OGH 9ObA145/17i

OGH9ObA145/17i30.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Herbert Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Vera Noss, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, wegen 59.173,63 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2017, GZ 8 Ra 68/17d‑24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00145.17I.0130.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Beklagte, ein Unternehmen mit Sitz in Portugal, entsandte im Rahmen ihrer Tätigkeit Arbeitnehmer zur Ausübung von Bautätigkeiten nach Österreich. Vor der Entsendung gewährte sie den Arbeitnehmern keine Urlaubsvorgriffe. Einige entsendete Arbeitnehmer waren nach der Entsendung auf Urlaub. Dafür zahlte die Beklagte den Arbeitnehmern auch Urlaubsentgelt für die klagsgegenständlichen Zeiträume.

Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte zur Zahlung der von der Klägerin für bestimmte Arbeitnehmer und Entsendezeiten vorgeschriebenen Zuschläge nach dem BUAG.

In ihrer außerordentlichen Revision vertritt die Beklagte den Standpunkt, dass Urlaube, die sie den entsandten Arbeitnehmern innerhalb von sechs Monaten nach Ende der Entsendung gewährt und die zu entsprechenden Leistungen im Entsendestaat geführt habe, auf die von der Klägerin begehrten Zuschläge „anzurechnen“ seien. Dadurch, dass die Beklagte auch für die Zeit des gewährten Urlaubs innerhalb von sechs Monaten nach Ende der Entsendung in Portugal im Rahmen des den Arbeitnehmern ausbezahlten Urlaubsentgelts Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge in Portugal bezahlt habe, komme es durch die pauschale Regelung der Zuschlagsverordnung, die ebenfalls (jedoch österreichische) Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge umfasse, zu einer ungerechtfertigten Doppelbelastung der Beklagten. Damit verstießen die entsprechenden Regelungen des BUAG und der BUAG-Zuschlagsverordnung gegen die Dienstleistungsfreiheit, weil die Beklagte als ausländisches Unternehmen gegenüber einem in Österreich ansässigen Unternehmen diskriminiert werde.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Beklagte mit diesen Ausführungen aber nicht auf.

In der Entscheidung 8 ObA 2/11v, auf die auch die Revisionswerberin ihre Überlegungen stützt, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die in Abschnitt VIb des BUAG geregelten zwingenden „Sonderbestimmungen für den Urlaub bei Entsendung“, die in diesem Bereich die Vorgaben der Entsende-RL 96/71/EG innerstaatlich umsetzen und den Geltungsbereich des BUAG in den höchst praxisrelevanten Fällen grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern in der Baubranche erweitern, nach ihrem Regelungsgegenstand als Eingriffsnormen iSd Art 7 EVÜ (Anmerkung: bzw nunmehr Art 9 Rom I-VO) unabhängig vom Arbeitsvertragsstatut für ausländische Entsender verbindlich sind. Diese Regelungen bewirken aber dann keine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit, wenn eine Doppelbelastung des Arbeitgebers für idente Beschäftigungszeiträume aufgrund zwingender urlaubsrechtlicher Normen des Entsendestaats vermieden wird (RIS‑Justiz RS0127279). Dies ist auch hier der Fall:

Im Entsendungsfall entsteht der Anspruch des Arbeitnehmers auf das Urlaubsentgelt nach § 33f Abs 1 BUAG – anders als bei der Beschäftigung nicht entsandter Arbeitnehmer im Inland (§ 8 Abs 1 Satz 1 BUAG) – nur im Ausmaß jener Anwartschaften, für die der Arbeitgeber die gemäß § 21 BUAG festgesetzten Zuschläge entrichtet (§ 33f Abs 2 Satz 1 BUAG). Dieser Anspruch richtet sich gegen die Urlaubs‑ und Abfertigungskasse (§ 33f Abs 2 Satz 2 BUAG). Will der Arbeitnehmer seinen Urlaub während der Entsendung verbrauchen, dann hat der Arbeitnehmer (oder der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer) unter Nachweis der Urlaubsvereinbarung den Anspruch auf das Urlaubsentgelt bei der Urlaubs‑ und Abfertigungskasse geltend zu machen (§ 33f Abs 3 Satz 1 und 2 BUAG). Das Urlaubsentgelt wird dann dem Arbeitnehmer von der Urlaubs- und Abfertigungskasse direkt ausbezahlt (§ 33f Abs 3 Satz 4 BUAG). All dies gilt auch für den Fall des Urlaubsverbrauchs durch den Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung der Entsendung, sofern das Arbeitsverhältnis mit dem entsendenden Arbeitgeber noch aufrecht ist (§ 33f Abs 3 Satz 5 BUAG).

