European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00149.17K.0220.000
Spruch:
1. Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.
2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war ab 17. 9. 2012 an einer Universität in Wien beschäftigt. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 28. 11. 2013 bezog sie vom 1. 10. 2013 bis 23. 1. 2014 Wochengeld. Von 28. 2. 2014 bis 30. 9. 2015 war sie in Karenz. Im Oktober 2013 zog sie zu ihrem in München berufstätigen Ehegatten, wo sie bis Juli 2015 lebte. Über ihren Antrag erhielt sie in Deutschland vom „Zentrum Bayern Familie‑ und Soziales, Region Oberbayern“ für den Zeitraum 28. 11. 2013 bis 27. 12. 2014 ein Elterngeld nach dem deutschen Bundeselterngeld‑ und Elternzeitgesetz (BEEG) von insgesamt 12.290,04 EUR. Von 28. 12. 2014 bis 31. 7. 2015 erhielt sie ein Betreuungsgeld nach dem BEEG von 1.069,35 EUR. Ihr Ehegatte bezog über seinen Antrag vom 28. 11. bis 27. 12. 2013 sowie vom 28. 6. bis 27. 7. 2014 das (Partner‑)Elterngeld nach dem BEEG von insgesamt 3.600 EUR.
Am 25. 2. 2014 beantragte die Klägerin in Österreich das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12+2 für die Zeit von 24. 1. bis 27. 11. 2014 (308 Tage) in Höhe von 60,57 EUR täglich. Ihr Mann beantragte in Österreich kein Kinderbetreuungsgeld.
Mit Bescheid vom 14. 2. 2017 gab die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) dem Antrag der Klägerin für die Zeit von 24. 1. bis 27. 11. 2014 im Ausmaß von 5,51 EUR pro Tag statt und wies das Mehrbegehren ab.
Die Klägerin begehrte in ihrer Klage eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld von 20,67 EUR täglich für die Zeit von 24. 1. bis 27. 11. 2014. Zu der im Revisionsverfahren ausschließlich umstrittenen Anrechnung des deutschen Betreuungsgeldes führte sie aus, dass diese Leistung von ihrer Funktion und Struktur her dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld nicht vergleichbar sei. Sie sei dann auszuzahlen, wenn Eltern ihre Kinder ohne Inanspruchnahme einer Kinderbetreuungseinrichtung selbst betreuten.
Die Beklagte meint hingegen, das Betreuungsgeld verfolge als fortlaufend ausgezahlte, höchstens bis zum 36. Lebensmonat des Kindes in der Höhe von monatlich 150 Euro gebührende Leistung das Ziel, die Eltern zu unterstützen, die sich selbst der Betreuung und Erziehung ihres Kindes widmeten. Die Leistung sei daher nach ihrer Zielrichtung dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar.
Das Erstgericht teilte diese Ansicht und wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld von 8,98 EUR täglich, insgesamt 2.765,84 EUR für die Zeit von 24. 1. bis 27. 11. 2014. Das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld sei eine fortlaufende Leistung für Eltern, die sich gezielt der Kindererziehung in den ersten 30, höchstens 36 Lebensmonaten des Kindes widmeten, und die dazu diene, die Erziehung des Kindes zu vergüten, die anderen Betreuungs‑ und Erziehungskosten auszugleichen und die finanziellen Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll‑)Erwerbseinkommen bedeute, abzumildern. Diese Einkommensersatzfunktion werde in der hier gewählten einkommensabhängigen Variante zusätzlich dadurch betont, dass die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes vom vorangehenden Einkommen abhängig sei. Das von der Klägerin bezogene Betreuungsgeld sei nicht nach dem Bayrischen Betreuungsgeldgesetz, sondern nach den Bestimmungen der §§ 4a bis 4d BEEG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes vom 15. 2. 2013 gewährt worden. Diese Bestimmungen seien mit Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 7. 2015 wegen der fehlenden Gesetzeskompetenz des Bundes als nichtig aufgehoben, aber mit der Einführung des Bayrischen Betreuungsgeldgesetzes vom 14. 7. 2016 im Wesentlichen inhaltlich übernommen worden.
