OGH 21Os4/16w

OGH21Os4/16w27.6.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 27. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Vavrovsky und Dr. Pressl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung der Beschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Salzburg vom 6. Juli 2016, GZ AIDIMA/D‑03‑950.499, D‑04‑950.501‑30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Dr. Kozak zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0210OS00004.16W.0627.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Erkenntnis im Strafausspruch aufgehoben und in Neubemessung der Geldbuße über die Beschuldigte eine solche von 2.000 Euro verhängt.

Mit ihrer Berufung wegen Strafe wird sie auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Dem rudimentären, hier durch Hinweise auf die Entscheidungsgründe verdeutlichten (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 15) – Spruch zufolge hat sie

1. („zu D‑03“)

a) [zu ergänzen: am 22. Oktober 2014 gegenüber Mitarbeitern des Mutter‑Kind‑Heimes Salzburg sowie am 5. November 2014 im Pflegschaftsverfahren AZ 41 Ps 182/14f des Bezirksgerichts Salzburg; vgl Erkenntnisseiten 6 ff] „eine unhaltbare Rechtsposition eingenommen und aufrechterhalten“;

b) [am 2. März 2015 im Pflegschaftsverfahren AZ 2 Ps 203/13f des Bezirksgerichts Salzburg; vgl ES 8 ff] „im persönlichen Umgang mit Mitarbeitern [offenbar gemeint: des Jugendamts der Stadt Salzburg; vgl ES 8 ff] unbegründete Vorwürfe erhoben“ sowie

2. („zu D‑04“)

[am 25. Juni 2015; vgl ES 2 ff] „im Verfahren AZ 5 C 4/14k des Bezirksgerichts Meidling offensichtlich unberechtigte Ansprüche auf Kostenersatz geltend gemacht“.

Über sie wurde „für 1. eine Geldbuße in der Höhe von 1.500 Euro sowie für 2. eine Geldbuße in der Höhe von 800 Euro“ verhängt.

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld kommt keine Berechtigung zu.

 

Zu 1. (D‑03)

Dem Einwand der Mängelrüge (formal Z 5, inhaltlich [infolge Idealkonkurrenz zwischen 1. und 2. Fall des § 1 Abs 1 DSt; Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 9 § 1 DSt Rz 15] Z 10; vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 647) zuwider beruhen die zum Verhalten der Beschuldigten im Pflegschaftsverfahren AZ 41 Ps 182/14f des Bezirksgerichts Salzburg (1.a.) getroffenen Annahmen des Disziplinarrats – der eine Berufspflichtenverletzung (implizit iSd § 9 Abs 1 RAO; vgl ES 11) darin erblickt, dass die Beschuldigte als vom Gericht bestellte „Prozesskuratorin der abwesenden Kindesmutter“ zunächst am 22. Oktober 2014 im Zug einer „verbalen Auseinandersetzung“ mit den „Mitarbeitern des Mutter‑Kind‑Heims [...] an ihrem Rechtsstandpunkt, ein Recht auf Besuch des Kindes zu haben, trotz rechtlicher Aufklärung des Jugendamts, eingehend „festhielt“ und „gegenüber dem Zeugen Dr. V***** [vom Jugendamt der Stadt Salzburg; vgl Protokoll ON 28 S 7] weiter“ darauf „beharrte“ (ES 7), sowie, dass sie auch noch in einem Schriftsatz an das Bezirksgericht Salzburg vom 5. November 2014 (nachdem ihr Dr. V***** mit Schreiben vom 23. Oktober 2014 nochmals die rechtliche Stellung des Prozesskurators erläutert und sie darauf hingewiesen hatte, dass das Jugendamt gemäß § 211 Abs 1 zweiter [und dritter] Satz ABGB wegen Gefahr im Verzug vorläufig mit der Obsorge betraut worden war) weiterhin den (unrichtigen) Standpunkt vertrat, dass ihr als bestellte Prozesskuratorin im Pflegschaftsverfahren „die Obsorge zustehe“ und ihr insbesondere das Recht auf persönlichen Kontakt mit dem Kind zukäme (ES 7 f) – keineswegs auf „Willkür“.

