruchs beantragte die Klägerin, gestützt auf § 1 Abs 1 Z 1 UWG, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Beklagten – soweit für das Verfahren noch relevant – verboten werden soll, PCT‑Tests in Österreich ohne Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache in den Verkehr zu bringen. Die Beklagte verstoße gegen § 9 MPG, weshalb das Inverkehrbringen der PCT‑Tests nach § 6 Z 1 MPG verboten sei. Das Verhalten der Beklagten sei „spürbar“, weil sie kostengünstiger auf dem Markt agiere und als „Billigschiene“ Marktanteile erkämpfen könne.

Die Vorinstanzen wiesen das Sicherungsbegehren ab. Das Rekursgericht gelangte zum Ergebnis, dass sich § 9 MPG nicht nur an Hersteller, sondern auch an Importeure und Händler richte. Die Beklagte könne sich zu dieser Bestimmung auf keine vertretbare Rechtsansicht stützen. Die Klägerin habe aber nicht ausreichend behauptet und bescheinigt, dass das beanstandete Verhalten geeignet sei, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen. Ein relevanter Kostenvorteil sei für das Rekursgericht nicht zu erkennen.

Die Klägerin steht im außerordentlichen Revisionsrekurs auf dem Standpunkt, dass die Anordnung in § 9 Abs 6 MPG, die eine Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache verlange, eine marktauftrittsbezogene Verhaltensregel sei, weshalb die Beweislast für die Spürbarkeit die Beklagte treffe.

Rechtliche Beurteilung

Damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm ist als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unerlaubte Handlung iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Maßgebend für die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die einschlägige Rechtsprechung oder die beständige Verwaltungspraxis (RIS‑Justiz RS0123239; 4 Ob 66/17k).

Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen. Die Eignung eines Rechtsbruchs zur spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs kann sich – ausgehend vor allem von den typischen Auswirkungen des Rechtsbruchs – schon aus dem Normenverstoß als solchem ergeben. Ob es darüber hinaus – insbesondere bei der Verletzung wettbewerbsneutraler Normen – noch weiterer Sachverhaltselemente bedarf, aus denen die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs geschlossen werden kann, und die vom Kläger zu behaupten und zu beweisen wären, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; eine allgemeine Regel lässt sich dafür nicht aufstellen (RIS‑Justiz RS0123243; 4 Ob 225/07b; 4 Ob 66/17k; vgl auch RS0123661). Aus der von der Klägerin angeführten Unterscheidung zwischen marktverhaltensregelnden (wettbewerbsbezogenen und marktauftrittsbezogenen) Normen einerseits und marktneutralen Ordnungsvorschriften (Marktzutrittsregeln) andererseits kann somit keine generelle Behauptungs- und Beweislastregel abgeleitet werden.

2. Der Tatbestand des Rechtsbruchs soll verhindern, dass ein einzelner Mitbewerber durch Gesetz oder Vertrag festgelegte Verhaltenspflichten missachtet und sich dadurch einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb verschafft. Für die Wettbewerbsrelevanz ist nicht der Zweck oder Regelungsgegenstand der verletzten Norm, sondern die tatsächliche Auswirkung auf den Markt entscheidend (vgl 4 Ob 225/07b; 4 Ob 51/08s). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen nicht bloß unerheblich sein dürfen, sondern die Spürbarkeitsschwelle überschreiten müssen.

Die Frage, ob der Kläger konkrete Sachverhaltselemente zur Darlegung der spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs behaupten muss, kann daher nur davon abhängen, ob bei Verletzung der fraglichen Norm ein ausreichend gravierender Wettbewerbsvorteil geradezu typisch ist. Diese Beurteilung hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.

Wenn das Rekursgericht im Fall der Nichtübersetzung der Gebrauchsanweisung in die deutsche Sprache bei nur an sachkundiges Personal abgegebenen und nicht zur Eigenanwendung bestimmten Medizinprodukten (vgl dazu EuGH C‑277/15 , Servoprax, Rn 39 f) nicht per se von einer spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs ausgeht und daher von der Klägerin konkrete Behauptungen dazu verlangt und sich nicht mit dem pauschalen Hinweis auf kostengünstigere Verhältnisse begnügt, ist darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erblicken. Übersetzungskosten fallen nur einmal an; Druck- bzw Kopierkosten und Papierkosten fallen jedenfalls auf den ersten Blick nicht ins Gewicht.

3. Soweit die Klägerin ausführt, dass selbst bei Verletzung einer marktneutralen Vorschrift ein Rechtsbruch ohne weiteren Nachweis (einer spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs) begründet sei, wenn dem Beklagten eine vorsätzliche Missachtung der fraglichen Rechtsvorschrift anzulasten sei, übersieht sie, dass die Spürbarkeit mit der UWG-Novelle 2007 ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs 1 Z 1 UWG normiert wurde und zudem die subjektive Vorwerfbarkeit des Rechtsbruchs beim Unterlassungsanspruch keine Rolle spielt.

4. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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