OGH 9ObA137/17p

OGH9ObA137/17p27.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Werner Krachler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Angelika Lener, Rechtsanwältin in Feldkirch, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Advokaturbüro Pitschmann & Santner Anwaltspartnerschaft (OEG), Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert: 5.001 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. August 2017, GZ 15 Ra 55/17a‑41, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. März 2017, GZ 35 Cga 126/15y‑37, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00137.17P.0227.000

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 715,91 EUR (darin enthalten 214 EUR Barauslagen und 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der 1963 geborene Kläger war seit 1981 bei der Beklagten als Produktionsarbeiter auf Vollzeitbasis beschäftigt. 2013 arbeitete er im Bereich „S***** 1“ an der Waschanlage. Nachdem er angab, gesundheitliche Probleme, konkret Asthma, zu haben, musste er keine Nachtschicht mehr leisten und wurde an einem Einlegeplatz, bei dem er sich die Taktung selbst vorgeben konnte, eingesetzt. Er erhielt einen Lohn auf Basis der Arbeitswertgruppe 4, obwohl der Arbeitsplatz selbst niedriger bewertet war.

2013 war der Kläger 122 Kalendertage (= 91 Arbeitstage) im Krankenstand. Die Bewertung seiner Arbeit durch seinen Vorgesetzten fiel in diesem Jahr negativ aus. Auf seinen Wunsch wurde er Anfang 2014 in die Abteilung „S***** 2“ versetzt. Dort waren wieder Nachtdienste zu leisten. 2014 war er acht Kalendertage (= sechs Arbeitstage) im Krankenstand. Ab Beginn des Jahres 2015 kam es wieder zu gehäuften Krankenständen. Bis 19. 10. 2015 war er insgesamt 112 Kalendertage (= 81 Arbeitstage) im Krankenstand.

Bei einem Gespräch im Mai 2015 über die Fehlzeiten nannte der Kläger Asthma und Armschmerzen als Gründe für diese Krankenstände. Er wurde von seinem Vorgesetzten auf die Möglichkeit einer Kündigung hingewiesen. Bei einem neuerlichen Gespräch am 26. 8. 2015 erklärte der Kläger, keine Hebetätigkeiten mehr verrichten zu können. Vom Werksleiter wurden als vom Kläger angegebene gesundheitliche Probleme Asthma, Probleme mit einer Schulter und Probleme mit den Nerven (kein Gefühl) in beiden Händen festgehalten. Noch im August 2015, kurz nach diesem Gespräch, wurde beim Kläger eine arthroskopische subacromiale Dekompression durchgeführt. Nach dieser Operation versuchte der Vorgesetzte des Klägers, ihn telefonisch zu kontaktieren. Zunächst lehnte der Kläger ein Gespräch ab, in der Folge war er nicht mehr erreichbar. Ein für Ende September 2015 geplantes Gespräch mit dem Kläger kam nicht zustande.

Mit Schreiben vom 23. 9. 2015 erklärte die Beklagte die Kündigung zum 29. 2. 2016. Am 5. 10. 2015 fand ein Treffen zwischen dem Kläger, seinem direkten Vorgesetzten, dem Werksleiter und einem anderen Mitarbeiter der Beklagten statt, bei dem der Kläger erklärte, nicht mehr als Lasten von 5 kg heben zu können und Probleme mit dem Gefühl in den Fingern zu haben, was auch so bleiben werde. Er erklärte, sich einen Wechsel in die Werkzeugausgabe oder eine Tätigkeit als Hauswart vorstellen zu können. Die Werkzeugausgabe wird bei der Beklagten von Mitarbeitern mit Lehrabschluss ausgeübt. Dabei sind auch schwere Metallteile für die Produktionsmaschinen zu heben. Als Hauswarte werden Mitarbeiter mit Facharbeiterausbildung, Installateure, eingesetzt. Auch dabei sind Hebeleistungen zu erbringen. Auch im Bereich der Kunststoffspritzerei müssen Gewichte von mehr als 5 kg gehoben und getragen werden. Ein Wechsel des Klägers zu diesen Tätigkeiten kam daher für die Verantwortlichen der Beklagten nicht in Betracht.