Denn ein Rechtsanwalt hat seine anwaltliche Tätigkeit gemäß § 9 Abs 1 erster Halbsatz RAO stets dem Gesetz gemäß zu führen, wobei die Interessen des Klienten diesem Grundsatz zu weichen haben ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 9 Rz 6 f). Die Vertretung einer irrigen Rechtsansicht zieht dann eine disziplinäre Verantwortlichkeit (im Sinn einer Berufspflichtenverletzung gemäß § 1 Abs 1 erster Fall DSt) nach sich, wenn ihre Unrichtigkeit sofort und leicht erkennbar ist, sodass sie als „schlechterdings unvertretbar“ bezeichnet werden kann (RIS‑Justiz RS0055381 [insbesondere T4]).

Warum dies im Anlassfall – trotz wiederholter Aufklärung durch die Behörde – nicht der Fall sein sollte und weshalb gerade dieses, von der Beschuldigten in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin nicht nur mehreren Mitarbeitern des Jugendamts, sondern auch dem Gericht gegenüber gesetzte ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/ Vitek , RAO 9 § 1 DSt Rz 12) Fehlverhalten nicht auch geeignet wäre, die Ehre oder das Ansehen des Standes zu beeinträchtigen (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt; vgl dazu RIS‑Justiz RS0120395, RS0118449, RS0107050, RS0054958), legt die Rüge nicht dar.

Im Pflegschaftsverfahren AZ 2 Ps 203/13f des Bezirksgerichts Salzburg (1.b.) liegt der Beschuldigten zur Last, gegenüber einer Vertreterin des Jugendamts den unbegründeten und zuvor nicht überprüften Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt erhoben zu haben, wodurch sich diese „unter Druck gesetzt gefühlt“ und „den Eindruck“ hatte, „dass von ihr gewollt sei, dass sie nunmehr ihren für das Jugendamt gestellten Obsorgeantrag [betreffend den Pflegebefohlenen] zurückziehe“ (ES 10). Dies wertete der Disziplinarrat – aufgrund der damit verbundenen Einschüchterung zutreffend (RIS‑Justiz RS0117500; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 9 Rz 9) – als Berufspflichtenverletzung im Bezug auf § 9 Abs 1 RAO (ES 11; vgl auch § 2 zweiter und dritter Satz RL‑BA 1977 [nunmehr § 17 RL‑BA 2015]).

Dass die angelastete Äußerung „im Anschluss an die Verhandlung“ (Tagsatzung) am 2. März 2015 (vgl ES 10), demnach nicht „vor“ einer allfälligen Aussage der Zeugin E***** stattgefunden hat, ist insoweit – auch dem Vorbringen der Schuldberufung zuwider – unerheblich.

Der Disziplinarrat hat das gegenüber E***** gesetzte Verhalten aber auch mit Recht als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt beurteilt. Mag der inkriminierte Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt nur direkt gegen eine Person gerichtet gewesen sein, so war aufgrund der Lage des Falls evident, dass diese sie in der Folge innerhalb ihrer Behörde publik machen würde, erfolgte sie doch unmittelbar im Zusammenhang mit einer Verhandlung. Dazu kommt, dass ein keinesfalls fundierter Vorwurf eines Missbrauchs der Amtsgewalt durch einen rechtskundigen Rechtsanwalt derart schwerwiegend ist, dass eine Kenntnisnahme eines eingeschränkten Personenkreises für die betreffende Deliktsverwirklichung hinreicht (vgl Feil/Wennig , AnwR 8 § 1 DSt S 859 f, Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 1 DSt Rz 12 f).

Das weitere Vorbringen der Schuldberufung ergeht sich im Wesentlichen bloß in Erwägungen zur „Motivlage“ der Beschuldigten (1.a.) sowie darin, dass der Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt (1.b.) auf „zwei Zeugenaussagen“ – soweit nachvollziehbar „des Bruders und der Schwägerin des Kindesvaters“ – gegründet sei (ohne indes gesicherte Anhaltspunkte für ein tatsächlich amtsmissbräuchliches Vorgehen des Jugendamts erkennen zu lassen). Sie vermag damit keine Umstände aufzuzeigen, die eine falsche Lösung der Tatfrage durch den Disziplinarrat nahelegen, der sich im Rahmen der Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Zeugen E***** und Dr. V***** verschaffen konnte und diesen in seiner Beweiswürdigung folgte.

