OGH 6Ob25/18x

OGH6Ob25/18x28.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Mag. W***** K*****, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Ing. C***** S*****, vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, wegen Unterlassung und Löschung (Streitwert im Provisorialverfahren 12.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 6. Dezember 2017, GZ 5 R 166/17x‑17, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Oktober 2017, GZ 14 Cg 80/17f‑11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00025.18X.0228.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger ist ein seit 1999 eingetragener Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in der Marktgemeinde G*****. Der Beklagte ist ebenso Mitglied des Gemeinderats dieser Marktgemeinde (mit einer eigenen Liste) wie die Ehefrau des Klägers (Fraktion der G*****), der selbst in der Marktgemeinde politisch nicht aktiv ist. Die S***** verfügt über die absolute Mehrheit; sie stellt auch den Bürgermeister.

Die G***** regGenmbH wurde bereits in der Vergangenheit von der Marktgemeinde mit Bauprojekten, beispielsweise mit der Errichtung eines Cafés und der Markthalle am Hauptplatz, beauftragt; überdies setzte die Genossenschaft in der Marktgemeinde einige Wohnbauprojekte um und errichtete ein Kinderheim, für dessen Errichtung sie indirekt eine Förderung in Höhe von 500.000 EUR erhielt. Die Marktgemeinde hatte nämlich beim Land Steiermark um eine Finanzierung für die Errichtung des Kinderheims angesucht und ihr war auch eine Bedarfszuweisung zugesagt worden. In der Folge war das Kinderheim von der Genossenschaft auf einem Grundstück, auf dem die Marktgemeinde über das Baurecht verfügte, errichtet worden. Die Genossenschaft vermietet das Gebäude nunmehr an die Marktgemeinde, die darin das Kinderheim betreibt. Weil die Genossenschaft das Gebäude errichtet hatte, hatte sie die Bedarfszuweisung als Förderung von der Marktgemeinde erhalten, als es Probleme mit der Fertigstellung gegeben hatte. Diesem Vorgehen hatte auch der Beklagte im Gemeinderat zugestimmt, weil die Fertigstellung gesichert werden musste. Aufgrund dieser Förderung vereinbarte die Marktgemeinde mit der Genossenschaft eine Reduktion der Miete, wobei die näheren Umstände dieser Vereinbarung, insbesondere Höhe und Umfang der Mietzinsreduktion, nicht feststehen.

Die Genossenschaft steht der S***** nahe, was auch dem Beklagten bekannt war. Im Übrigen besteht aufgrund der Tatsache, dass es schon mehrere Bauprojekte mit der Genossenschaft gegeben hat, ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den handelnden Personen in der Marktgemeinde und dem Direktor der Genossenschaft. Die Lebensgefährtin des Bürgermeisters lebt in einer Wohnung, die von der Genossenschaft errichtet worden war.

Im Februar 2017 fasste der Gemeindevorstand nach einer Ausschreibung der Anwaltsleistungen den Beschluss, den Kläger mit der Ausschreibung zum Vorhaben „Generalsanierung mit Zu- und Umbau der Mehrzweckhalle, des Musikheims und des Marktgemeindeamts“ zu beauftragen; dabei handelte es sich um das erste Vergabeverfahren, das der Kläger für die Marktgemeinde durchführte.

Aufgrund der vergaberechtlichen Bestimmungen war eine europaweite Ausschreibung erforderlich. Das Ausschreibungsverfahren war als zweistufiges Verfahren konzipiert, und zwar als Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung. In der ersten Stufe gab es 36 Interessenten, die die Teilnahmeunterlagen, in welchen auch die Vergabekriterien der ersten Stufe genannt wurden, vom Kläger anforderten. Die Vergabekriterien hatte der Kläger festgelegt, sie waren außerdem in der Ausschusssitzung vom 13. 3. 2017 besprochen worden. Die Gemeinderäte hatten Stellungnahmen abgeben können, welche vom Kläger auch teilweise beachtet wurden. In dieser Fachausschusssitzung war politisch heftig diskutiert worden, wobei es auch um die Frage ging, ob das Vorhaben überhaupt realisiert werden sollte oder nicht.