Im April 2016 unterzog sich der Kläger einer weiteren Operation am Arm. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz lagen bei ihm aus orthopädischer Sicht keine Funktionseinschränkungen vor. Beim Kläger besteht eine Erkrankung aus dem Fachgebiet des Asthma bronchiale. Diese ist funktionell unter laufender Therapie kontrolliert. Wenn der Kläger nicht mehr als 10 kg tragen muss, sind aus orthopädischer Sicht aufgrund gesundheitlicher Probleme im Bereich der Wirbelsäule zwei Wochen, aufgrund der pulmologischen Erkrankungen weitere zwei Wochen Krankenstände pro Jahr zu erwarten.

Von August 2015 bis 23. 12. 2016 befand sich der Kläger durchgehend im Krankenstand, zunächst aufgrund der Operation im August 2015. Im März 2016 absolvierte er aufgrund seines Asthmas eine dreiwöchige Kur. Im April 2016 erfolgte eine zweite Schulteroperation, danach ein Krankenstand bis Oktober 2016. Im Oktober 2016 ließ sich der Kläger scheiden und musste er einen Psychiater aufsuchen, der ihn bis 23. 12. 2016 krank schrieb. Seitdem ist der Kläger beim AMS als arbeitssuchend gemeldet.

Zum Zeitpunkt der Kündigung war der Kläger verheiratet. Er ist Vater von drei minderjährigen Kindern. Zuletzt verdiente er bei der Beklagten durchschnittlich 3.182,12 EUR brutto monatlich. Seine Frau verdiente 1.300 EUR netto monatlich. Die Ausgaben für die Familie betrugen durchschnittlich 2.984 EUR. Bei der Kündigung erhielt der Kläger eine Abfertigung von 41.000 EUR.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage, die Kündigung der Beklagten wegen Sozialwidrigkeit für unwirksam zu erklären. Aufgrund seines Alters und seiner Qualifikation sowie seines schlechten Gesundheitszustands werde er keine Beschäftigung mit einem vergleichbaren Lohn finden. Durch die Kündigung seien wesentliche seiner Interessen beeinträchtigt. Die Kündigung sei auch weder aus betrieblichen noch aus in seiner Person gelegenen Gründen gerechtfertigt. Die Beklagte treffe eine soziale Gestaltungspflicht. Sie hätte ihm daher vor der Kündigung einen Ersatzarbeitsplatz unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands anzubieten gehabt, auch wenn dafür Umschulungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären. Seine Fehlzeiten in der Vergangenheit ließen noch nicht auf eine ungünstige Zukunftsprognose schließen. Mit erhöhten Krankenständen sei bei ihm nicht mehr zu rechnen.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass der Kläger trotz seines Alters die aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit bei der Beklagten angeeigneten Erfahrungen auf dem freien Arbeitsmarkt verwerten könne. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in den letzten Jahren hätten eine Weiterbeschäftigung unzumutbar gemacht. Der Kläger selbst habe eine Besserung seines Gesundheitszustands ausgeschlossen, weshalb auch in Zukunft mit Fehlzeiten in einem solchen Ausmaß zu rechnen gewesen sei. Die Tätigkeit des Klägers sei wiederholt seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen angepasst worden. Die Arbeit in der Abteilung „S***** 2“ habe der Kläger im Hinblick auf seine Gesundheit nie in Frage gestellt. Die Fehlzeiten seien dort auch kurzfristig deutlich zurückgegangen. 2015 seien sie allerdings wieder sprunghaft angestiegen. Ein neuer Arbeitsplatzwechsel sei vom Kläger nie thematisiert worden. Ein solcher scheide aber auch aus, da die von ihm genannten alternativen Tätigkeiten regelmäßig Hebearbeiten und Greifbewegungen erforderlich machten, die der Kläger gegenüber der Beklagten ausgeschlossen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aufgrund der familiären Situation des Klägers, seiner jahrzehntelangen Tätigkeit für die Beklagte, des Umstands, dass er mit langer Arbeitslosigkeit und einem deutlichen Einkommensverlust zu rechnen habe, sei von einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Interessen auszugehen. Allerdings lägen beim Kläger personenbezogene Kündigungsgründe vor. Angesichts der hohen Krankenstandstage vor der Kündigung habe die Beklagte berechtigt zum Zeitpunkt der Kündigung – auch aufgrund der Informationen durch den Kläger – davon ausgehen können, dass sich das Ausmaß der Krankenstände nicht mehr ändern werde. Tatsächlich habe sich der Kläger auch bis Dezember 2016 ununterbrochen im Krankenstand befunden. Die Beklagte sei auch ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen. Sie habe den Kläger zunächst von der Nachtschicht befreit und sei auch sonst bemüht gewesen, ihm eine Fortsetzung seiner jahrelangen Tätigkeit zu ermöglichen, wobei sie ihm sogar ein höheres Entgelt als es der Wertigkeit dieses Arbeitsplatzes entsprochen habe, bezahlt habe. Für die vom Kläger als mögliche Arbeitsplätze angeführten Tätigkeiten fehle ihm die fachliche Ausbildung; auch hätten diese darüber hinaus eine vom Kläger ausgeschlossene Hebe‑ und Tragebelastung mit sich gebracht. Aufgrund einer Abwägung dieser gegenseitigen Interessen der Parteien sei das Klagebegehren abzuweisen.

Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht Folge, hob das angefochtene Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Richtig sei, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt seien. Ein personenbezogener Kündigungsgrund sei zu bejahen, wenn Krankenstände vorlägen, die den Bediensteten weit über dem durchschnittlichen Maß an der Dienstleistung hinderten, und ein solcher Leistungsausfall üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in Kauf genommen werde. In die Beurteilung sei jedoch auch die künftige Entwicklung der Verhältnisse einzubeziehen. Für diese Zukunftsprognose seien absehbare Verbesserungen im Gesundheitszustand des Klägers durch die Operation im August 2015 zu berücksichtigen. Die Beklagte treffe eine soziale Gestaltungspflicht. Eine Dienstgeberkündigung sei nur dann sozial gerechtfertigt, wenn eine anderwertige Beschäftigung nicht möglich oder zumutbar sei. Das Erstgericht habe keine Feststellungen getroffen, ob die Hebeleistungen als Hauswart das Kalkül des Klägers übersteigen. Offen sei auch, ob die Tätigkeit in der Abteilung „S***** 2“ nach der Operation im August 2015 ausgeübt hätte werden können. Sollte sich ergeben, dass noch ein Arbeitsplatz bestanden habe, der dem Leistungskalkül des Klägers entsprochen habe, seien Feststellungen dazu zu treffen, ob ihm ein solcher Arbeitsplatz auch angeboten worden sei. Erst nach diesen Feststellungen könne eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen vorgenommen werden.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil es sich zur sozialen Gestaltungspflicht auch bei personenbezogenen Kündigungsgründen nur auf ältere Judikatur stützen könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

1. Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0116698).

Im Rekurs wird nicht bestritten, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtigt werden. Die Beklagte wendet sich jedoch gegen die Auffassung, dass aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht beurteilt werden könne, dass sie ihrer sozialen Gestaltungspflicht entsprochen habe und damit, ob personenbezogene Kündigungsgründe vorliegen.

2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass als personenbezogene Kündigungsgründe auch Krankenstände des Arbeitnehmers herangezogen werden können (RIS‑Justiz RS0051801). Dabei ist nicht nur die Dauer der bisherigen Krankenstände zu berücksichtigen, sondern auch die zukünftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Kündigung so weit einzubeziehen, als sie mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (RIS‑Justiz RS0051785).