 

Zu 2. (D‑04):

Entgegen der Mängelrüge (Z 5, der Sache nach Z 10) bedurfte das zur Last gelegte standesrechtliche Fehlverhalten (hier iSd § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) durch Legen eines erheblich unrichtigen Kostenverzeichnisses, das nach Lage des Falls jedenfalls dem Gegner der eigenen Mandantschaft sowie dem Gericht zur Kenntnis gelangte, keiner darüber hinaus gehenden besonderen Publizität. Denn der fallaktuell angelastete Verstoß ist im Blick auf seine besondere Ausprägung – zumal „jede Position unrichtig verzeichnet wurde“, „Leistungen enthalten waren, die nicht erbracht worden sind“, die „Bemessungsgrundlage für die Gerichtsgebühr [...] überhöht“ war und der verzeichnete „doppelte Einheitssatz für die Klage, die Streitverkündung und die vorbereiteten Schriftsätze nicht zustand“ etc (vgl ES 2 f) – so schwerwiegend, dass er eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes selbst dann befürchten lässt, wenn er nur einem eingeschränkten Personenkreis bekannt wird (vgl auch RIS‑Justiz RS0055114 [T5], RS0055068 [T3], RS0055136 [T2], zuletzt 22 Os 11/15f).

Zwar handelt ein Rechtsanwalt bei Geltendmachung seiner Honoraransprüche grundsätzlich „in eigener Sache“, weshalb die Forderung eines überhöhten Honorars (gegenüber dem eigenen Mandanten) keine Verletzung von Berufspflichten begründet (RIS‑Justiz RS0055853). Eine gegenüber dem Gegner der eigenen Mandantschaft gelegte, nicht dem Gesetz entsprechende Abrechung stellt hingegen sehr wohl eine Berufspflichtenverletzung iSd § 1 Abs 1 erster Fall DSt dar, weil der Rechtsanwalt hier nicht „in eigener Sache“, sondern rechtlich namens seines Klienten vorgeht (RIS‑Justiz RS0106255; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 1 DSt Rz 27).

Der bezügliche Vorwurf blieb auch keineswegs unbegründet (ES 5 f), sodass die darauf bezogene – sogar „Willkür“ unterstellende – Kritik (Z 5 vierter Fall) ins Leere geht.

Der Schuldberufung zuwider, die sich primär gegen die – im Übrigen nicht nur mit dem „Umfang der unrichtigen Honorar‑/Kostennote“, sondern auch mit dem nachfolgenden „Beharrungsbeschluss“ mängelfrei begründete – Annahme bedingten Vorsatzes (vgl ES 6) richtet, bedarf ein im Zusammenhang mit überhöhten Honorarforderungen als Disziplinarvergehen angelastetes Fehlverhalten keines Vorsatzes; Fahrlässigkeit genügt (RIS‑Justiz RS0055136).

Das verbleibende Vorbringen der Schuldberufung erschöpft sich in eigenständigen Spekulationen der Rechtsmittelwerberin, ohne Bedenken gegen die Richtigkeit der Konstatierungen des Disziplinarrats aufkommen zu lassen.

Hingegen überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Berufung dass dem Strafausspruch des Disziplinarrats von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 666). Gemäß § 16 Abs 5 DSt gilt nämlich im Disziplinarverfahren das Absorptionsprinzip (vgl RIS‑Justiz RS0055515, RS0055389 [T2]; Feil/Wenig , AnwR 8 § 16 DSt S 901), sodass der getrennte Ausspruch zweier Geldbußen (einerseits zum Schuldspruch 1., andererseits zum Schuldspruch 2.) verfehlt ist.

Bei der durch die Kassation des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen, als mildernd die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit und der Umstand zu werten, dass sich die Beschuldigte, der keine Verfahrensverzögerungen anzulasten sind, seit der länger zurückliegenden Tat wohlverhalten hat.

Dass sie nach den Ausführungen des Disziplinarrats „noch nicht lange im Anwaltsstand steht“, hat bei der Gewichtung des erstgenannten Milderungsumstands außer Betracht zu bleiben.

Letztlich zieht die Annahme einer „Uneinsichtigkeit“ der Beschuldigten als „strafverschärfend“ (ES 10) Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO nach sich (RIS‑Justiz RS0090897 [insbesondere T3, T9 und T11], RS0056731 [T2]; vgl auch Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 713).

Auch unter Berücksichtigung des besonderen Engagements des Beschuldigten für ihre Klienten zu 1. entspricht die vom Disziplinarrat gewählte Sanktion (nach Zusammenrechnung) nicht nur dem Schuld‑ und Unrechtsgehalt der Taten, sondern findet auch in den durchschnittlichen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts Deckung (§ 16 Abs 6 DSt).

Wegen der hier überlangen Verfahrensdauer war sie jedoch messbar (RIS‑Justiz RS0125374) um 300 Euro zu reduzieren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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