Die im Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung auf das Urlaubsentgelt entfallenden Sozialversicherungs-beiträge und lohnabhängigen gesetzlichen Abgaben und Beiträge (Nebenleistungen) werden dem Arbeitgeber von der Urlaubs- und Abfertigungskasse vergütet. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber alle fälligen Zuschläge entrichtet hat (§ 26 Abs 1 Satz 1 und 2 BUAG).

Zufolge § 33f Abs 1 Satz 2 iVm § 8 Abs 8 Satz 2 BUAG hat die Urlaubs‑ und Abfertigungskasse dem Arbeitnehmer direkt das Netto-Urlaubsentgelt auszuzahlen und die auf das Urlaubsentgelt entfallende Lohnsteuer an das für die Urlaubs- und Abfertigungskasse zuständige Finanzamt sowie die Dienstnehmerbeiträge und die Dienstgeberbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und sonstige für andere Rechtsträger vom Krankenversicherungsträger einzuhebende Beiträge an die für das Beschäftigungsverhältnis zuständige Gebietskrankenkasse und sonstige lohnabhängige gesetzliche Abgaben abzuführen. Besteht für den Arbeitnehmer aufgrund der kurzen Dauer der Entsendung in Österreich keine Steuerpflicht, kann er beim Finanzamt in Österreich die Rückerstattung beantragen. Die Dienstnehmer- und Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung sind hingegen von der Urlaubs- und Abfertigungskasse an den im Ausland zuständigen Sozialversicherungsträger abzuführen, weil der entsandte Dienstnehmer regelmäßig im Sozialversicherungssystem seines Heimatstaats verbleibt (RV 972 BlgNR XXII. GP , 7; Wiesinger , BUAG § 33f Rz 9; Klinger , Praxiskommentar zum BUAG § 33f Seite 126).

Entgegen den Revisionsausführungen kommt es daher auch in Fällen des Urlaubsverbrauchs durch den Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung der Entsendung (§ 33f Abs 3 Satz 5 BUAG) zu keiner „Doppelbelastung“ des Arbeitgebers, wenn dieser die im BUAG normierte Vorgangsweise einhält. Lohnsteuer schuldet im Übrigen ohnehin nur der Arbeitnehmer, die Dienstnehmer- und Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung werden von der Urlaubs‑ und Abfertigungskasse an den im Ausland zuständigen Sozialversicherungsträger abgeführt.

Eine – in der Entscheidung 8 ObA 2/11v aufgezeigte, mit der Regelung des § 33h Abs 1a BUAG mittlerweile aber geschlossene – vergleichbare Lücke im System des BUAG bei Entsendung eines Arbeitnehmers im Inland liegt daher in der vorliegenden Konstellation nicht vor. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die zwischen der Beklagten und ihren entsandten Arbeitnehmern innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten nach Beendigung der Entsendung geschlossene Vereinbarung des „Urlaubs“, die nicht durch das BUAG abgedeckt sei, könne daher nur als eine freiwillige vertragliche Vereinbarung über die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts angesehen werden, wird in der außerordentlichen Revision nicht beanstandet. Dass aber durch eine solche freiwillige Vereinbarung die Verpflichtung zur Entrichtung der Zuschläge nach dem BUAG, bei denen es sich im Verhältnis zwischen Urlaubs‑ und Abfertigungskasse und Dienstgeber um eine Beitragsleistung an eine Körperschaft öffentlichen Rechts, also um öffentliche Abgaben handelt, nicht berührt wird, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 8 ObA 86/10w dargelegt.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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