Der Kläger erhielt elf ausgefüllte Teilnahmeunterlagen, woraufhin in der Fachausschusssitzung vom 24. 4. 2017 diskutiert wurde, wie viele Bieter für die zweite Stufe eingeladen werden sollen. Es wurden sechs Anbieter ausgewählt und aufgefordert, ein Angebot zu legen. Für diese zweite Stufe gab es wiederum eigene Kriterien, die vom Kläger festgelegt worden waren.

Nunmehr kamen vier Angebote retour, woraufhin mit den Bietern am 1. 6. 2017 Verhandlungsgespräche geführt wurden. Dafür war von der Marktgemeinde ein Gremium, bestehend aus dem Gemeindevorstand und den Mitgliedern des Bauausschusses einschließlich dem Beklagten, zusammengestellt worden. Es gab fünf Kriterien, nach denen bewertet wurde.

In der Gemeinderatssitzung vom 27. 6. 2017 tätigte der Beklagte folgende Äußerung: „Das Auswahlverfahren für den Generalübernehmer im Rahmen des Projekts Generalsanierung mit Zu- und Umbau der Mehrzweckhalle, des Musikheims und des Marktgemeindesamts der Marktgemeinde war in beiden Stufen eine absolute Farce, vor allem die Auswahlkriterien, die vermutlich bewusst so gewählt wurden, dass die S*****-nahe [ Genossenschaft ] als Sieger hervorgehen musste.“ In dieser Sitzung hatte der Kläger die gesamte Ausschreibung dargestellt, indem er anhand einer Power-Point-Präsentation den ganzen Ausschreibungsverlauf und Vergabeverlauf, die eingelangten Angebote und seine Auswertung präsentiert und gegenüber dem Gemeinderat seinen Vergabevorschlag, nämlich die Genossenschaft, genannt hatte. Die Anwesenden bezogen die Äußerung des Beklagten auch auf den Kläger, weil dieser die Auswahlkriterien festgelegt hatte und für das Vergabeverfahren zuständig war.

Am 29. 6. 2017 postete der Beklagte auf seinem Facebook-Account ein Foto eines am selben Tag in der ***** Zeitung erschienenen Zeitungsartikels mit der Überschrift „Umstrittene Prestigeprojekte“, dessen Inhalt nicht feststeht; jedenfalls behandelte er aber auch das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren. Neben dem Foto des Zeitungsartikels postete der Beklagte ein Foto jenes Schriftstücks, von dem er unter anderem die zitierte Äußerung in der Gemeinderatssitzung abgelesen hatte. Unter diesem Foto verfasste der Beklagte folgenden Text: „Ein ordentlicher Artikel in der heutigen ***** Zeitung, auch das was wirklich (von mir) gesagt wurde (das „Geschwärzte“ wurde nicht vorgetragen). Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit [ dem Kläger ] gerne, und auf ein kleines Bier.“

Der Kläger begehrt – unter Berufung auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB – zur Sicherung seines insoweit inhaltsgleichen Klagebegehrens (darüber hinaus verlangt er einen Widerruf und die Feststellung der Haftung des Beklagten für allenfalls eintretende Vermögensschäden) mittels einstweiliger Verfügung die Unterlassung der erwähnten Äußerung in der Gemeinderatssitzung vom 27. 6. 2017 und die Löschung des Fotos dessen Rede auf dem Facebook-Account. Der Beklagte habe ihm zu Unrecht ein strafrechtlich oder standesrechtlich disziplinäres Verhalten vorgeworfen.

