European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00028.18Y.0220.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.883,16 EUR (darin enthalten 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Beklagte ist Miteigentümerin einer Liegenschaft in Innsbruck; mit ihren Anteilen ist Wohnungseigentum an einer Wohnung verbunden, die sich über das zweite Obergeschoß des Hauses erstreckt. Das Haus wurde etwa um das Jahr 1900 in geschlossener Bauweise errichtet. Die Räumlichkeiten dienen der Beklagten und ihrer Familie als Wohnung; sie hat dort kein Büro eingerichtet.
Am 29. 6. 2015 erstellte die Klägerin zur Sanierung der Wohnung der Beklagten ein schriftliches Angebot über eine Angebotssumme von 52.935,35 EUR einschließlich Umsatzsteuer. Das Angebot bezog sich auf „Baumeisterarbeiten, Boden- und Wandbeschichtung, Regiearbeiten, Rauchfangsanierung, Elektroinstallation und Installationsarbeiten“, enthielt feste Einheitspreise und verwies insbesondere auf die Ö‑Normen A2050 und B2110. Die Beklagte unterfertigte das Angebot der Klägerin in deren Büroräumlichkeiten.
Im Zuge der Bauausführung kam es zu Kostenüberschreitungen, weil die Beklagte auf der Baustelle zusätzliche Aufträge erteilte. Diese betrafen Arbeiten an Türen einschließlich der Balkon- und der Hauseingangstüre, eine geänderte Sanitärinstallation mit einer anderen Badewanne und anderen Armaturen sowie zusätzliche Elektroinstallationen, wobei zusätzliche Leitungen verlegt, Schaltergruppen versetzt und zusätzliche Schalter eingebaut wurden. Weitere Zusatzkosten ergaben sich durch die Sanierung der Decke im Bad; die Notwendigkeit dieser Arbeiten zeigte sich erst im Zuge der Bauausführung.
Mit Schlussrechnung vom 23. 3. 2016 rechnete die Klägerin die Positionen „Baumeisterarbeiten zur Wohnungssanierung, Boden- und Wandbeschichtung, Regiearbeiten, Rauchfangsanierung, Elektroinstallation und Installationsarbeiten“ mit 81.059,18 EUR einschließlich Umsatzsteuer ab und zog davon die von der Beklagten geleistete Teilzahlung von 36.000 EUR ab. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ergibt sich ein gerechtfertigter Abzug von 6.895,86 EUR brutto. Mit weiterer Rechnung vom 23. 3. 2016 rechnete die Klägerin die Positionen „Baumeisterarbeiten zur Wohnungssanierung, Regiearbeiten und Installationsarbeiten“ mit 12.458,44 EUR einschließlich Umsatzsteuer ab. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ergibt sich ein berechtigter Abzug von 4.328,83 EUR brutto. Für eigene Mängelbehebungen entstanden der Beklagten Kosten von 533,27 EUR.
Die Klägerin begehrte letztlich die Zahlung von 29.357,58 EUR sA an restlichem Werklohn. Sie habe im Auftrag der Beklagten in deren Wohnung in Innsbruck Sanierungsarbeiten durchgeführt. Das zugrunde liegende Angebot sei von der Beklagten am 29. 6. 2015 in den Geschäftsräumlichkeiten der Klägerin gegengezeichnet worden. Die Kostenüberschreitungen seien auf Leistungsänderungen zurückzuführen, die die Beklagte zusätzlich in Auftrag gegeben habe. Der Beklagten stehe kein Rücktrittsrecht nach den Bestimmungen des FAGG zu.
Die Beklagte entgegnete, dass sie die Bauleistungen als Verbraucherin in Auftrag gegeben habe. Den im Angebot ausgewiesenen Betrag habe sie gezahlt. Hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Zusatzaufträge erkläre sie gemäß § 13 FAGG den Rücktritt vom Vertrag. Ausnahmetatbestände, die einen solchen Rücktritt ausschließen würden, seien nicht anwendbar. Die Kosten aus eigenen Mängelbehebungen würden einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung gegenüber als Gegenforderung compensando eingewendet.
Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 29.357,58 EUR und die eingewendete Gegenforderung mit 533,27 EUR als zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 28.824,31 EUR sA. Die Beklagte sei zwar Verbraucherin, gemäß § 1 Abs 2 Z 7 FAGG gelte das FAGG aber nicht für Verträge, die erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden zum Inhalt hätten. Dem von der Beklagten in ihrem Einspruch erklärten Rücktritt vom Vertrag komme daher keine Bedeutung zu.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG sei nicht erfüllt, weil diese Bestimmung erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden voraussetze. An das Kriterium der Erheblichkeit sei ein strenger Maßstab anzulegen; die Sanierungsarbeiten müssten daher mit einer Neuerrichtung vergleichbar sein. Diese Anforderungen seien im Anlassfall nicht erfüllt. Das Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG stehe der Beklagten aber für jene Leistungspositionen nicht zu, die nur als Modifikation des ursprünglichen Leistungsumfangs anzusehen seien. Nur jene Änderungen, die zu einer Erweiterung des Leistungsumfangs geführt hätten, seien als echte Zusatzaufträge zu qualifizieren. Auf eine solche Differenzierung komme es letztlich aber nicht an. Gemischte Verträge, auf deren Basis Baumaterialien auf die Baustelle geliefert und im Rahmen der werkvertraglichen Leistungen verwendet würden, seien nach Art 2 Abs 5 der Verbraucherrechte-RL als Kaufverträge zu qualifizieren. Aus diesem Grund sei die Ausnahme vom Rücktrittsrecht gemäß § 18 Abs 1 Z 6 FAGG (Verträge über Waren, die nach ihrer Lieferung aufgrund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden) beachtlich. Diese Ausnahme beziehe sich nicht nur auf die Vermischung von Gütern, sondern auf alle Fälle, in denen gelieferte und verarbeitete Baumaterialien nicht ohne Substanzverlust von der Hauptsache separiert werden könnten. Da diese Ausnahmebestimmung im Anlassfall zur Anwendung gelange, sei der Rücktritt der Beklagten nicht wirksam geworden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu den herangezogenen Bestimmungen des FAGG keine Rechtsprechung des Höchstgerichts bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Von den in der Revision thematisierten Fragen zum Anwendungsbereich des Bundesgesetzes über Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (FAGG), BGBl I 2014/33, sowie zu den darin normierten Ausnahmen vom Rücktrittsrecht des Verbrauchers hängt die Entscheidung nicht ab.
2. Im Revisionsverfahren ist zu klären, ob der Rücktritt der Beklagten (im Einspruch vom 13. 5. 2016) von den auf der Baustelle erteilten Zusatzaufträgen nach den Bestimmungen des FAGG wirksam war. In Ansehung dieser Zusatzaufträge ist der Beklagten keine Information iSd § 4 Abs 1 Z 8 FAGG (Belehrung über das Rücktrittsrecht unter Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars) zugekommen. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung war der Widerruf gemäß § 12 Abs 1 FAGG rechtzeitig. Die Verbrauchereigenschaft der Beklagten ist nicht mehr fraglich.
3.1 Der zeitliche (§ 20 FAGG) sowie der persönliche Anwendungsbereich (§ 1 Abs 1 FAGG iVm § 1 KSchG) des FAGG sind gegeben.
3.2 Zu prüfen ist, ob auch die Voraussetzungen für den sachlichen Anwendungsbereich des FAGG vorliegen. Dieser ist im vorliegenden Zusammenhang nur dann eröffnet, wenn davon auszugehen ist, dass die hier zu beurteilenden zusätzlichen Bauaufträge außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin abgeschlossen wurden (§ 1 Abs 1 FAGG).
