OGH 6Ob46/17h

OGH6Ob46/17h7.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

 Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Landeshauptstadt Linz, 4020 Linz, Hauptplatz 1, vertreten durch o. Univ.-Prof. Dr. Bruno Binder und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. A*****, 2. K*****, 3. J*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 Cg 1/09a des Landesgerichts Linz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 8. Februar 2017, GZ 6 R 4/17a‑8, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 5. August 2016, GZ 1 Cg 99/16y‑2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00046.17H.0707.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt mit der am 18. 7. 2016 eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 Cg 1/09a des Erstgerichts, in dem sie zur Zahlung eines Schadenersatzes von 100.000 EUR an die Beklagten verurteilt wurde. Dem lag zugrunde, dass eine Zeichnung von Egon Schiele, die die Rechtsvorgängerin der Beklagten, O*****, der von der Klägerin betriebenen Neuen Galerie im Jahr 1951 als Leihgabe übergeben hatte, dort verloren gegangen war. Sie habe am 20. 6. 2016 einen eingeschriebenen Brief von C***** – der unmittelbaren Rechtsvorgängerin der Beklagten – vom 21. 11. 1990 und einen Aktenvermerk vom 7. 12. 1990 des Direktors der Neuen Galerie, P*****, und des Kulturdirektors Mag. J***** aufgefunden. Mit dem Brief habe C***** die Leihe aufgekündigt. Zudem habe die Klägerin durch die aufgefundenen Urkunden auch erfahren, dass das Bild nie in der Neuen Galerie vorhanden gewesen sei, dass P***** zwischen 21. 11. und 7. 12. 1990 telefonisch die Situation mit der Berechtigten besprochen habe und dass die Berechtigte vom 21. 11. 1990 bis 13. 3. 2006 keine Ansprüche an die Klägerin herangetragen habe. Daran, dass die Urkunden erst nach der rechtskräftigen Prozessbeendigung aufgefunden worden seien, treffe sie kein Verschulden, weil sie aufgrund des Briefes des Drittbeklagten vom 13. 3. 2006 mehrfach an jeder erdenklichen Stelle alle auf den Vorgang möglicherweise bezughabenden Akten im Archiv der Stadt und auch im Lentos Kunstmuseum und im Nordico durchsucht habe. Am Nachmittag des 20. 6. 2016 habe die Vizedirektorin des Lentos Kunstmuseum in einer mit dem Verfahrensgegenstand nicht zusammenhängenden Angelegenheit nach alten Korrespondenzen gesucht. Dabei seien ihr, zusammenhanglos eingeordnet in einen Ordner aus dem Jahr 1990, die beiden Urkunden neben Kopien der Übernahmebestätigungen vom Jahr 1951 untergekommen.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage sofort zurück, weil die aufgefundenen Urkunden auch im früheren Verfahren zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis geführt hätten und die Wiederaufnahmsklägerin mit der verspäteten Auffindung ihre Diligenzpflicht verletzt habe. Von einer Landeshauptstadt mit eigenem Statut und ihrem Museum sei zu verlangen, wesentliche Urkunden wie die Korrespondenz über geliehene Bilder so aufzubewahren, dass sie im Prozess auffindbar sind.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Im Vorprozess habe die Klägerin die kurze Verjährung nach § 1489 ABGB nicht eingewendet. Auch die aufgefundenen Urkunden böten für die kurze Verjährung keine Tatsachengrundlage, weil das darin dokumentierte Inaussichtstellen von Recherchen durch P***** gegenüber der Berechtigten kein Zugeständnis des Verlusts des Kunstwerks bedeute. Der bloße Verdacht, dass die Klägerin die Leihgabe verloren habe könnte, ersetze nicht die Kenntnis des Geschädigten vom Schaden. Außerdem sei die Klägerin schon nach ihrem Vorbringen nicht ohne ihr Verschulden außer Stande gewesen, die neuen Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess geltend zu machen. Das geschilderte „zusammenhanglose Einordnen“ genüge nicht den mindesten, an eine ordnungsgemäße Museumsverwaltung, zumal einer Landeshauptstadt, zu stellenden Sorgfaltsanforderungen. Schon im Jahr 1990 sei nicht schwer zu erkennen gewesen, dass die mangelnde Auffindbarkeit einer Leihgabe, zumal eines Werks eines namhaften Künstlers, in hohem Maß die Gefahr einer Haftung und die Gefahr eines Rechtsstreits in sich berge. In dieser Situation habe die Klägerin mit der Möglichkeit rechnen müssen, eines Tages geklagt zu werden und alle Beweismittel parat haben zu müssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Wiederaufnahmsklägers ist zulässig und berechtigt. Das Revisionsrekursverfahren ist einseitig, weil die Wiederaufnahmsklage schon vor Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde. Der angefochtene Beschluss ist im Hinblick auf § 528 Abs 2 Z 2 zweiter Halbsatz ZPO nicht jedenfalls unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0125126).

1. Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO). Wegen dieser Umstände ist die Wiederaufnahme aber nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Das Gericht hat vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung zu prüfen, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§ 529 bis 531 ZPO) gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse oder ist die Klage wegen anderer, hier nicht relevanter Gründe unzulässig, so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet durch Beschluss zurückzuweisen (§ 538 Abs 1 ZPO).

