European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00028.17H.0927.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger war von 19. 2. 2015 bis 30. 11. 2015 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Angestellte in Unternehmen im Bereich Dienstleistungen in der automatisierten Datenverarbeitung und Informationstechnik („IT‑KV“) anzuwenden. Als Bruttomonatsentgelt war ein Fixum in Höhe von 3.801 EUR zuzüglich einer allfälligen Prämie und dem Sachbezug für die Privatnutzung des Firmen‑Pkws in Höhe von 511,50 EUR vereinbart.
Der Arbeitsvertrag enthält unter anderem folgende Regelungen:
„ 6. Einstellung und Entgelt
(…)
Insofern der tatsächliche Bezug (Fixum, Prämie und Sachbezug für die Privatnutzung des Firmen‑Pkws) des Arbeitnehmers das kollektivvertragliche Gehalt übersteigt, sind damit sämtliche Mehrleistungen, insbesondere Mehr‑/Überstunden, geleistete Arbeit an Samstagen und Sonn‑/Feiertagen, pauschal abgegolten und werden nicht gesondert verrechnet.
(…)
7. Arbeitszeit
(…)
7.2. Der Gleitzeitrahmen ist jene Zeitspanne, innerhalb welcher der Beginn und das Ende der Arbeitszeit unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse grundsätzlich frei gewählt werden kann. Der Gleitzeitrahmen wird von 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr festgelegt. Arbeitsleistungen außerhalb des Gleitzeitrahmens sind nur nach vorheriger ausdrücklicher Anordnung durch den Arbeitgeber gestattet.
(…)
7.7. Die Gleitzeitperiode beträgt 12 Monate und ist mit dem Kalenderjahr identisch.
7.8. Das zum Ende der Gleitzeitperiode bestehende Zeitguthaben ist mit dem in Punkt 6. vereinbarten All‑in‑Gehalt zur Gänze abgegolten.
(…)
15. Verfall von Ansprüchen
Für den Verfall von Ansprüchen auf Reisekosten und Reiseaufwandsentschädigung gilt § 8 Abs 5 lit a des anzuwendenden Kollektivvertrages. Für den Verfall von Überstundenentgelten gilt § 5 Z I Abs 1 des anzuwendenden Kollektivvertrags.
Alle übrigen Ansprüche aus dem gegenständlichen Dienstvertrag sind bei sonstigen Verfall binnen drei Monaten ab Fälligkeit beim Arbeitgeber schriftlich geltend zu machen. “
Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens der Beklagten zum 30. 11. 2005. Insgesamt hat der Kläger 3.776,30 EUR brutto Überzahlung gegenüber dem Kollektivvertragslohn erhalten.
Während aufrechtem Dienstverhältnis erfolgte vom Kläger keine Geltendmachung von Entgelt für allfällige darüber hinaus geleistete Überstunden.
Der Kläger begehrt Zahlung von 3.831,93 EUR sA und bringt vor, es handelt sich dabei um das Entgelt für von ihm geleistete Überstunden und Mehrarbeit, die nicht durch die überkollektivvertragliche Bezahlung abgegolten seien. Aufgrund der getroffenen All‑in‑Vereinbarung sei es frühestens am Ende des Dienstverhältnisses erkennbar gewesen, ob und in welchem Ausmaß Überstunden, die diese Vereinbarung übersteigen, angefallen seien. Die Verfallsfrist habe erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen. Ein Verfall sei daher nicht eingetreten.
Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass der Kläger bis Oktober 2015 37,98 Überstunden geleistet habe, das dafür zustehende Entgelt von 1.514,28 EUR finde in der Überzahlung im Rahmen der All‑in‑Vereinbarung Deckung. Durchrechnungszeitraum für die Überstunden sei dabei mangels abweichender Vereinbarung das Kalenderjahr. Der Kläger habe während aufrechtem Dienstverhältnis keinen Einspruch gegen die Arbeitsaufzeichnungen der Beklagten, die von ihm selbst geführt worden seien, erhoben. Aus dem Kollektivvertrag ergebe sich, dass die Abgeltung allfällig geleisteter Überstunden binnen vier Monaten nach dem Tag der Überstundenleistung geltend gemacht werden müssten, widrigenfalls die Ansprüche verfallen. Ansprüche bis zum 1. 10. 2015 seien erstmals mit Schreiben durch die Arbeiterkammer vom 1. 2. 2016 erhoben und beziffert worden. Ansprüche für Oktober 2015 seien erstmals im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 17. 5. 2016 behauptet worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich führte es aus, dass eine Pauschalentlohnung von Überstunden den Arbeitnehmer nicht hindern könne, darüber hinausgehende Ansprüche zu erheben, wenn und soweit sein unabdingbarer gesetzlicher Anspruch dadurch nicht gedeckt sei. Allerdings enthalte der IT‑KV die Regelung, dass binnen vier Monaten nach dem Tag der Überstundenleistung die Entlohnung bzw deren Abgeltung in bezahlter Freizeit geltend gemacht werden müsse, ansonsten der Anspruch verfalle. Als Geltendmachung von Überstunden bzw Gutstunden würden im IT-KV betriebliche Arbeitsaufzeichnungen genannt. Es sei davon auszugehen, dass darüber hinaus der Dienstnehmer auch mit eigenen Aufzeichnungen Überstundenentgelt geltend machen könne. Außer für 1. 10. 2015 habe der Kläger aber keine Überstundenabgeltung fristgerecht gefordert. Die an diesem Tag geleisteten Überstunden seien aber durch die Überzahlung abgegolten.
Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht nicht Folge. Würden, wie vom Kläger behauptet, die geleisteten Mehr‑ und Überstunden erst innerhalb von vier Monaten nach einem einjährigen Beobachtungszeitraum bekanntgegeben werden müssen, würde dies dem mit der Verfallsklausel allgemein beabsichtigten Zweck der Verhinderung des bei verspäteter Geltendmachung entstehenden Beweisnotstands des Arbeitgebers widersprechen. Es sei daher auch für Pauschalvereinbarungen davon auszugehen, dass Mehr‑ und Überstunden innerhalb von vier Monaten ab dem Tag der Erbringung geltend zu machen seien. Nach Ablauf des Beobachtungszeitraums sei zu überprüfen, ob diese Stunden in der Pauschale bzw der All‑in‑Vereinbarung gedeckt seien. Ein allenfalls bestehender Anspruch unterliege dann seinerseits der Verfallsfrist, die jedoch frühestens mit Abrechenbarkeit beginne. Der Sachverhalt der Entscheidung 9 ObA 166/13x sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, weil sich die geleisteten Mehr‑ und Überstunden dort aus den für den Arbeitgeber geführten Arbeitszeitaufzeichnungen ergeben hätten, die für den Arbeitgeber jederzeit verfügbar gewesen seien. Der Kläger habe aber Ansprüche erstmals mit Schreiben vom 1. 2. 2016 geltend gemacht, damit sei aber nur von einer ordnungsgemäßen Geltendmachung von Stunden für den 1. 10. 2015 auszugehen, die in der Überzahlung Deckung fänden. Ansprüche für die Zeit nach dem 1. 10. 2015 seien überhaupt erstmals mit 17. Mai 2015 bekanntgegeben worden und daher jedenfalls verfallen.
Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, da der Auslegung von Kollektivverträgen grundsätzlich eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme.
Gegen die Abweisung eines Betrags von 3.371,43 EUR wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Revision wendet sich ausschließlich gegen die Abweisung von Ansprüchen für im Zeitraum 17. Februar 2015 bis 1. Oktober 2015 geleistete Überstunden. Diese seien nicht verfallen, da die Verfallsfrist erst ab Ende des Durchrechnungszeitraums beginne.