Während der Hauptauftrag von der Beklagten im Büro der Klägerin unterfertigt und dadurch angenommen wurde, erteilte die Beklagte die Zusatzaufträge direkt auf der Baustelle. Die Beurteilung ist daher davon abhängig, ob die Zusatzaufträge jeweils als gesonderte Verträge zu qualifizieren sind, oder ob ein einheitlicher Vertrag mit dem Hauptauftrag vorliegt.
4.1 Nach Art 3 Abs 5 der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechte‑RL) lässt diese das innerstaatliche Vertragsrecht unberührt, soweit nicht konkrete vertragliche Aspekte in der Richtlinie geregelt werden. So sind etwa das Zustandekommen, die Gültigkeit oder die Rechtswirkungen eines Vertrags nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen (ErwGr 14 der RL). Dies gilt ebenso für die Bestimmung der geschuldeten Leistung als Vertragsinhalt sowie die Beurteilung, ob mehrere vertragliche Regelungen als Gegenstand eines einheitlichen Vertrags anzusehen sind. Diese Fragen sind daher nach innerstaatlichem Recht, ohne Vorgaben durch die Verbraucherrechte‑RL, zu beantworten.
4.2 Mangels ausdrücklicher Erklärungen der Parteien zur Frage, ob äußerlich getrennte Verträge sachlich eine Einheit bilden sollen, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob ein derartiger Wille der Parteien angenommen werden kann (vgl 9 Ob 81/04h; ebenso 8 Ob 117/14k im Zusammenhang mit gesondert zu honorierenden Zusatzleistungen). Vor allem aus der Entstehungsgeschichte des Vertrags und aus dem zeitlichen Abstand zwischen den Verträgen können sich gegebenenfalls Anhaltspunkte für einen auf die Verknüpfung der Verträge abzielenden Parteiwillen ergeben (vgl 9 Ob 81/04h).
4.3 Gerade für den Bauvertrag ist es typisch, dass im Zuge der Bauausführung Leistungsänderungen vereinbart werden, um das Leistungsziel zu erreichen. Die vom Besteller gewünschten Leistungsänderungen können in Zusatzleistungen, die im Hauptauftrag nicht berücksichtigt sind (zB zusätzliche Leistungspositionen oder die Sanierung zusätzlicher Räume), in einem Leistungsentfall oder in einem Leistungsaustausch bestehen (vgl dazu Tomek , Arten von Bauverträgen, in Müller/Stempkowski , Handbuch Claim‑Management 2 [2015] 43). Zusatzleistungen werden in der Regel im Rahmen von Zusatzaufträgen angeordnet.
Nach den Feststellungen wurde zwischen den Streitteilen ein Einheitspreisvertrag abgeschlossen, in den unter anderem die Ö‑Normen A2050 und B2110 einbezogen wurden. Bei einem Einheitspreisvertrag wird das zu erbringende Werk in einzelne Teilleistungen (Einheiten) aufgeteilt, die mit entsprechenden Einheitspreisen bewertet werden. Die Einheiten (Einzelpositionen) werden dabei in der Regel im Rahmen eines ausgepreisten Leistungsverzeichnisses beschrieben. Beim Einheitspreisvertrag wird dem Besteller nur der Einheitspreis (Preis für die Einheit einer Leistung, die nach Stück, Zeit oder Masse oder in anderen Maßeinheiten erfasst wird), nicht aber der Gesamtpreis zugesichert. Sofern es im Rahmen der Bauausführung zu Leistungsänderungen kommt, führt dies zu einer Änderung des Gesamtpreises. Die Abrechnung der Zusatzleistungen erfolgt dabei anhand der im Leistungsverzeichnis angeführten Preise (siehe dazu Tomek 31; Karasek, ÖNORM B2110 3 Rz 1616).