2. Die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage kommt dann in Betracht, wenn die neuen Tatsachenbehauptungen und Beweismittel zu keiner Änderung der (früheren) Entscheidung führen können (6 Ob 30/09v = RIS‑Justiz RS0044411 [T15]).

a) Im Vorprüfungsverfahren ist die Frage, ob die als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend gemachten Umstände ersichtlich von vornherein keinen Einfluss auf die Entscheidung in der Hauptsache haben können, nur abstrakt zu prüfen. Eine konkrete Prüfung des neuen Beweismittels auf seinen Beweiswert hat im Vorprüfungsverfahren nicht zu erfolgen. Beruft sich ein Wiederaufnahmskläger auf das Auffinden neuer Beweismittel, kommt eine Zurückweisung im Vorprüfungsverfahren nur in Betracht, wenn das Beweismittel absolut ungeeignet ist, eine maßgebliche Änderung der Tatsachengrundlage herbeizuführen. Eine über eine solche „eingeschränkte Beweiswürdigung“ hinausgehende Beurteilung des Beweiswerts der neuen Beweismittel hat hingegen im Vorprüfungsverfahren nicht stattzufinden (RIS‑Justiz RS0044510, RS0036544 [T2, T3,T4]; auch RS0044510[T9]).

b) Der Anspruch des Verleihers auf Rückgabe der Sache selbst verjährt in 30 Jahren (6 Ob 129/10d). Der Entlehner haftet dem Verleiher für den verschuldeten Verlust der geliehenen Sache (RIS‑Justiz RS0019034). Der aus verschuldetem Untergang oder Verlust der entliehenen Sache entstehende Ersatzanspruch verjährt gemäß § 1489 ABGB zwar grundsätzlich in drei Jahren (6 Ob 14/98x). Bei Verletzung vertraglicher Leistungsansprüche tritt die Verjährung des Entschädigungsanspruchs aber erst ein, wenn der Leistungsanspruch fällig ist, die Unmöglichkeit tatsächlich eintritt und diese Unmöglichkeit vom Schuldner erklärt oder bei zwangsweiser Durchsetzung des Leistungsanspruchs festgestellt wurde (RIS‑Justiz RS0034369; zuletzt 8 Ob 26/14b).

c) Ein für die Wiederaufnahmsklägerin günstigeres Ergebnis setzt im vorliegenden Fall voraus, dass sie die Bilder nie hatte bzw der Rechtsvorgängerin der Wiederaufnahmsbeklagten der Verlust bzw das Nichtvorhandensein des geliehenen Werks mitgeteilt wurde. Die Klägerin behauptet in ihrer Wiederaufnahmsklage dazu, dass die Bilder niemals, somit auch nicht am 21. 11. 1990, in der Neuen Galerie vorhanden gewesen seien und der damalige Direktor aus Anlass des Kündigungsschreiben „die Situation“ (gemeint wohl: die Bilder sind nicht vorhanden) mit C***** besprochen habe. Der interne Aktenvermerk ist abstrakt dazu geeignet zu beweisen, dass die Rechtsvorgängerin darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass sich die Werke nicht (mehr) im Bestand des Museums befinden. Bei dem von den Vorinstanzen gezogenen Schluss, der ehemalige Museumsdirektor P***** habe C***** lediglich Recherchen in Aussicht gestellt, handelt es sich um eine im Vorprüfungsverfahren nicht vorzunehmende Beweiswürdigung. Eine andere Auslegung des Inhalts des Schreibens ist durchaus denkbar.

3. Ob den Wiederaufnahmskläger ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Kenntnis der neuen Beweismittel trifft, ist grundsätzlich im Vorprüfungsverfahren nicht zu klären. Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Klägers iSd § 530 Abs 2 ZPO ist nur dann möglich, wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen in der Klage ergibt oder wenn der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich war (RIS‑Justiz RS0044639, RS0044558).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die prozessuale Diligenzpflicht betrifft nicht ein Verhalten außerhalb des Vorprozesses. Niemand ist verpflichtet, sich darum zu kümmern, ob ein Dritter beabsichtigt, gegen ihn eine Klage einzubringen, oder eine Klage eingebracht hat (RIS‑Justiz RS0044570). Die Partei ist nicht dazu angehalten, Urkunden auch an Orten zu suchen, an denen sie nicht vermutet werden können (RIS‑Justiz RS0044533 [T7]). Eine etwaige mangelhafte Organisation des Museums im Jahr 1990 spielt bei der Beurteilung des Verhaltens der Partei im Vorprozess keine Rolle. Die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, es sei bereits im Jahr 1990 nicht schwer zu erkennen gewesen, dass die mangelnde Auffindbarkeit einer Leihgabe in hohem Maß die Gefahr einer Haftung und eines Rechtsstreits in sich barg, ist im derzeitigen Verfahrensstadium eine bloße Mutmaßung. Es ist nicht vorgebracht, wie die Angelegenheit zwischen dem Museum und C***** endete. Denkbar ist zB, dass die Gespräche mit C***** zu einer einvernehmlichen Lösung führten. Auch dadurch ließe sich erklären, weshalb der Angelegenheit keine Bedeutung beigemessen wurde und sie in Vergessenheit geriet. Dies unterliegt allerdings der Beweiswürdigung zur Frage des Verschuldens, die nicht im Vorprüfungsverfahren zu klären ist.

4. Bei dieser Sachlage ist eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsverfahren gemäß § 538 ZPO nicht zulässig. Vielmehr ist in mündlicher Verhandlung ein entsprechendes Beweisverfahren durchzuführen und sind sodann die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen festzustellen. Es war daher wie aus dem Spruch ersichtlich vorzugehen.

5. Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.

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