Anspruch auf Betreuungsgeld habe nach § 4a BEEG derjenige, der seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, mit seinem Kind in einem Haushalt lebe und dieses Kind selbst betreue und erziehe. Die Grundvoraussetzungen seien ähnlich wie beim österreichischen Kinderbetreuungsgeld. Das begründe noch keine Gleichartigkeit, weil dies im Wesentlichen für alle Familienleistungen gelte. Während das Elterngeld gemäß § 1 Abs 1 Z 4 BEEG – ähnlich wie das österreichische Kinderbetreuungsgeld – darauf abstelle, dass der Anspruchsberechtigte keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübe, fordere das BEEG für das Betreuungsgeld diese Voraussetzung nicht, verlange aber statt dessen in § 4a Abs 1 Z 2 BEEG, dass für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm §§ 22–23 des 8. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in Anspruch genommen werden. Das Betreuungsgeld sei durch den Zweck der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern und durch die Schaffung von größeren Gestaltungsfreiräumen für die familiäre Kinderbetreuung gekennzeichnet. Bei den Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm §§ 22–23 SGB VIII handle es sich um öffentlich bereitgestellte Tageseinrichtungen oder öffentlich finanzierte Tagesmütter oder Tagesväter. Voraussetzung sei somit, dass keine frühkindliche Förderung nach diesen Bestimmungen in Anspruch genommen werde. Durch die Einführung des Bundesbetreuungsgeldes sollte die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern vergrößert und eine Lücke im Angebot staatlicher Förder‑ und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr verbessert werden. Sinn und Zweck sei die Förderung der Vielfalt der externen oder familieninternen Betreuung, Tageseinrichtungen, Kindertagespflege, Elterninitiative, Betreuung bei Vater oder Mutter durch Großeltern oder au pair mit dem Betreuungsgeld, das in einer fixen Höhe von 150 EUR pro Monat ausgezahlt werde. Es solle keineswegs ein aufgrund der Betreuungsleistungen entfallendes Einkommen ersetzen. Aufgrund des unterschiedlichen Zwecks des österreichischen Kinderbetreuungsgeldes und des Betreuungsgeldes nach den aufgehobenen Bestimmungen des deutschen BEEG könne nicht von gleichartigen Leistungen gesprochen werden.
Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu, weil bereits eine umfangreiche oberstgerichtliche Judikatur zu den zu lösenden Rechtsfragen existiere.
Rechtliche Beurteilung
Die – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete – Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die Freistellung der Revisionsbeantwortung und die Revision wurden der Klägerin am 28. 12. 2017 zugestellt. § 222 ZPO (Hemmung von Rechtsmittelfristen während der verhandlungsfreien Zeit) ist in diesem Verfahren nicht anzuwenden (§ 39 Abs 4 ASGG). Die vierwöchige Frist zur Einbringung der Revisionsbeantwortung (§ 507a Abs 1 ZPO) ist am 25. 1. 2018 abgelaufen. Die am 5. 2. 2018 im ERV eingelangte Revisionsbeantwortung der Klägerin ist als verspätet zurückzuweisen.
2.1 Die unionsrechtlichen Antikumulierungs-bestimmungen sind nur bei einem Zusammentreffen von vergleichbaren (gleichartigen) Leistungen aus zwei Staaten anzuwenden. Vergleichbarkeit wird angenommen, wenn die Leistungen einander in Funktion und Struktur im Wesentlichen entsprechen (10 ObS 109/07p; 10 ObS 146/16t je mwN; RIS‑Justiz RS0122907).
2.2 Die Ruhensbestimmung des § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53, die nicht mehr auf die Gleichartigkeit ausländischer Familienleistungen abstellt, ist erst am 1. 3. 2017 in Kraft getreten (§ 50 Abs 15 KBGG) und auf den hier zu beurteilenden, vor diesem Zeitpunkt verwirklichten Sachverhalt nicht anzuwenden. Überlegungen zur Vereinbarkeit der Neuregelung mit Unionsrecht sind deshalb nicht erforderlich.
2.3 Nach Meinung der Revisionswerberin ist eine exakte Übereinstimmung der zu vergleichenden Leistungen in sämtlichen Aspekten nicht zu fordern, weil ansonsten die unionsrechtlichen Antikumulierungsregelungen ad absurdum geführt würden. Das Berufungsgericht habe in diesem Fall aufgrund eines einzigen Ausgestaltungsdetails der deutschen Familienleistung, nämlich der in § 4 Abs 1 Z 2 BEEG statuierten Anspruchsvoraussetzung (keine Inanspruchnahme von Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm §§ 22–23 SGB VIII) die Vergleichbarkeit des Betreuungsgeldes mit dem Kinderbetreuungsgeld abgelehnt, obwohl das österreichische einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld indirekt mit § 24 Abs 1 Z 3 KBGG ebenfalls auf die Eigenbetreuung des Kindes durch den Elternteil abstelle. Während des Leistungsbezugs dürften grundsätzlich keine Erwerbseinkünfte erzielt werden, womit der Elternteil das Kind betreuen solle und damit staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen entlastet werden. Die Verwaltungspraxis in Deutschland rechne bei nachrangiger Zuständigkeit Deutschlands das österreichische Kinderbetreuungsgeld auf das deutsche Betreuungsgeld an.
