OGH 4Ob16/18h

OGH4Ob16/18h20.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach Mag. C***** R*****, zuletzt wohnhaft in *****, vertreten durch Mag. Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2017, GZ 39 R 127/17s‑39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. März 2017, GZ 89 C 182/16x‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00016.18H.0220.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 335,64 EUR (darin enthalten 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft in Wien 4, auf der sich mehrere Häuser mit Wohnungen befinden. Mag. C***** R***** war Mieterin der im Haus M***** 25 gelegenen Wohnung Top 4 im Ausmaß von rund 45,30 m2. Die Mieterin verstarb am 24. 7. 2016. Da der Sohn der damaligen Mieterin ab Jänner 2015 beruflich nach Deutschland übersiedelte, zog im April 2015 die spätere Schwiegertochter der damaligen Mieterin gemeinsam mit ihrer am 3. 10. 2013 geborenen Tochter (Enkelin der damaligen Mieterin) in die aufgekündigte Wohnung. Die Hausarbeit wurde zwischen beiden Frauen aufgeteilt, die Einkäufe wurden gemeinsam erledigt, die Lebenshaltungskosten abwechselnd getragen. Die Miete wurde von der damaligen Mieterin gezahlt. Am 27. 11. 2015 kam die zweite Enkelin der damaligen Mieterin zur Welt, die ab der Geburt gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und ihrer älteren Schwester in der aufgekündigten Wohnung wohnte. Im April 2016 kehrte der Sohn der damaligen Mieterin aus Deutschland zurück. Seit diesem Zeitpunkt wohnt auch er in der aufgekündigten Wohnung. Die Familie des Sohnes verfügt über keine andere Wohnmöglichkeit.

Nach dem Tod der früheren Mieterin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG auf; andere Kündigungsgründe sind nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Nach der Verstorbenen seien keine eintrittsberechtigten Personen vorhanden, weshalb die Wohnung nicht mehr der Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses diene.

Die beklagte Verlassenschaft erhob Einwendungen gegen die Aufkündigung und brachte vor, dass die Wohnung dem dringenden Wohnbedürfnis von eintrittsberechtigten Personen, nämlich der beiden minderjährigen Enkelinnen der Verstorbenen diene, die bereits vor dem Tod der Großmutter gemeinsam mit dieser und der Schwiegertochter der Verstorbenen in der gekündigten Wohnung gelebt hätten. Der Vater der beiden Minderjährigen habe seit Jänner 2015 aus beruflichen Gründen in Deutschland gelebt. Mittlerweile sei der berufliche Auslandsaufenthalt des Vaters beendet, nunmehr wohne die gesamte Familie in der aufgekündigten Wohnung.

Das Erstgericht hob die Kündigung als rechtsunwirksam auf und wies das auf Übergabe der Wohnung gerichtete Klagebegehren ab. Wenn die Voraussetzungen nach § 14 Abs 3 MRG vorliegen, könne auch ein Kind eintrittsberechtigt sein. Die Eintrittsvoraussetzungen seien hier gegeben. Die beiden Minderjährigen hätten gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter im gemeinsamen Haushalt gelebt. Auch das dringende Wohnbedürfnis der beiden Minderjährigen sei zu bejahen, weil ihre Eltern über keine andere Wohnmöglichkeit verfügten. Dass auch die Eltern der beiden Minderjährigen selbst eintrittsberechtigt wären, sei im Verfahren nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach der Rechtsprechung hätten Minderjährige, deren Selbsterhaltungsfähigkeit in nächster Zukunft nicht absehbar sei, neben dem familienrechtlichen Wohnungsanspruch grundsätzlich kein dringendes Wohnbedürfnis. Bei einem zwei- und einem vierjährigen Kind sei ein über den familienrechtlichen Unterhaltsanspruch hinausgehender dringender Wohnbedarf nicht zu erkennen. Im Anlassfall schade es allerdings nicht, dass sich die Beklagte nicht auf das zu bejahende Eintrittsrecht des Sohnes der früheren Mieterin, sondern nur auf jenes der beiden Enkelinnen berufen habe. Der Eintritt in das Mietrecht nach § 14 MRG erfolge mit dem Zeitpunkt des Todes des Mieters ex lege. Es genüge daher, dass die Wohnung dem dringenden Wohnbedürfnis zumindest irgendeiner eintrittsberechtigten Person diene. Dieser Nachweis sei der Beklagten hier gelungen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur vorliegenden Konstellation, in der sich die gekündigte Partei auf die Eintrittsberechtigung anderer Personen berufe als derjenigen, die sich nach den Feststellungen als eintrittsberechtigt erweise, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die darauf abzielt, die Aufkündigung für rechtswirksam zu erklären.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

1. Die beklagte Verlassenschaft hat sich in ihren Einwendungen gegen die Aufkündigung nur auf das Eintrittsrecht der beiden minderjährigen Enkelinnen der Verstorbenen berufen. In ihrer Revisionsbeantwortung bezeichnet sie den Umstand, dass sie die Eintrittsberechtigung des Sohnes der Verstorbenen im erstinstanzlichen Verfahren nicht expressis verbis genannt habe, als unschädlich, weil sich im Verfahren ergeben habe, dass zum Zeitpunkt des Todes der früheren Mieterin auch ihr Sohn in der aufgekündigten Wohnung gewohnt habe.

