OGH 2Ob2/18k

OGH2Ob2/18k22.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj L***** H*****, vertreten durch seine Mutter I***** H*****, diese vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T***** GmbH & Co KG, *****, und 2. T***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 4.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Teil- und Teilzwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 3. Oktober 2017, GZ 6 R 69/17m‑32, mit welchem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Weiz vom 9. Mai 2016, GZ 50 C 262/15a-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00002.18K.0322.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 414,99 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 69,16 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Erstbeklagte betreibt einen Schlepplift, die Zweitbeklagte ist ihre persönlich haftende Gesellschafterin. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ist die Ausstiegsstelle des Lifts nur etwa 10 m lang. Am Ende liegt eine steile natürliche Böschung mit einem Bügelfang.

Der damals 12‑jährige Kläger fuhr mit dem Lift bergwärts. Als er in der ersten Hälfte der Ausstiegsstelle vom Lift wegfahren wollte, bemerkte er, dass sich der Bügel in seinem Anorak verhakt hatte. Er wurde daher vom Lift weitergezogen. Der Liftwart bemerkte dies, als sich der Kläger etwa bei der Hälfte der Ausstiegsstelle befand. Er betätige unverzüglich den „Not-Aus“-Schalter des Lifts. Dennoch bewegte sich dieser ab dem Erkennen des Problems aufgrund von Reaktions- und Nachlaufzeit noch etwa 10 m weiter. Der am Bügel hängende Kläger wurde dadurch in die Böschung gezogen. Als der Lift zum Stillstand kam, löste sich der Bügel vom Anorak, und der Kläger stürzte in die Böschung. Dabei schlug er sich die Schneidezähne des Oberkiefers aus.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist es aufgrund der Steilheit des Geländes nicht möglich, die Ausstiegsstelle zu verlängern. Auch andere „technische Maßnahmen“ zur Verhütung von Unfällen bestünden nicht, weil im Bereich der Böschung ausgelegte Matten durch das ständige Aufschlagen der Bügel schon „nach kurzer Zeit“ ihre Wirkung verlören.

Das Erstgericht verneinte auf dieser Grundlage die Haftung der Beklagten, weil den Liftwart kein Verschulden treffe und die Beklagten auch den Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG erbracht hätten.

Das Berufungsgericht bejahte demgegenüber die Haftung der Beklagten für ein Drittel des Schadens. Angesichts der Gefährlichkeit der Ausstiegsstelle hätten die Beklagten im Sinn der Entscheidung 2 Ob 14/08k Sicherungsmaßnahmen treffen müssen (Auskleiden mit weichen Materialien). Da sie das unterlassen hätten, sei ihnen der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil die Frage, ob natürliche Böschungen am Ende einer Ausstiegsstelle abgesichert werden müssten, über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Unter „jede[r] nach den Umständen des Falles gebotene[n] Sorgfalt“ iSv § 9 Abs 2 EKHG ist die äußerste nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt zu verstehen (RIS-Justiz RS0058326). Das konkrete Ausmaß hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0111708). Das gilt auch für die Anforderungen an die Gestaltung der Ausstiegsstelle eines Schlepplifts (2 Ob 14/08k)

2. Im konkreten Fall ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden.

2.1. Die Betriebsgefahr eines Schlepplifts manifestiert sich in besonderer Weise in dessen Ausstiegsbereich (2 Ob 59/00s, 2 Ob 14/08k). Aus diesem Grund hat der Senat in 2 Ob 14/08k die Auffassung der Vorinstanz gebilligt, dass der Entlastungsbeweis nicht erbracht sei, wenn ein Liftbetreiber eine Holzkonstruktion am Ende einer Ausstiegsstelle nicht durch Verkleidung mit „weichen“ Materialien „abgepolstert“ habe. Ein rechtzeitiges Anhalten des Lifts sei nur möglich gewesen, wenn sich bereits im ersten Drittel der Ausstiegsstelle eine „Reaktionsaufforderung“ für den Liftwart ergeben habe. Typischerweise träten Probleme beim Aussteigen aber erst später auf.

2.2. Im vorliegenden Fall bewegte sich der Lift nach dem Erkennen eines Problems durch den Liftwart aufgrund von Reaktions- und Nachlaufzeit noch mindestens 10 m weiter, was der gesamten Länge der Ausstiegsstelle entspricht. Der Liftwart kann den Lift somit nur bei unverzüglicher Reaktion auf ein schon am Beginn der Ausstiegsstelle erkennbares Problem rechtzeitig anhalten. Daher wird ein Benutzer, der sich nicht vom Bügel lösen kann, zwangsläufig in die Böschung gezogen, wenn das Problem erst später erkennbar wird. Die Situation war damit deutlich gefährlicher als jene in 2 Ob 14/08k. Das spricht umso mehr für strenge Anforderungen an die Absicherung des Endes der Ausstiegsstelle. Dabei ist nicht erkennbar, weshalb eine steile natürliche Böschung mit einem Bügelfang anders zu beurteilen wäre als eine Holzkonstruktion. Sollte eine Abpolsterung tatsächlich nach „kurzer Zeit“ ihre Wirkung verlieren, würde ein dem Maßstab des § 9 Abs 2 EKHG entsprechender Liftbetreiber dem durch Wahl eines besseren Materials oder durch häufigeren Tausch entgegenwirken. Unterlässt er das, hat er für die Gefährlichkeit des von ihm betriebenen Schlepplifts einzustehen.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich damit im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

4. Da der Kläger auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, sind die Beklagten zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung verpflichtet (§§ 41, 50 ZPO).

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