Der Beklagte tritt dem mit der Begründung entgegen, er sei Oppositionspolitiker in der Marktgemeinde, seine Äußerung habe sich gegen andere Politiker und Parteien, nicht aber gegen den Kläger gerichtet. Er habe die Äußerung im Rahmen einer politischen Debatte in einer Gemeinderatssitzung getätigt, wobei das Aufzeigen von Missständen zulässig sei. Der Kläger habe mit der Übernahme des Auftrags der Marktgemeinde die politische Bühne betreten und müsse sich deshalb Kritik gefallen lassen.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab. Die Grenzen zulässiger Kritik seien beim Kläger weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil er durch Übernahme der Durchführung des Vergabeverfahrens Bürgermeister und Gemeinderat berichtspflichtig geworden sei und seine Tätigkeit, insbesondere von Oppositionspolitikern, kontrolliert und unter Umständen auch kritisiert werde; er habe sich damit der politischen Diskussion ausgesetzt. Die Kritik des Beklagten sei an konkreten Fakten orientiert gewesen, die ihm aufgrund seiner Tätigkeit in der Lokalpolitik bekannt gewesen waren, nämlich dass die Genossenschaft der Mehrheitsfraktion S***** nahesteht, zwischen den handelnden Personen der Marktgemeinde und dem Direktor der Genossenschaft ein gewisses Vertrauensverhältnis besteht, die Genossenschaft bereits mehrmals Aufträge von der Marktgemeinde erhalten hatte und die Lebensgefährtin des Bürgermeisters in einer Wohnung der Genossenschaft wohnt. Der Beklagte habe die Äußerung im Rahmen einer Gemeinderatssitzung getätigt, die Kritik sei restriktiv formuliert und beinhalte lediglich einen Verdacht. Damit habe aber eine Interessenabwägung zugunsten der Meinungsfreiheit auszufallen.

Das Rekursgericht gab dem Sicherungsantrag statt, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und ließ aufgrund eines Abänderungsantrags des Beklagten schließlich den ordentlichen Revisionsrekurs zu; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob (wie hier) ein Rechtsanwalt, der im Auftrag einer Gemeinde ein Vergabeverfahren durchführt, im Rahmen einer Debatte im Gemeinderat massive Kritik hinnehmen müsse.

In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, das Recht auf freie Meinungsäußerung finde bei der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung, wobei der Beklagte den Wahrheitsbeweis für seine inkriminierten Behauptungen nicht erbracht habe; dass er die Vorwürfe lediglich als Verdacht erhoben habe, exkulpiere ihn nicht. Der Beklagte habe jedenfalls die Grenzen zulässiger Kritik (auch im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung im Gemeinderat) überschritten, die Äußerung habe sich auch erkennbar gegen den Kläger gerichtet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1.  Der Beklagte hat sich bereits im Verfahren erster Instanz darauf berufen, dass er die inkriminierte Äußerung im Rahmen einer Gemeinderatssitzung getätigt habe.