2.4 Der erkennende Senat hält diese Argumentation für nicht stichhältig, die Beurteilung des Berufungsgerichts zur fehlenden Gleichartigkeit hingegen für zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).
2.5 Dem Einwand, dass kaum jemals Familienleistungen zweier Mitgliedstaaten einander entsprechen werden, hat der EuGH in der – auch in der Revision zitierten – Entscheidung C‑347/12, Wiering (Rz 54), Rechnung getragen, indem er gerade keine völlige Gleichartigkeit fordert. Es genügt für die Gleichartigkeit, wenn die Leistungen unabhängig von den besonderen Eigenheiten der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten in wesentlichen Merkmalen (Sinn und Zweck, Berechnungsgrundlage und Voraussetzung für die Gewährung sowie die Leistungsberechtigten) übereinstimmen.
2.6 Das österreichische Kinderbetreuungsgeld soll zwar Eltern, die sich in den ersten 30, höchstens 36 Lebensmonaten gezielt der Kindererziehung widmen, nicht nur die Erziehung vergüten, sondern auch andere Betreuungs- und Erziehungskosten ausgleichen. Es hat aber zusätzlich auch den Zweck, finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll‑)Erwerbseinkommen bedeutet, abzumildern (10 ObS 109/07p). Diese Einkommensersatzfunktion zeigt sich am stärksten bei dem – von der Klägerin hier bezogenen – einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld. Dieses bezweckt als (teilweiser) Ersatz für den Entfall des früheren Einkommens, jenen Eltern, die vor der Geburt über ein relativ hohes Erwerbseinkommen verfügt habe, die Möglichkeit zu geben, trotz des kurzzeitigen Rückzugs aus dem Erwerbsleben den bisherigen Lebensstandard zu erhalten (RIS‑Justiz RS0127744).
2.7 Nach den bereits vom Berufungsgericht dargestellten Bestimmungen des Bundeselterngeld‑ und Elternzeitgesetzes (BEEG) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz), Bundesgesetzblatt I Seite 254, gebührte allen Eltern unabhängig von einer vorangegangenen oder während des Bezugszeitraums ausgeübten Erwerbstätigkeit und der Höhe ihrer (vorangegangenen) Einkünfte ein pauschales Betreuungsgeld für jedes Kind in Höhe von 150 EUR pro Monat, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass sie für das betreute Kind keine dauerhaft durch öffentliche Sach‑ und Personalkostenzuschüsse geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Eltern, die eine derartige Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, profitieren im Gegensatz zu jenen Eltern, die dies nicht tun und alternative Betreuungsmodelle wählen, (indirekt) von einer nicht unbeträchtlichen öffentlichen Förderung, was der deutsche Gesetzgeber durch das Betreuungsgeld zu Gunsten der anderen Elterngruppe ausgleichen wollte (vgl BVerfG 21. 7. 2015, 1 BvF 2/13 [Rn 7]; vgl die Gesetzesmaterialien BTDrucks 17/9917, 1 und 7).
2.9 Das österreichische Kinderbetreuungsgeld und das deutsche Betreuungsgeld unterscheiden sich deutlich in den Anspruchsvoraussetzungen sowie in der Zielrichtung voneinander. Die deutsche Familienleistung hängt im Gegensatz zur österreichischen von der Nichtinanspruchnahme öffentlich geförderter Betreuungseinrichtungen ab. Ein Erwerbseinkommen ist für sie irrelevant, während eine wesentliche Voraussetzung für das Kinderbetreuungsgeld darin besteht, dass bestimmte Einkommensgrenzen (§ 2 Abs 1 Z 3, § 24 Abs 1 Z 3 KBGG) nicht überschritten werden. Einen Ausgleich für den Verzicht auf ein Erwerbseinkommen kann es im Gegensatz zum deutschen Elterngeld aufgrund seiner geringen Höhe nicht leisten (vgl BVerfG 21. 7. 2015, 1 BvF 2/13 [Rn 55]). Das österreichische Kinderbetreuungsgeld, das selbst in der niedrigsten Pauschalvariante (30+6) wesentlich höher als das Betreuungsgeld ist, soll in seiner (teilweisen) Einkommensersatzfunktion Eltern ermöglichen, sich unter Verzicht auf eine (Voll‑)Erwerbstätigkeit der Betreuung ihres Kleinkindes zu widmen.
2.10 Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht die Gleichartigkeit von österreichischem (einkommensabhängigem) Kinderbetreuungsgeld und deutschem Betreuungsgeld verneint.
Die Frage der Überschneidung des Anrechnungszeitraums ist bei diesem Ergebnis nicht zu klären.
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