1. Der IT‑KV enthält nachstehende Regelung:
„ § 5 Überstunden, Sonn‑ und Feiertagsarbeit, Mehrarbeit bei Teilzeit
I. Generelle Regelungen (unabhängig vom Arbeitszeitmodell):
1. Als Überstunde gilt jede ausdrücklich angeordnete Arbeitsstunde, durch die das Ausmaß der jeweiligen kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit (§ 4 [I] 1) und unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 4 II festgesetzten täglichen Normalarbeitszeit überschritten wird (…)
Die Überstundenentlohnungen bzw deren Abgeltung in bezahlter Freizeit müssen binnen vier Monaten nach dem Tage der Überstundenleistung geltend gemacht werden, widrigenfalls der Anspruch verfällt. Als Geltendmachung von Überstunden bzw Gutstunden gelten die betrieblichen Arbeitszeitaufzeichnungen.
…
5. Wird ein Überstundenpauschalentgelt oder eine All‑inclusive‑Vereinbarung getroffen, so hat für die Berechnung der monatlichen Pauschalsummen der Grundsatz zu gelten, dass sie der durchschnittlich geleisteten Überstundenzahl entspricht, wobei die Überstundenzuschläge ebenfalls einzurechnen sind.
Bei diesen Vereinbarungen ist das Überstundenpauschale entweder betragsmäßig oder in Form der Stundenanzahl auszuweisen. “
2. Sowohl der Kläger als auch das Berufungsgericht beziehen sich in ihren Ausführungen auf die Entscheidung 9 ObA 166/13x. In dieser war eine Verfallsbestimmung im Kollektivvertrag für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting zu beurteilen. Auch in diesem Kollektivvertrag war vorgesehen, dass der Arbeitnehmer bei sonstigem Verfall Entgeltansprüche binnen vier Monaten nach dem Tag der Überstundenleistung geltend gemacht werden müssen. In seiner Entscheidung ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass unzweifelhaft der kollektivvertraglich vorgesehene Beginn des Fristenlaufs („nach dem Tag der Überstundenleistung“) auf die Geltendmachung von Entgelt für geleistete Überstunden bezogen werden könne, für die keine Pauschale vereinbart wurde. Im Fall der Vereinbarung einer Überstundenpauschale könne für den Beginn der Verfallsfrist für Überstunden aber frühestens jener Zeitpunkt in Frage kommen, zu dem die Überstunden eines Beobachtungszeitraums abrechenbar seien. Mangels Vereinbarung eines kürzeren Zeitraums sei dieser Beobachtungszeitraum mit einem Kalenderjahr anzunehmen.
Das Berufungsgericht sah den Unterschied zwischen dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und dem vorliegenden darin, dass die geleisteten Überstunden für den Arbeitgeber aufgrund der Aufzeichnungen immer nachvollziehbar gewesen seien.
Dem Berufungsgericht ist darin Recht zu geben, dass der Zweck der Verfallsfrist für Überstundenentgelt vor allem darin liegt, dass bei Geltendmachung des Entgelts für längere zurückliegende Überstunden regelmäßig schwierige Beweisprobleme auftreten (RIS‑Justiz RS0034408, RS0034417). Das Berufungsgericht übersieht jedoch, dass die kollektivvertragliche Bestimmung vorsieht, dass der Arbeitnehmer die Überstundenentlohnung bzw deren Abgeltung in bezahlter Freizeit binnen vier Monaten geltend machen muss, nicht den bloßen Umstand, dass Überstunden geleistet wurden.
Anders als bei der Einzelabrechnung von Überstunden sind pauschale Abgeltungsvereinbarungen nur insoweit gültig, als die zwingenden kollektivvertraglichen Ansprüche des Arbeitnehmers nicht gekürzt werden dürfen. Es ist daher im Rahmen einer Deckungsprüfung zu überprüfen, ob eine Überzahlung mit der zeitliche Mehrleistungen abgegolten sein sollten, der Höhe nach die vom Arbeitnehmer geleisteten Überstunden zuzüglich der Zuschläge abdeckt ( Kühteubl , DRdA 2014/52). Erst am Ende des Beobachtungszeitraums lässt sich daher feststellen, ob ein Nachzahlungsanspruch besteht ( Burger , All‑ín‑ Vereinbarungen, ZAS 2015, 111).
