European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00053.17B.1129.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die vormals Zweitbeklagte (das Verfahren gegen die ursprünglich Erstbeklagte ist rechtskräftig beendet) ist eine in Wien ansässige internationale Organisation. Zwischen der Beklagten und der Republik Österreich besteht ein Amtssitzabkommen, das auszugsweise lautet:
„ Artikel 2
Die Republik Österreich anerkennt die Rechtsfähigkeit des ***** als internationale Organisation in Österreich, insbesondere seine Fähigkeit:
a) Verträge abzuschließen;
b) unbewegliche und bewegliche Vermögenswerte zu erwerben und zu veräußern;
c) Gerichtsverfahren einzuleiten oder sich auf diese einzulassen; und
d) andere Handlungen zu setzen, die zur Erfüllung seines Zwecks und seiner Tätigkeit notwendig oder nützlich sind (...)
Artikel 5
Befreiung von Gerichtsbarkeit und anderen Maßnahmen
1. Das ***** ist mit Ausnahme der folgenden Fälle von Gerichtsbarkeit und Vollzugshandlungen befreit:
a) wenn das ***** gemäß Artikel 20 Absatz 2 dieses Abkommens in einem bestimmten Fall ausdrücklich auf eine solche Befreiung verzichtet hat;
b) wenn gegen das ***** durch Dritte eine zivilrechtliche Klage auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall (…) eingebracht wird;
c) wenn es aufgrund einer behördlichen oder richterlichen Entscheidung zu einer Pfändung der vom ***** an seine Mitarbeiter zu zahlenden Gehälter (…) kommt (…);
4. Im Hinblick auf Streitigkeiten zwischen dem ***** und privaten Parteien stimmt das ***** zu, dass diese von einem Schiedsgericht, das aus einem Einzelschiedsrichter besteht, der vom Generalsekretär des ständigen Schiedshofes in Übereinstimmung mit den relevanten Vorschriften über die Schiedsgerichtsbarkeit zwischen internationalen Organisationen und privaten Parteien ernannt wird, endgültig beigelegt werden. (...) “
Die Beklagte, die dabei durch ein Architektenbüro vertreten wurde, schloss im Jahre 2012 mit der Klägerin einen Werkvertrag über Elektroinstallationen, Beleuchtung und Medientechnik, in dem „ für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts in Wien “ vereinbart wurde. Die Klägerin stellte der Zweitbeklagten eine Haftrücklassgarantie einer Versicherungs AG zur Verfügung, in der unter anderem festgehalten ist: „Z ur Entscheidung über sämtliche sich aus dieser Garantie ergebenden Rechtsstreitigkeiten wird das für Wien Innere Stadt sachlich zuständige Gericht vereinbart “. Aufgrund der gegebenen Garantie wurde der Klägerin der Haftrücklassbetrag im Februar 2014 ausbezahlt.
Im Hauptverfahren begehrt die Klägerin, die Beklagte zum Widerruf des am 28. 9. 2016 getätigten Abrufs der Haftrücklassgarantie zu verpflichten, in eventu die Feststellung, dass der Garantieabruf durch die Beklagte rechtswidrig erfolgt sei. Sie verband die Klage mit dem hier gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, der Antragsgegnerin aufzutragen, den Garantieabruf zu widerrufen und sich jedweden weiteren Abrufs zu enthalten, ferner ihr zu verbieten, Zahlungen der Garantin aus der Garantie anzunehmen.
Das Erstgericht erließ die begehrte einstweilige Verfügung hinsichtlich der (damals Zweit-)Beklagten. Die Beklagte erhob gegen diese Entscheidung Widerspruch und berief sich darin auf ihre absolute Immunität als Internationale Organisation: Ein Ausnahmefall iSd Art 5 des anzuwendenden Amtssitzabkommens liege nicht vor. Im Übrigen sei die Zustellung der einstweiligen Verfügung nach § 11 Abs 2 ZustG mangelhaft geblieben.
Die Klägerin stützte sich im Widerspruchsverfahren auf Art 2 des maßgeblichen Amtssitzabkommens, welcher festhalte, dass die Republik Österreich die Rechtsfähigkeit der Beklagten anerkenne. Dies verschließe ihr eine Berufung auf die Immunität. Im Übrigen sei zwischen den Streitteilen vertraglich die Zuständigkeit des sachlich in Frage kommenden Gerichts in Wien vereinbart worden. Damit habe die Beklagte auch auf die Befreiung von der inländischen Gerichtsbarkeit iSd Art 5 Abs 1 lit a des Amtssitzabkommens verzichtet.
Das Erstgericht verwarf mit dem verfahrensgegenständlichen Beschluss die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit, wies den Widerspruch ab und bestätigte die einstweilige Verfügung. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass die im Werkvertrag sowie in der Garantie enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarungen als Verzicht auf die Immunität der Beklagten für den vorliegenden Streitfall zu werten seien.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluss sowie das vorangegangene Sicherungsverfahren als nichtig auf, wies den Sicherungsantrag zurück und erklärte einen ordentlichen Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung für nicht zulässig.
Die Beklagte genieße als internationale Organisation aufgrund ihres Amtssitzabkommens Immunität und sei nur in bestimmten Ausnahmefällen der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen. Ein solcher Tatbestand liege hier nicht vor.
