OGH 10Ob19/04y

OGH10Ob19/04y30.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Nina F*****, Flugbegleiterin, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Broesigke und Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Johannes S*****, Arzt, ***** vertreten durch Dr. Ines Scheiber, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. September 2003, GZ 41 R 219/03i-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 19. Mai 2003, GZ 4 C 1229/02p-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 266,69 EUR (darin 44,45 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Mutter der Klägerin als damalige Eigentümerin des Hauses C***** in 1190 Wien vermietete im Jahr 1989 die Wohnung Top 1 an den Beklagten. Die Klägerin selbst lebte damals bereits in der Wohnung Top 2, die aufgrund der Hanglage einige Stufen höher liegt als die vom Beklagten gemietete Wohnung und von dieser nur durch einen Windfang getrennt ist. Die Wohnungseingangstüren befinden sich im rechten Winkel zueinander. Das Schlafzimmer von Top 2 grenzt an das zum Vorraum offene Wohnzimmer von Top 1. Die beiden Wohnungen verfügen über eine gemeinsame Terrasse.

Ab einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls aber ab April 2002, lebte der Beklagte nicht mehr in der von ihm gemieteten Wohnung, sondern kam meist nur mehr, um Nachschau zu halten oder Sachen zu holen. Für Übernachtungen benützte er die Wohnung selten, jedenfalls aber nicht öfter als durchschnittlich einmal pro Monat. So blieb er Ende Juni 2002 einmal nach einem Heurigenbesuch da, in dessen Anschluss er noch Gäste auf der Terrasse bewirtet hat. Ein weiteres Mal lud er - ebenfalls nach einem Heurigenbesuch - im September 2002 Gäste ein und schlief anschließend in der Wohnung.

Am 9. 9. 2002 brachte die Klägerin die auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 6 und Z 8 MRG gestützte Aufkündigung beim Bezirksgericht Döbling ein. Entsprechend der Angabe der Klägerin wurde die am 11. 9. 2002 erlassene Aufkündigung an der Adresse 1190 Wien, G*****, wo die Freundin des Beklagten lebt, am 18.9.2002 durch Hinterlegung zugestellt. Nachdem dem Postamt vom "Eigentümer" mitgeteilt worden war, die Adresse sei falsch, erfolgte die Zustellung der Aufkündigung am 10. 10. 2002 an die Ordinationsanschrift des Beklagten. In diesem Zeitraum begann der Beklagte vorübergehend, unter der Woche regelmäßig in der Wohnung zu übernachten. Etwa ab November 2002 kam er wieder seltener ins Haus; erst in den letzten beiden Jänner-Wochen 2003 übernachtete er dreimal bzw zweimal in der Wohnung.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 11. 9. 2002 für wirksam und verpflichtete den Beklagten zur geräumten Übergabe der Wohnung Nr 1 im Haus 1190 Wien, C*****, an die Klägerin. Wenngleich für die Anforderungen an den Lebensschwerpunkt eines Junggesellen kein allzu strenger Maßstab angelegt werden dürfe, sei die Verwendung einer Wohnung als Abstellraum oder nur der Bequemlichkeit halber tagsüber ebenso wenig eine regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken wie eine Verwendung als bloßes Absteigquartier. Da der Beklagte die Wohnung überwiegend dazu verwende, seine Sachen darin aufzubewahren und nur äußerst selten, jedenfalls nicht öfter als einmal im Monat dort übernachte, sei der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG verwirklicht. Für das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung wäre der Beklagte beweispflichtig gewesen. Dazu habe er aber nicht einmal ein Vorbringen erstattet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer schlüssigen Beweiswürdigung und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Nach ständiger Judikatur habe der Vermieter bei einer Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG die Nichtbenützung der Wohnung zu behaupten und zu beweisen. Dafür, dass trotz fehlender Benützung ein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses vorliege, treffe jedoch den Mieter die Behauptungs- und Beweispflicht, etwa dass die Nichtbenützung nur eine vorübergehende Unterbrechung dargestellt habe und er in der nächsten Zeit in die Wohnung zurückkehren werde. Die bloße Behauptung des Mieters, der die gemietete Wohnung nicht regelmäßig verwende und daher zwangsläufig eine andere Wohnmöglichkeit haben müsse, er habe ein dringendes Wohnbedürfnis, ohne konkret auszuführen, worin dieses bestehe, sei nicht ausreichend, wenn auch nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht zu jeder in diesen Rahmen fallenden Einzelheit ein konkretes Prozessvorbringen erstattet werden müsse. Diese Judikatur erachte das Berufungsgericht aber als zu weitgehend, würde sie doch die Einführung des Untersuchungsgrundsatzes in das streitige Verfahren bedeuten. Notwendig sei jedenfalls konkretes Vorbringen des Mieters zu den Umständen, die eine Wiederbenützung in absehbarer Zeit erwarten lassen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zum Umfang der Behauptungspflicht des Mieters zur Frage des dringenden Wohnbedürfnisses divergierende oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Aufhebung der Aufkündigung und Abweisung des Klagebegehrens abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, damit eine Klarstellung zur Behauptungslast des Mieters im Fall einer Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG getroffen werden kann; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, weshalb eine Anfechtung der Beweiswürdigung, wie sie vom Beklagten im Rahmen seiner Rechtsrüge teilweise vorgenommen wurde - im Revisionsverfahren nicht möglich ist (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 503 Rz 1). Auszugehen ist insbesondere von der vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung, dass der Beklagte erst ab der Zustellung der Aufkündigung am 10. 10. 2002 vorübergehend begonnen hat, unter der Woche regelmäßig in der Wohnung zu übernachten.

