OGH 9ObA73/16z

OGH9ObA73/16z18.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Widukind Nordmeyer und Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei IAEA International Atomic Energy Agency, *****, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert: 28.480,14 EUR sA), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. April 2016, GZ 10 Ra 112/15m‑20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00073.16Z.0818.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der beklagten Internationalen Atomenergie‑Organisation kommt nach Art VIII Abschnitt 19 ihres Amtssitzabkommens, BGBl 1958/82, Immunität zu. Über Ersuchen des Erstgerichts teilte das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres mit Schreiben vom 10. 6. 2015 mit, dass die Beklagte in einer Stellungnahme ausdrücklich ihre Immunität von der inländischen Gerichtsbarkeit geltend gemacht habe (ON 6). Die Klägerin stellt dies nicht in Frage, will die Beklagte aber dennoch der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen wissen, weil ihr sonst für die dienstrechtlichen Ansprüche aus ihrer Anstellung bei der Beklagten mit dem Generaldirektor der Beklagten als Entscheidungsorgan 1. Instanz und dem Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILOAT) als Berufungsinstanz kein Art 6 EMRK entsprechender Rechtsschutz zur Verfügung stehe.

Die Vorinstanzen sahen keinen ausreichenden Grund, den Verzicht der Beklagten auf die Immunität unbeachtet zu lassen und wiesen die vorliegende Klage wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Der von der Klägerin nach der Klagezurückweisung durch das Erstgericht an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Antrag, Art VIII Abschnitt 19 – in eventu nur dessen ersten Satz – des Amtssitzübereinkommens als verfassungswidrig festzustellen, wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. 2. 2016, SV 2/2015, zurückgewiesen.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1. In der Rechtsprechung wurde bereits mehrfach (10 Ob 53/04y ua) ausgeführt, dass sich die Befreiung internationaler Organisationen und ihrer Vermögen von nationaler Gerichtsbarkeit (Immunität) regelmäßig aus den einschlägigen internationalen Abkommen oder den zwischen ihnen und der Republik geschlossenen Abkommen (Amtssitzabkommen) ergibt. Auf diese Weise sollen die internationalen Organisationen vor Eingriffen und Einflussnahmen durch die Organe einzelner Staaten geschützt werden (vgl RIS‑Justiz RS0045442). Internationale Organisationen genießen weitergehende Vorrechte als fremde Staaten. Während ausländische Staaten nach innerstaatlichem Recht und herrschendem Völkerrecht nur für hoheitliches Handeln, nicht jedoch im Rahmen ihrer Eigenschaft als Privatrechtsträger Immunität genießen, ist die Immunität internationaler Organisationen im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung grundsätzlich als absolut anzusehen (10 Ob 53/04y; RIS‑Justiz RS0046275).

Die unterschiedliche Behandlung fremder Staaten und internationaler Organisationen in der innerstaatlichen Rechtsordnung erklärt sich daraus, dass infolge des funktionellen Charakters der Rechtspersönlichkeit jeder internationalen Organisation alle ihre Handlungen eng mit ihrem Organisationszweck in Verbindung stehen müssen (Seidl‑Hohenveldern/Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften7 Rz 1908 ua). Die Immunität stellt bloß eine verfahrensrechtliche Schranke für die Rechtsdurchsetzung dar, sie ändert jedoch nichts an der Geltung des materiellen Rechts. Im besonderen Fall ist ein Verzicht auf die Immunität durch den administrativen Leiter der internationalen Organisation möglich (s 10 Ob 53/04y mwN). Ein solcher Verzicht liegt hier aber nicht vor.

2. Die von der Klägerin an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Gesetzesbeschwerde im Anschluss an die Klagezurückweisung wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit durch das Erstgericht blieb ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für die amtswegige Einleitung eines Normprüfungsverfahrens bestanden beim Verfassungsgerichtshof offenkundig nicht. Die Parteien haben kein Antragsrecht in Bezug auf eine Normenanfechtung durch die Gerichte (s RIS‑Justiz RS0056514). Zu einer weiteren amtswegigen Anfechtung sah das Rekursgericht keinen Grund. Dass es dabei sein pflichtgemäßes Ermessen überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Damit gehört Art VIII Abschnitt 19 des Amtssitzabkommens aber zum aufrechten Normenbestand, der nach dem Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 B‑VG auch die Gerichte bindet (s nur Mayer/Muzak, B‑VG5 I. 2).

3. Das mögliche Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot der Wahrung der Immunität und dem Grundrecht auf Zugang zu Gericht wurde bereits in der – die Klage gegen ein ausländisches Staatsoberhaupt betreffenden – Entscheidung 7 Ob 316/00x angesprochen und dazu festgehalten, nur wenn eine derartige Klage im Heimatland des Staatsoberhaupts – etwa aus verfahrensrechtlichen Gründen – „versperrt und abgeschnitten“ wäre, würden die grundrechtlichen Aspekte jene des Völkerrechts überlagern und damit eine Exemtion kraft Immunität allenfalls verdrängen (können). Nur in einem solchen Fall könnte aus menschenrechtlichen Justizgewährleistungspflichten ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung resultieren, hinter dem die Immunitätsregeln unter Umständen zurückzutreten hätten. Einen derart gravierenden Einschnitt behauptet die Klägerin nicht. Weitere Ausführungen zu diesem Thema sind daher hier nicht erforderlich.

4. Die Klägerin verweist auf das Urteil des EGMR vom 18. 2. 1999, Waite & Kennedy vs Germany, Bsw 26083/94, 28934/95. Nach diesem ist eine Beschränkung des Zugangs zu einem Gericht dann nicht mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar, wenn sie nicht ein legitimes Ziel verfolgt und die verwendeten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem vernünftigen Verhältnis stehen, wofür entscheidend ist, ob dem Beschwerdeführer eine vernünftige Alternative für die wirksame Durchsetzung seiner Rechte zur Verfügung stand. Selbst daraus geht aber nicht hervor, dass ein staatliches Gericht unter Missachtung des Legalitätsprinzips die Immunität einer internationalen Organisation außer Acht zu lassen hätte. Derartiges ist auch aus der Entscheidung des EGMR vom 6. 1. 2015, Perez gg Deutschland,Bsw 215521/08, nicht ableitbar.

5. Soweit die Klägerin meint, die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung des deutschen BVerfG vom 10. 11. 1981, 2 BvR 1058/79 – in der das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation als echtes Rechtsprechungsorgan angesehen wurde –, sei überholt, übergeht sie die Entscheidung des deutschen BVerfG vom 3. 7. 2006, 2 BvR 1458/03, in der dieser keinen Anlass zum Abgehen von seiner bisherigen Rechtsprechung sah (zu weiteren, diese Rspr bestätigenden Entscheidungen s Ullrich, Die Immunität internationaler Organisationen von der einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit, ZaöRV 71/2011, 157, 158 Fn 9).

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist danach zurückzuweisen.

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