OGH 7Ob52/17y

OGH7Ob52/17y14.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch die Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Juni 2016, GZ 4 R 62/16s‑12, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. März 2016, GZ 39 Cg 77/14p‑8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00052.17Y.0614.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist eine Versicherungsgesellschaft, die ihre Leistungen österreichweit anbietet und mehr als zwei Millionen Kunden hat.

Ihren mit Verbrauchern abgeschlossenen Unfallsversicherungsverträgen legte sie ihre Allgemeinen Bedingungen für die Unfallvorsorge (AUVB 2006) zugrunde. Diese enthalten unter anderem folgende Klausel (Punkt I der AUVB 2006):

Wann kann der Vertrag gekündigt werden? Wann erlischt der Vertrag ohne Kündigung?

1. Beträgt die vereinbarte Versicherungsdauer mindestens ein Jahr, verlängert sich der Vertrag jeweils um ein Jahr, wenn nicht ein Monat vor Ablauf gekündigt wird. […]

Der Kläger richtete mit eingeschriebenem Brief vom 3. 11. 2014 ein Schreiben an die Beklagte, worin diese aufgefordert wurde, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung im Sinn des § 28 Abs 2 KSchG abzugeben. Dieser Aufforderung kam die Beklagte innerhalb der gesetzten Frist nicht nach.

Der Kläger begehrt, der Beklagten die Verwendung (auch) der genannten oder sinngleicher Klauseln im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern und die Berufung darauf zu untersagen. Weiters stellt er ein österreichweites Veröffentlichungsbegehren.

Der Kläger begründet sein Unterlassungsbegehren damit, dass die Klausel gegen §§ 6 Abs 1 Z 2 und 6 Abs 3 KSchG verstoße.

Die Beklagte bestreitet die behaupteten Gesetzesverletzungen. § 6 Abs 1 Z 2 KSchG sei nicht zu entnehmen, dass die besondere Hinweispflicht in der Klausel selbst angegeben werden müsse. Auch aus der bestehenden Judikatur sei dies nicht ableitbar.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs‑ und dem Veröffentlichungsbegehren zur Gänze statt. Für die wirksame Vereinbarung einer Erklärungsfiktion bedürfe es zweierlei Voraussetzungen: Einerseits müsse der Vertrag eine Frist für die Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung vorsehen (was hier der Fall sei), andererseits müsse der Vertrag die Verpflichtung des Unternehmers beinhalten, den Verbraucher zu Beginn der Frist auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Diesem zweiten Erfordernis werde nicht Genüge getan. Aus diesem Grund sei die beanstandete Klausel gemäß § 6 Abs 1 Z 2 KSchG unwirksam.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Klausel enthalte inhaltlich eine „Möglichkeit des Widerspruchs“, nämlich eine Kündigung. Sie nenne auch die Frist für die Ausübung, sodass diesem Erfordernis entsprochen werde. Die Klausel sehe aber keine Verpflichtung vor, bei Beginn der einmonatigen Kündigungsfrist (Widerspruchsfrist) den Verbraucher über sein Recht auf Kündigung (Widerspruch) in Kenntnis zu setzen und ihn vor allem über die Bedeutung eines allfälligen Schweigens zu informieren. Die Klausel müsse daher als unzulässig gemäß § 6 Abs 1 Z 2 KSchG qualifiziert werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Fraglich ist im Revisionsverfahren nur, ob die gesetzlich vorgesehene Hinweispflicht in die Klausel aufzunehmen ist.

1.1 Nach § 6 Abs 1 Z 2 KSchG sind für den Verbraucher besonders solche Vertragsbestimmungen im Sinn des § 879 ABGB jedenfalls nicht verbindlich, nach denen ein bestimmtes Verhalten des Verbrauchers als Abgabe oder Nichtabgabe einer Erklärung gilt, es sei denn, der Verbraucher wird bei Beginn der hiefür vorgesehenen Frist auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hingewiesen und hat zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eine angemessene Frist. Die Bestimmung kommt insbesondere auch bei Verlängerung von Vertragsverhältnissen in Betracht (RIS‑Justiz RS0065536 = 2 Ob 523/85).