Nach der Rechtsprechung muss der Arbeitgeber, der eine Kündigung wegen überhöhter Krankenstände ausspricht, eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen. Entscheidend ist, dass ein verständiger und sorgfältiger Arbeitgeber bei objektiver Betrachtung berechtigt davon ausgehen konnte, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten sind (8 ObA 21/14t). Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen abgeleitet werden (vgl RIS‑Justiz RS0081880 [T11]). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit aufgetretene Krankenstände, die für die künftige Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers nicht aussagekräftig sind, weil die zugrunde liegende Krankheit überwunden wurde, nicht als persönliche Kündigungsrechtfertigungsgründe herangezogen werden können (8 ObA 53/11v ua). Insoweit ist auch die Art der Erkrankung des Arbeitnehmers und deren Ursache für die Zukunftsprognose von Relevanz.

3. Bei Vorliegen objektiver Rechtfertigungs‑ gründe für die Kündigung ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist; die objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird. Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen – freien – Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, so ist ihm dieser Arbeitsplatz vor Ausspruch der Kündigung anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (RIS‑Justiz RS0116698).

Aber auch im Rahmen der personenbezogenen Kündigungsgründe ist bei der Kündigung älterer und langjährig beschäftigter Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die soziale Gestaltungspflicht zu beachten. Ältere und im Betrieb schon lang beschäftigte Personen haben Anspruch auf Schonung. Der Arbeitgeber wird daher versuchen müssen, diese Arbeitnehmer auf einem ihren geminderten Kräften entsprechenden Arbeitsplatz zu verwenden (2 Ob 554/86; 8 ObA 172/98x; vgl auch Kollros, Soziale Gestaltungspflicht bei krankheitsbedingten Kündigungen, ecolex 2010, 177 ff; Wolligger in Zellkomm² § 105 ArbVG Rz 200). Das bedeutet, dass auch in solchen Fällen eine Weiterverwendungsmöglichkeit des betroffenen Arbeitnehmers auf den gesamten Betrieb hin überprüft werden muss. Die soziale Gestaltungspflicht verpflichtet den Arbeitgeber aber nur insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen. Dabei muss dem Arbeitnehmer im Rahmen des Zumutbaren Gelegenheit zur Umschulung und Einarbeitung gegeben werden (RIS‑Justiz RS0051707). Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner sozialen Gestaltungspflicht dazu verpflichtet, dem zu kündigenden Arbeitnehmer einschlägige Stellen anzubieten (RIS‑Justiz RS0051841 [T3]). Lediglich dann, wenn es sich um eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben (RIS‑Justiz RS0051923).

4. Im vorliegenden Fall hat der Kläger 2013 122 Kalendertage Krankenstand aufgewiesen. Nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes und einer kurzfristigen Besserung im Jahr 2014 kam es im Jahr 2015 bis zum Oktober zu weiteren 112 Kalendertagen Krankenstand. Es ist davon auszugehen, dass Krankenstände in einem solchen weit überdurchschnittlichen Ausmaß auf dem Arbeitsmarkt auch von einem verständigen Arbeitgeber nicht mehr akzeptiert werden. Zusätzlich wies der Kläger selbst auf bleibende Beeinträchtigungen der Hebeleistung und der Fingersensibilität hin. Von einer Besserung dieser Situation ging er dabei weder vor noch nach der Operation im August 2015 aus. Aufgrund der Entwicklung der vorangehenden Jahre und der Äußerungen des Klägers musste die Beklagte daher davon ausgehen, dass derartige Krankenstände auch in Zukunft auftreten werden. Dies entspricht letztlich auch der tatsächlichen Entwicklung. Der Kläger war bis Dezember 2016 durchgehend im Krankenstand.