Damit stellt sich die Frage, ob es bei der Prüfung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG nur auf das im Verfahren geltend gemachte Eintrittsrecht ankommt und sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken hat, oder ob auch sich im Verfahren (zufällig) ergebende Eintrittsrechte anderer Personen zu berücksichtigen sind. Diese Frage betrifft das Spannungsverhältnis zwischen dem ex lege‑Eintritt nach § 14 Abs 2 MRG einerseits und der nachfolgenden gerichtlichen Kontrolle des Vorliegens der Eintrittsvoraussetzungen andererseits.

2.1 Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG liegt vor, wenn die vermieteten Wohnräume nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen (§ 14 Abs 3 MRG) dienen. Nach § 14 Abs 3 MRG sind unter anderem Verwandte in gerader Linie eintrittsberechtigt, sofern diese Personen ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben. Nach Abs 2 leg cit treten die in Abs 3 genannten eintrittsberechtigten Personen – mit Ausschluss anderer zur Erbfolge berufenen Personen – nach dem Tod des Hauptmieters einer Wohnung in den Mietvertrag ein, sofern sie nicht binnen 14 Tagen nach dem Tod des Hauptmieters dem Vermieter bekanntgeben, dass sie das Mietverhältnis nicht fortsetzen wollen.

Der Eintritt in den Mietvertrag erfolgt somit ex lege, sofern die potenziell eintrittsberechtigten Personen nichts Gegenteiliges bekanntgeben. Der Eintritt in den Mietvertrag vollzieht sich demnach kraft Gesetzes; es bedarf dafür keiner rechtsgeschäftlichen Erklärung (7 Ob 145/09p; 7 Ob 196/10i). Für das Wirksamwerden der Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 MRG ist jedoch erforderlich, dass im Zeitpunkt des Todes des Hauptmieters sämtliche gesetzlichen Eintrittsvoraussetzungen vorliegen. Dazu zählen neben der Eigenschaft als (hier) Verwandter in gerader Linie des verstorbenen Mieters weiters der gemeinsame Haushalt mit dem bisherigen Mieter in der Wohnung sowie ein weiterbestehendes dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung.

Dazu ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass mit der Behauptung und dem Beweis des Vorliegens aller Eintrittsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs 3 MRG derjenige belastet ist, der behauptet, eintrittsberechtigt zu sein, oder der vorbringt, dass der vom Vermieter geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG wegen einer eintrittsberechtigten Person nicht verwirklicht sei (RIS‑Justiz RS0107852; 7 Ob 196/10i). Dabei wird der Gekündigte seiner Behauptungslast nicht gerecht, wenn er bloß unter Verwendung der verba legalia darauf hinweist, die gekündigte Wohnung diene der Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses. Vielmehr hat er konkrete Behauptungen aufzustellen, aus welchen Gründen die Eintrittsvoraussetzungen gegeben sind (vgl 10 Ob 19/04y).

2.2 Für den Anlassfall bedeutet dies, dass im gerichtlichen Aufkündigungsverfahren die Eintrittsvoraussetzungen für jede potenziell eintrittsberechtigte Person konkret zu prüfen sind. Um ihrer Behauptungslast zu entsprechen, muss die gekündigte Partei ausreichend konkrete Behauptungen zu den Eintrittsvoraussetzungen der in Betracht kommenden Personen aufstellen. Die gerichtliche Prüfung wird durch die Einwendungen begrenzt. Sie erfasst nicht auch dritte Personen, deren mögliche Eintrittsrechte nicht zum Gegenstand der Einwendungen gemacht werden.

2.3 Dieses Ergebnis wird durch den im Streitverfahren geltenden Verhandlungsgrundsatz untermauert. Danach bestimmen die Parteien den Rahmen, innerhalb dessen das Gericht das Verfahren zu führen und seine Entscheidung zu treffen hat. Sie bestimmen nicht nur den Inhalt ihrer Sachanträge, sondern auch, aufgrund welcher Tatsachen die Entscheidung gefällt werden soll. Der Sachverhalt ist daher nicht von Amts wegen aufzuklären. Das Gericht darf die Tatsachen nicht völlig selbständig sammeln und daraus selbständige Schlüsse ziehen, sondern ist an das Tatsachenvorbringen der Parteien gebunden (RIS‑Justiz RS0037331; RS0037002).