Zwar enthalte das anzuwendende Abkommen die Möglichkeit des ausdrücklichen Verzichts auf die Immunität der Beklagten, ein solcher Verzicht sei aber weder dem (nur von einem Subunternehmer verfassten) Werkvertrag, noch der (im Auftrag der Klägerin erstellten, die Beklagte nur begünstigenden) Bankgarantie zu entnehmen. Es fehle die erforderliche ausdrückliche rechtsgeschäftliche Erklärung des Immunitätsverzichts durch ein statutarisch zur Vertretung der Beklagten nach außen bestelltes Organ der Beklagten. Eine bloß konkludente Handlung sei weder behauptet worden, noch würde sie im vorliegenden Fall ausreichen. Die Ermächtigung einer bestimmten dritten Person zum Abschluss eines Werkvertrags umfasse nicht automatisch die stellvertretende Ermächtigung zu einem Immunitätsverzicht.
Die Beklagte habe die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit auch nicht durch Einlassung in das Gerichtsverfahren verloren, habe sie doch von Anfang an auf die fehlende Prozessvoraussetzung verwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin vermag in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs gegen die Entscheidung des Rekursgerichts keine Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung (10 Ob 53/04y; 9 ObA 73/16z ua) ergibt sich die Befreiung internationaler Organisationen und ihrer Vermögen von nationaler Gerichtsbarkeit (Immunität) regelmäßig aus den einschlägigen internationalen Abkommen oder den zwischen ihnen und der Republik geschlossenen Amtssitzabkommen. Auf diese Weise sollen die internationalen Organisationen vor Eingriffen und Einflussnahmen durch die Organe einzelner Staaten geschützt werden (vgl RIS-Justiz RS0045442). Internationale Organisationen genießen insofern weitergehende Vorrechte als fremde Staaten, als ihre Immunität im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung grundsätzlich als absolut anzusehen ist (10 Ob 53/04y; 9 ObA 73/16z; RIS-Justiz RS0046275).
Die Frage, ob das Rekursgericht jene Bestimmungen des im vorliegenden Fall maßgeblichen Amtssitzabkommens zwischen der Beklagten und der Republik Österreich, die die Immunität der Beklagten und die Voraussetzung für deren Durchbrechung regeln, richtig ausgelegt hat, ist nicht von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung, zumal hier keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste.
Nach Art IX Abs 2 erster Fall EGJN ist zur Abgabe einer Verzichtserklärung auf die Immunität in Bezug auf eine internationale Organisation deren zur Vertretung nach außen befugtes Organ befähigt. Der Verzicht muss eindeutig sein, und zwar unabhängig von seiner sonstigen Form. Nach dem hier anwendbaren Abkommen ist zusätzlich Ausdrücklichkeit und nicht bloß allfällige Konkludenz zur Wirksamkeit erforderlich (ua Matscher in Fasching/Konecny 3 Art IX EGJN Rz 141, 144; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht 7 Rz 500).
Das Rekursgericht ist im vorliegenden Fall ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum vom Fehlen dieser Voraussetzungen ausgegangen. Dem vermag auch die Revision nichts Substantielles entgegenzusetzen. Für dieses Ergebnis kommt es nicht darauf an, ob die weitere Begründung des Berufungsgerichts, dass die Vertragswerke überdies nicht von einem vertretungsberechtigten Organ der Beklagten genehmigt worden seien, eine die Klägerin überraschende Rechtsansicht darstellte. Dieser Einwand bedarf daher keiner weiteren Behandlung.
Im Rahmen des zur Besicherung allfälliger Gewährleistungsansprüche begründeten Garantieverhältnisses war die Beklagte lediglich Begünstigte. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass darin vom Garanten aufgenommene Gerichtsstandsklauseln von vornherein keinen ausdrücklichen Immunitätsverzicht der Beklagten gegenüber der Klägerin begründen könnten, ist nicht korrekturbedürftig. Davon ganz abgesehen betrifft das vorliegende Verfahren überhaupt keinen Streit aus diesem Garantieverhältnis. Der Klagsanspruch wird vielmehr auf die Behauptung gestützt, dass keine den Garantieabruf rechtfertigenden Gewährleistungsansprüche aus dem Werkvertragsverhältnis bestünden.
Entgegen der Ansicht der Klägerin steht die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts auch mit Artikel 20 Z 2 des Amtssitzabkommens im Einklang, worin sich das beklagte ***** verpflichtet hat, „ auf die Immunität zu verzichten, wenn es der Auffassung ist, dass diese Immunität den normalen Gang der Rechtspflege behindern würde und dass ein solcher Verzicht die Interessen des Zentrums nicht beeinträchtigt “. Diese Bestimmung legt die Erklärung eines Immunitätsverzichts in das (praktisch kaum erkennbar) gebundene Ermessen der Beklagten, ersetzt aber keinesfalls die tatsächliche Verzichtsausübung. Grundsätzlich verfolgt das Einräumen von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen legitime Ziele und kann auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht dazu führen, eine internationale Organisation zu zwingen, sich der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit unterwerfen zu müssen (EGMR 18. 2. 1999, Bsw 26083/94).
Im vorliegenden Fall hat die beklagte Organisation in Artikel 5 Z 4 des Amtssitzabkommens zugestimmt, dass Streitigkeiten zwischen ihr und Privaten vor einem Schiedsgericht beigelegt werden. Das Argument der Revisionswerberin, ihr verbleibe im Fall der Bejahung der Immunität der Beklagten überhaupt keine Möglichkeit, ihre Ansprüche auf den Haftrücklass durchzusetzen, ist daher unzutreffend.
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