5. Dem Berufungsgericht ist jedoch nicht darin zuzustimmen, dass die Beklagte im konkreten Fall ihre soziale Gestaltungspflicht verletzt hat. Dem Kläger wurde aufgrund der von ihm angegebenen Beeinträchtigungen mehrfach der Wechsel des Arbeitsplatzes ermöglicht, er wurde auch für Arbeiten eingesetzt, deren Bewertung niedriger war als der Lohn, den er tatsächlich erhielt. Auf eigenen Wunsch wurde er schließlich in die Abteilung „S***** 2“ versetzt. Dort kam es aber nur zu einer vorübergehenden Besserung, dann wieder zu vermehrten Krankenständen. Nach der Operation im August 2015 war der Kläger für die Beklagte trotz Bemühungen nicht erreichbar. Ein in Aussicht genommener Gesprächstermin Ende September wurde vom Kläger nicht wahrgenommen. Eine Erörterung der weiteren Verwendung des Klägers scheiterte an seiner mangelnden Bereitschaft zur Kommunikation.

Richtig ist zwar, dass die Behauptungs‑ und Beweislast für das Nichtvorhandensein anderer Arbeitsplätze grundsätzlich bei der Beklagten liegt. Gerade im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Ausfällen, die – wie beim Kläger – auf eine allgemeine Minderung des Gesundheitszustands zurückzuführen sind, ist der Arbeitgeber aber auch auf eine gewisse Mitwirkung des Arbeitnehmers angewiesen, da nur dieser die eigene Leistungsfähigkeit beurteilen kann. Anders als bei objektiv betriebsbedingten Kündigungen, bei denen der Arbeitgeber im Rahmen der Organisationsänderung die Einsatzmöglichkeit eines grundsätzlich arbeitsfähigen Arbeitnehmers zu beurteilen hat, ist im Rahmen des personenbezogenen Kündigungsgrundes erhöhter Krankenstände die Leistungsfähigkeit vom Arbeitgeber nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des Arbeitnehmers zu beurteilen. Die Beklagte hat zu diesem Zweck nach der Operation im August 2015 auch das Gespräch mit dem Kläger gesucht, dieses wurde von ihm jedoch verweigert. In der Folge konnte der Kläger sich bei einer Besprechung erst nach Ausspruch der Kündigung nur Ersatztätigkeiten vorstellen, für die ihm die erforderliche Ausbildung fehlte. Dass er ungeachtet dessen über die dafür erforderlichen Kenntnisse (entsprechend einem Lehrabschluss bzw einer Facharbeiterausbildung) verfügte bzw diese in einer der Beklagten zumutbaren Einarbeitungsfrist hätte erwerben können, wird auch vom Kläger nicht behauptet.

Berücksichtigt man diese Gesamtumstände, insbesondere dass der Kläger selbst auf bleibende – für die Krankenstände ursächliche – Einschränkungen der Hebeleistung und in der Fingerfertigkeit hinwies, kann auch bei Anwendung der zuvor dargestellten strengen Grundsätze keine Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht der Beklagten gesehen werden.

Dazu kommt, dass der Kläger nicht nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (29. 2. 2016), sondern auch darüber hinaus bis Dezember 2016 im Krankenstand war, weshalb von einer Einsatzfähigkeit auch für andere als die zuletzt ausgeübten Tätigkeiten nicht ausgegangen werden kann.

Der Beklagten ist damit der Nachweis gelungen, dass beim Kläger wesentliche personenbedingte Kündigungsrechtfertigungsgründe vorliegen.

6. Berücksichtigt man die Dauer der Krankenstände und den damit einhergehenden Ausfall der Arbeitskraft des Klägers, sind die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber den Interessen des Klägers an der Aufrechterhaltung auch unter Bedachtnahme auf die lange Betriebszugehörigkeit und das Alter des Klägers als überwiegend anzusehen, weshalb ein die Sozialwidrigkeit der Kündigung ausschließender Rechtfertigungstatbestand zu bejahen ist.

7. In Stattgebung des Rekurses der Beklagten war daher der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und zufolge Spruchreife das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG. In Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG – wie der vorliegenden – steht einer Partei ein Kostenersatzanspruch an die andere nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu (§ 58 Abs 1 ASGG).

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