§ 30 Abs 2 Z 6 MRG gewährt einen Kündigungsgrund, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet wird, es sei denn, dass der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Für die Beurteilung, ob der Kündigungsgrund vorliegt, kommt es auf den Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an (RIS-Justiz RS0070232 [T1])

Für das Fehlen einer regelmäßigen Verwendung ist der Vermieter behauptungs- und beweispflichtig (RIS-Justiz RS0079253). Hat der Vermieter - wie hier - die nicht regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken nachgewiesen, trifft den Mieter die Behauptungs- und Beweislast für das dringende Wohnbedürfnis (RIS-Justiz RS0079350 [T6]), das bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages zu bejahen ist (RIS-Justiz RS0068687, RS0079350 [T2]). In diesem Sinn ist es Sache des Vermieters zu behaupten und zu beweisen, dass er die Nichtbenützung eine absehbare nur vorübergehende Unterbrechung darstellt (RIS-Justiz RS0079350 [T1]). In diesem Fall muss vom Mieter bewiesen werden, dass die Wohnung mit Sicherheit in naher Zukunft wieder benötigt werden wird (1 Ob 548/91 = wobl 1991/117, Würth). Auf ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeiten ist nicht Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0079210; 6 Ob 559/93 = wobl 1993/134; 3 Ob 165/00m = immolex 2001/66 = MietSlg 52.420;; Würth in Rummel3 § 33 MRG Rz 33).

Der Oberste Gerichtshof hat in den zu RIS-Justiz RS0087043 indizierten Entscheidungen ausgesprochen, dass bereits aufgrund eines Vorbringens, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG sei infolge eines dringenden Wohnbedürfnisses nicht erfüllt, alle zur verlässlichen Beurteilung dieser Frage notwendigen Tatsachenfeststellungen zu treffen seien, auch wenn der - insoweit behauptungs- und beweispflichtige - Mieter nicht zu jeder in diesen Rahmen fallenden Einzelheit ein konkretes Prozessvorbringen erstattete (so bereits 3 Ob 603/78 = MietSlg 30.427).

Der Entscheidung 3 Ob 565/95 = MietSlg 47.393 lag zugrunde, dass die Mieterin das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes mit der Begründung bestritten hatte, das Bestandobjekt werde von ihr regelmäßig bewohnt und stelle für sie die einzige Möglichkeit zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses dar; sie halte sich nur gelegentlich in der Wohnung eines guten Bekannten auf. Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei jedoch die aufgekündigte Wohnung, wo sie auch alle persönlichen Gegenstände habe. Der Oberste Gerichtshof fasste einen Aufhebungsbeschluss und trug Feststellungen auf, die eine Beurteilung der Frage erlauben, ob zu erwarten ist, dass die Beklagte die aufgekündigte Wohnung in naher Zukunft wieder zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses benötigen werde.

Im Verfahren 3 Ob 402/97g (wobl 2000/124 = MietSlg 50.431) brachte die Mieterin vor, die aufgekündigte Wohnung sei ihre einzige Wohnmöglichkeit in Österreich und werde von ihr nach wie vor ausschließlich für Wohnzwecke benützt; sie sei nur aus beruflichen Gründen vorübergehend wegen der Tätigkeit für ihren Dienstgeber in Tschechien während der Woche nicht in Wien. Auch im Verfahren 8 Ob 349/99b (wobl 2001/75 = MietSlg LII/24) hat der gekündigte Mieter ein Vorbringen erstattet, dass von vornherein klar gewesen sei, dass die Wohnung nur als Zweitwohnsitz benützt werde.

Aus diesen Entscheidungen ist der Schluss zu ziehen, dass der gekündigte Mieter seiner Behauptungslast nicht gerecht wird, wenn er bloß unter Verwendung der verba legalia darauf hinweist, die gekündigte Wohnung diene der Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses. Vielmehr hat er konkrete Behauptungen aufzustellen, aus welchen Gründen - trotz der fehlenden regelmäßigen Benützung - ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages besteht. Der zu RIS-Justiz RS0087043 indizierte Rechtssatz ist daher so zu verstehen, dass konkretes Vorbringen des Mieters zum dringenden Wohnbedürfnis erforderlich ist, aber kein detailliertes Vorbringen zu allen möglichen Einzelpunkten; insoweit kann das Vorbringen durchaus allgemein gehalten sein.

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte diesen Anforderungen nicht entsprochen hat, wenn er in den Einwendungen lediglich vorgebracht hat, er benötige die aufgekündigte Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses und verfüge über keine andere Wohnmöglichkeit - wobei das Fehlen einer anderen Wohnmöglichkeit aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens keinen Niederschlag in den Feststellungen gefunden hat.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO.

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