1.1.  Tatsächlich enthält § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB einen Rechtfertigungsgrund für nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilungen, sofern der Mitteilende die Unrichtigkeit der Mitteilung nicht kennt, wobei die Rechtsprechung dies jedoch nicht als eine abschließende Regelung der Rechtfertigungsmöglichkeiten auffasst (RIS‑Justiz RS0031745). In der Entscheidung 6 Ob 654/88 (MR 1990, 20 [ Korn ]) wurde deshalb ausgeführt, es müsse grundsätzlich im Interesse der Aufklärung aller Umstände, die für eine Beurteilung und Entscheidung in öffentlichen Angelegenheiten geboten erscheinen, die nach der jeweiligen Gemeindeordnung der Beschlussfassung im Gemeinderat vorbehalten seien, in Kauf genommen werden, dass in der Debatte über solche Angelegenheiten persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse von Einzelpersonen oder anderen Rechtsträgern erörtert werden, soweit sie mit dem Gegenstand der Debatte in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Bewusste Unwahrheiten ausgenommen solle dabei ein das öffentliche Mandat ausübender Antragsteller, Fragesteller oder Debattenredner wegen des öffentlichen Interesses an der Funktionsausübung, für sachlich zum Thema der Intervention gehörende und maßvolle Tatsachenbehauptungen einem betroffenen Dritten gegenüber nicht schadenersatzpflichtig werden, wie beispielsweise auch eine derartige Tatsachenbehauptung in einer Anklage oder in einem Plädoyer eines Vertreters der Anklagebehörde im Strafverfahren oder im Vorbringen eines Parteienvertreters in einem Zivilprozess wegen des öffentlichen Interesses an der Rechtspflege gerechtfertigt sei. Auch in der Entscheidung 6 Ob 2122/96v, der ebenfalls eine Kritik eines Gemeinderats an einem Ausschreibungsverfahren zugrunde lag, wurde das auf § 1330 ABGB gestützte Unterlassungsbegehren abgewiesen, weil bloß fahrlässig gemachte, unwahre Äußerungen eines Mitglieds eines Gemeinderats in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung gerechtfertigt seien, wenn sie zu keinem unverhältnismäßigen Eingriff in geschützte Interessen des Betroffenen führen.

1.2.  Für den Beklagten ist daraus jedoch schon deshalb nichts gewonnen, weil er seine Äußerung nicht nur in der Gemeinderatssitzung vom 27. 6. 2017 tätigte, sondern seine Vorwürfe zwei Tage später auf seinem Facebook-Account wiederholte. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass der genannte Rechtfertigungsgrund nicht mehr zur Verfügung steht, wenn der Schädiger die in die Ehre des anderen eingreifenden Behauptungen öffentlich etwa in Presseaussendungen oder Zeitungsinterviews wiederholt, weil er dies nicht mehr im öffentlichen Interesse am Funktionieren der Rechtspflege tut (RIS‑Justiz RS0114015 [T6]). Auch Korn (MR 1990, 20 [Entscheidungsanmerkung]) hat darauf hingewiesen, dass das Gemeinderatsmitglied nicht gerechtfertigt ist, wenn es seine Äußerungen außerhalb der Gemeinderatssitzung tätigt, wobei ihm zwar (etwa) Presseberichte über seine Äußerungen in der Gemeinderatssitzung nicht zur Last gelegt werden können, wohl aber eine Mitwirkung an der Presseveröffentlichung. Dies muss auch dann gelten, wenn das Gemeinderatsmitglied seine Rede mit den inkriminierten Äußerungen auf Facebook postet, macht es doch damit – im Gegensatz etwa zu im Fernsehen übertragenen Nationalratsdebatten – seine Äußerungen erst der Öffentlichkeit bekannt.

2.  Mit den Vorinstanzen (dies wird auch im Revisionsrekurs gar nicht bestritten) handelte es sich bei den inkriminierten Äußerungen nicht bloß um eine Meinungsäußerung, sondern um eine Tatsachenbehauptung mit objektiv überprüfbarem Inhalt, verdächtigte der Beklagte doch (auch) den Kläger, der ja die Vergabekriterien festgelegt und dem Gemeinderat die Genossenschaft als Vergabevorschlag präsentiert hatte, das Vergabeverfahren bewusst dahin gestaltet zu haben, dass – wie bereits mehrmals in der Vergangenheit – die S*****-nahe Genossenschaft als Sieger hervorgehen musste. Bei § 1330 Abs 2 ABGB trifft die Beweislast für die Unwahrheit der Behauptungen zwar grundsätzlich den Kläger (RIS-Justiz RS0031822); ist die Rufschädigung im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB hingegen gleichzeitig auch Ehrenbeleidigung (was der Beklagte im Revisionsrekursverfahren nicht [mehr] bestreitet), so trifft die Beweislast für die Wahrheit der beanstandeten Behauptung den Beklagten (RIS-Justiz RS0031822 [T10]).