Auch in der Entscheidung 9 ObA 166/13x wurde darauf hingewiesen, dass für die Geltendmachung von Überstunden, die in Durchschnittsbetrachtung nicht mehr von einer Pauschale abgedeckt werden, zu berücksichtigen ist, dass erst nach Beendigung des Beobachtungszeitraums errechnet werden kann, ob überhaupt Überstunden vorliegen, die neben einer Pauschale noch gesondert zu entlohnen sind. Vernünftigen Kollektivvertragsparteien kann aber nicht unterstellt werden, dass die Verfallsfrist auch für die Entlohnung dieser Überstunden bereits zu einem Zeitpunkt zu laufen beginnen soll, in dem die Berechtigung des Anspruchs noch nicht feststellbar ist.
Würde man vom Arbeitnehmer verlangen, auch bei einer Pauschalvereinbarung die bloße Tatsache, dass eine Überstunde geleistet wurde, bei sonstigem Verlust von Ansprüchen binnen vier Monaten geltend zu machen, hätte die Unterlassung der Geltendmachung die Konsequenz, dass Ansprüche auf Entgelt bereits verfallen können, bevor sie entstanden sind. Ein solches Ergebnis lässt sich aber weder mit dem Wortlaut des Kollektivvertrags noch mit dem Zweck einer leichteren Beweisbarkeit für den Arbeitgeber rechtfertigen.
Bei einer Pauschalvereinbarung kann daher die Frist für den Verfall von Überstundenentgelt nicht vor dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem ein Anspruch erstmals geltend gemacht werden kann. In der Regel ist dieser Zeitpunkt mit dem Ende des Durchrechnungszeitraums anzusetzen. Dieser ist mangels anderer Vereinbarung das Kalenderjahr (RIS‑Justiz RS0051788; Peschek/Unterrieder , Arbeitszeitaufzeichnungen und Verfall seit dem ASRÄG 2014, ecolex 2015, 230; Gerhartl , Rechtsfragen des Überstundenpauschales, ecolex 2015, 1085)
Dass im konkreten Fall ein anderer Durchrechnungszeitraum, als ein Jahr vereinbart worden wäre oder aus besonderen Umständen anzunehmen ist, hat keine der Parteien behauptet, im Gegenteil hat sich die Beklagte selbst auf den einjährigen Durchrechnungszeitraum bezogen.
Davon ausgehend ließ sich aber für den Kläger ein allfälliger Anspruch auf Überstundenentgelt, das nicht von der All‑in‑Vereinbarung abgedeckt ist, erst mit Ende des (kürzer als ein Jahr dauernden) Arbeitsverhältnisses beurteilen und ist der Beginn der Verfallsfrist daher mit diesem Datum anzusetzen.
Damit waren aber die noch verfahrensgegenständlichen Ansprüche zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung mit Schreiben vom 1. 2. 2016 noch nicht verfallen. Richtig hat das Erstgericht ausgeführt, dass die Regelung im Kollektivvertrag, dass die betrieblichen Arbeitszeitaufzeichnungen als Geltendmachung gelten, eine Erleichterung für den Arbeitnehmer darstellt, da er diese Überstunden nicht noch einmal gesondert fordern muss, aber eine andere Form der Geltendmachung nicht ausschließt.
Da das Erstgericht ausgehend von seiner, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht des Verfalls der Ansprüche keine Feststellungen zum Umfang der geleisteten Überstunden getroffen hat, kann aber derzeit der Anspruch des Klägers nicht abschließend beurteilt werden.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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