2.4 Die Beklagte führt in der Revisionsbeantwortung die Feststellungen des Erstgerichts ins Treffen, wonach seit April 2016 auch der Sohn der Verstorbenen und Vater der beiden Minderjährigen in der aufgekündigten Wohnung wohnt und keine andere Wohnmöglichkeit hat. Ungeachtet der Frage, ob sich daraus bereits das Eintrittsrecht des Sohnes der Verstorbenen ergeben würde, handelt es sich dabei um eine sogenannte „überschießende Feststellung“, die sich – zumal die Eintrittsvoraussetzungen für jede eintrittsberechtigte Person gesondert zu behaupten und zu prüfen sind – nicht im Rahmen der von der Beklagten erhobenen Einwendungen hält und daher unbeachtlich ist (RIS‑Justiz RS0040318; 8 Ob 116/13m).

3.1 Da ein allenfalls bestehendes Eintrittsrecht des Sohnes der Verstorbenen nicht Gegenstand des Verfahrens ist, bleibt zu prüfen, ob den beiden Enkelinnen ein Eintrittsrecht zukommt. Ausgehend von den Feststellungen sind die Eintrittsvoraussetzungen nach § 14 Abs 3 MRG gegeben. Das Eintrittsrecht der Enkelinnen könnte daher nur an einem familienrechtlichen Wohnungsanspruch scheitern.

Bei der Beurteilung, ob einem Minderjährigen, der aufgrund seines Unterhaltsanspruchs auch einen Anspruch auf familienrechtliche Wohnversorgung hat, ein eigenständiges Eintrittsrecht an einer Wohnung nach § 14 MRG zukommt, ist nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, ob dieses Kind im konkreten Einzelfall ein dringendes Wohnbedürfnis an der Wohnung hat, das vom familienrechtlichen Wohnungsanspruch nicht gedeckt ist. Im Allgemeinen sind dabei das Alter des Kindes, die zu erwartenden Entwicklungen in nächster Zukunft und die Gründe, die für die gesonderte Wohnungsnahme oder für die Begründung von eigenen Mitmietrechten des Unterhaltsberechtigten sprechen, zu berücksichtigen. Minderjährige, deren Selbsterhaltungsfähigkeit in nächster Zukunft nicht absehbar ist, haben neben dem familienrechtlichen Wohnungsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen grundsätzlich kein dringendes Wohnbedürfnis an einer Wohnung, wenn nicht besondere Gründe dafür bestehen (7 Ob 145/09p).

Die nahende Selbsterhaltungsfähigkeit ist zwar ein besonders markanter Fall, der für die Notwendigkeit eigener Mietrechte eines Minderjährigen sprechen kann. Es kommen aber auch andere besondere Gründe, wie etwa die besondere Bedeutung einer Wohnung am Studienort, dafür in Betracht. Außerdem ist zu beachten, dass ein dringendes Wohnbedürfnis nur dann verneint werden kann, wenn eine gleichwertige andere Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht, wobei es dabei vor allem auf die rechtliche Position ankommt (vgl 2 Ob 706/86). Der Anspruch auf familienrechtliche Wohnversorgung ist als Teil des Unterhaltsanspruchs zwar gegen den Unterhaltspflichtigen durchsetzbar. Ist die Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs aber nicht gesichert, so kann nicht mehr gesagt werden, dass das dringende Wohnbedürfnis bereits durch den familienrechtlichen Wohnungsanspruch gedeckt sei.

3.2 Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Vater der beiden Kinder seit April 2016 ebenfalls in der aufgekündigten Wohnung lebt und – so wie seine Familie – keine andere Wohnmöglichkeit hat. Er hat für sich, seine Frau und die beiden Kinder zwar eine Wohnung gesucht, aber keine andere geeignete Wohnung gefunden. Dieses Tatsachensubstrat ist von den Einwendungen der beklagten Verlassenschaft gedeckt, zumal sie darin auch auf das dringende Wohnbedürfnis des Sohnes der Verstorbenen selbst verwiesen hat.

Besteht trotz entsprechender Suche für den Unterhaltspflichtigen keine andere Wohnmöglichkeit, so ist ein familienrechtlicher Wohnungsanspruch ihm gegenüber aktuell nicht durchsetzbar. Darauf hat sich die Klägerin in der Revision auch nicht bezogen.

4.1 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im gerichtlichen Aufkündigungsverfahren nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG die Eintrittsvoraussetzungen für jede potenziell eintrittsberechtigte Person konkret zu prüfen sind. Die gerichtliche Prüfung wird dabei durch die Einwendungen begrenzt. Sie erfasst nicht auch dritte Personen, deren mögliche Eintrittsrechte nicht zum Gegenstand der Einwendungen gemacht werden.

Ein besonderer Grund, der für die Notwendigkeit eigener Mietrechte eines Minderjährigen spricht, kann auch darin gelegen sein, dass ein allenfalls bestehender familienrechtlicher Wohnungsanspruch nicht durchsetzbar ist.

4.2 Die angefochtene Entscheidung steht mit diesen Grundsätzen im Ergebnis im Einklang. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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