3.  Unwahr ist eine Äußerung dann, wenn ihr sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (RIS-Justiz RS0115694). Der Wahrheitsbeweis ist dabei dann als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt (RIS‑Justiz RS0079693); es genügt der Beweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns (RIS-Justiz RS0079693 [T2]).

Der Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang auf Umstände, die zwar möglicherweise zu Lasten der für die Marktgemeinde handelnden Personen einen gewissen Verdacht rechtfertigen könnten, konkret dass die Genossenschaft der Mehrheitsfraktion S***** nahesteht, zwischen den handelnden Personen der Marktgemeinde und dem Direktor der Genossenschaft ein gewisses Vertrauensverhältnis besteht, die Genossenschaft bereits mehrmals Aufträge von der Marktgemeinde erhielt und die Lebensgefährtin des Bürgermeisters in einer von der Genossenschaft errichteten Wohnung wohnt. Dass auch der Kläger, der zum ersten Mal ein Vergabeverfahren für die Marktgemeinde durchführte, der S***** (die Frau des Klägers ist Gemeinderätin einer anderen Partei) oder der Genossenschaft nahesteht, lässt sich den Feststellungen allerdings nicht entnehmen und wird solches vom Beklagten auch gar nicht behauptet. Damit können aber die auf Seiten der für die Marktgemeinde handelnden Personen vom Beklagten konstatierten Verdachtsmomente nicht ohne weiteres auf den Kläger übertragen werden; insofern ist dem Rekursgericht zuzustimmen, dass der Beklagte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht hat.

Der Beklagte hat sich allerdings im Verfahren erster Instanz auf verschiedene „Ungereimtheiten“ des vom Kläger durchgeführten Vergabeverfahrens berufen (AS 105 f), wozu die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen haben. Dies rügt der Beklagte im Revisionsrekurs zu Recht, weshalb die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

4.  Richtig ist zwar, dass die Freiheit der politischen Debatte einer der Pfeiler des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft ist, weshalb die Grenzen einer vertretbaren Kritik in Bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftritt, weiter zu ziehen sind als in Bezug auf eine Privatperson. Jeder Politiker setzt sich selbst unvermeidlich und willentlich einer genauen Beurteilung jeder seiner Worte und Taten nicht nur durch Journalisten und das breitere Publikum, sondern insbesondere auch durch den politischen Gegner aus (RIS-Justiz RS0075552, RS0082182). Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist großzügig auszulegen, insbesondere wenn es um zur Debatte stehende politische Verhaltensweisen geht (RIS-Justiz RS0075552 [T7]). In die Ehre eingreifende politische Kritik auf Basis unwahrer Tatsachenbehauptungen verstößt aber gegen § 1330 ABGB (RIS-Justiz RS0075552 [T6, T11]). So überschreitet etwa der (durch entsprechendes Tatsachensubstrat nicht gedeckte) Vorwurf einer vorsätzlichen strafbaren Handlung die Grenzen des Zulässigen (RIS-Justiz RS0082182 [T16]). Denn auch für wertende Äußerungen ist Voraussetzung, dass das ehrverletzende Werturteil auf der Basis eines wahren Sachverhalts geäußert wurde; ein Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Grundlage unrichtiger oder nicht bewiesener Tatsachenbehauptungen gibt es nicht (RIS-Justiz RS0032201 [T9]).

Da der Beklagte dem Kläger ein strafbares Verhalten vorgeworfen hat, ohne dass dieses – nach den bisherigen Verfahrensergebnissen – zumindest im Kern belegt wäre, kann er sich nicht auf die dargestellte Rechtsprechung stützen, und zwar unabhängig davon, ob es sich beim Kläger tatsächlich um eine public figure im Sinn dieser Rechtsprechung handelt.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO, §§ 78, 402 Abs 4 EO.

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