4.4 Der Einheitspreisvertrag versetzt die Vertragsparteien in die Lage, auf Leistungsänderungen flexibel zu reagieren, weil sich der Gesamtpreis aus der Multiplikation der tatsächlich zur Ausführung gelangten Mengen bzw Maßeinheiten mit den vereinbarten Einheitspreisen ergibt ( Tomek 35). Ein Einheitspreisvertrag wird daher vor allem dann gewählt, wenn von den Vertragsparteien Leistungsänderungen erwartet werden (vgl Tomek 43). In einem solchen Fall ist nach dem Verständnis redlicher Parteien grundsätzlich davon auszugehen, dass sich auf der Baustelle ergebende Leistungsänderungen, die im Rahmen des ursprünglichen Leistungsziels liegen, dem Hauptvertrag zuzuordnen sind. Die Vertragsauslegung führt daher in aller Regel zum Ergebnis, dass der Hauptvertrag durch Zusatzaufträge konkretisiert wird und ein einheitlicher Vertrag vorliegt.
4.5 Im Anlassfall hat die Klägerin einen Teil der auf die Zusatzaufträge der Beklagten entfallenden Leistungspositionen in die Schlussrechnung vom 23. 3. 2016 aufgenommen. Diese Leistungspositionen stimmen mit jenen überein, die schon im Angebot vom 29. 6. 2015 enthalten waren. Diese Zusatzleistungen stellen eine Konkretisierung des Hauptauftrags dar und sind diesem zuzuordnen. Das Gleiche gilt für die Leistungspositionen in der weiteren Rechnung vom 23. 3. 2016, die sich ihrer Art nach ebenfalls zur Gänze dem ursprünglichen Hauptauftrag zuordnen lassen.
4.6 Zur Deckensanierung im Badezimmer führt die Klägerin in der Revisionsbeantwortung aus, dass es sich nach ihrem Standpunkt dabei um den einzigen Zusatzauftrag (und nicht um eine Modifikation des Hauptauftrags) handle, weil die zugrunde liegenden Mängel erst im Zuge der Umbauarbeiten hervorgekommen seien.
Nach den dargestellten Grundsätzen schließt der Umstand, dass ein Zusatzauftrag erteilt wurde, die Zuordnung zum Hauptauftrag nicht aus. Für diese Zuordnung ist entscheidend, dass ein sachlicher Zusammenhang zu diesem und dem darin vereinbarten Leistungsziel besteht, sodass von einer Konkretisierung der beauftragten Leistungen auszugehen ist.
Die im Hauptauftrag vorgesehenen Sanierungsarbeiten betrafen auch das Bad. Wenn sich im Zuge der Baumaßnahmen im Bad weitergehende Sanierungserfordernisse ergeben, handelt es sich auch dabei um Maßnahmen zur Badsanierung, weshalb auch diese Leistungen dem Hauptauftrag zuzuordnen sind.
5. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass alle von der Beklagten auf der Baustelle erteilten Zusatzaufträge nach der Vertragsauslegung und der Übung des redlichen Verkehrs als Konkretisierung des Hauptauftrags zu qualifizieren und dem Hauptauftrag zuzuordnen sind. Hauptauftrag und Zusatzaufträge bilden einen einheitlichen Vertrag, der zum Zweck der Sanierung der Wohnung der Beklagten abgeschlossen wurde. Da aus rechtlicher Sicht kein gesonderter, außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin geschlossener Vertrag vorliegt, ist der sachliche Anwendungsbereich des FAGG auch in Bezug auf die Zusatzaufträge nicht eröffnet. Aus diesem Grund steht der Beklagten das beanspruchte Rücktrittsrecht nicht zu.
Die in der Revision angesprochenen Fragen zu den Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich des FAGG sowie zu den Ausnahmen vom Rücktrittsrecht stellen sich nicht. Schon aus diesem Grund war die Anregung zur Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht aufzugreifen.
6. Da es der Beklagten nicht gelingt, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl RIS‑Justiz RS0035979).
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