1.2 In seiner Entscheidung 2 Ob 523/85 hatte der Oberste Gerichtshof in einem Verbandsprozess die – mit der hier gegenständlichen Klausel vergleichbare – Klausel „er verlängert sich jedoch um weitere zwei Monate, wenn nicht spätestens fünf Tage vor dem Endtermin schriftlich der Widerruf bekanntgegeben wird, wobei das Einlangen des Widerrufs entscheidet“ zu beurteilen. Er stellte klar, dass zunächst aus § 6 Abs 1 Z 2 KSchG grundsätzlich überhaupt die Wirkungslosigkeit vertraglicher Erklärungsfiktionen folge. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn für die fragliche Äußerung eine Frist vorgesehen sei, das Erfordernis des Hinweises auf die Bedeutung des Verhaltens des Verbrauchers eingehalten werde und diesem für eine ausdrückliche Erklärung sodann eine angemessene Frist zur Verfügung stehe. Der Oberste Gerichtshof beurteilte die Klausel als unwirksam, weil das Vorsehen einer Frist, bei deren Beginn der Verbraucher auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hingewiesen würde, fehle.

In der Entscheidung 6 Ob 85/11k bestätigte der Oberste Gerichtshof seine bereits in 2 Ob 523/85 vertretene strenge Auffassung. Er hielt fest, sowohl Widerspruchsmöglichkeit als auch die Frist müsse bereits in den Vertragstext aufgenommen werden. Hingegen reiche es nicht aus, dass der Unternehmer – ohne eine solche Vereinbarung – lediglich de facto unter Einhaltung einer angemessenen Frist bei ihrem Beginn auf die Erklärungsbedeutung des Verbraucherverhaltens und auf die Möglichkeit des Widerspruchs hinweise. Dass das Erfordernis der Aufnahme der Hinweispflicht umfasst ist, lässt sich der Entscheidung nicht zweifelsfrei entnehmen.

In der Entscheidung 1 Ob 210/12g stellte der Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr in Frage, dass die in der Klausel enthaltene Zustimmungsfiktion den formalen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Z 2 KSchG entsprach, sodass eine nähere Befassung mit dem Erfordernis der Aufnahme der Hinweispflicht in die Klausel nicht erfolgte.

In der Entscheidung 5 Ob 160/15p legte der Oberste Gerichtshof die herrschende Meinung in Judikatur und Lehre zugrunde, wonach eine Zustimmungsfiktion zuvor vertraglich vereinbart sein müsse. Der Vertrag müsse die Möglichkeit des Widerspruchs und die Frist für dessen Ausübung enthalten. Es reiche nicht aus, dass der Unternehmer ohne zugrunde liegende vertragliche Vereinbarung lediglich de facto unter Einhaltung einer angemessenen Frist bei deren Beginn auf die Erklärungsbedeutung des Verbraucherverhaltens und auf die Möglichkeit des Widerrufs hinweise. Auch dort erfolgte keine ausdrückliche Befassung mit der Frage, ob die Hinweispflicht in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen ist.

In der Entscheidung 4 Ob 135/15d hatte der Oberste Gerichtshof keine Bedenken gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die beanstandete Klausel der Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 2 KSchG nicht entspreche, weil sich die dortige Beklagte nicht zur Einräumung einer angemessenen Frist für einen Widerspruch und zu einem entsprechenden Hinweis nach Fristbeginn verpflichtet hatte.

1.3 Die überwiegende Lehre – worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend hinwies – vertritt, dass der Unternehmer sich bereits in der AGB‑Klausel dazu verpflichten muss, dass er bei Beginn der Widerspruchsfrist den Verbraucher auf die Bedeutung eines allfälligen Schweigens hinweisen wird (vgl Mayrhofer/Tangl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 6 KSchG Rz 20 f; Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger 5 § 6 KSchG Rz 7; Ertl/Gschweitl, Verfallsregelungen in Mobilfunkverträgen, MR 2005, 404 [407 f]; Kiendl , Unfaire Klauseln in Verbraucherverträgen [1997] 139 f; Welser , Die Beschränkung der Vertragsfreiheit beim Konsumentengeschäft [Teil 2]; JBl 1980, 72 [73 f]; ders in Krejci , Handbuch zum KSchG [1981], 345 ff; zumindest für den Bereich der Verbandsklage auch Geist , Verlängerungsklauseln in Konsumentenversicherungsverträgen, RdW 1988, 189 [190]; aA Apathy in Schwimann/Kodek ABGB 4 § 6 KSchG Rz 13; differenzierend Krejci in Rummel 3 II/4 § 6 Rz 44; Nowotny , Versicherungsdauer und Konsumentenschutzgesetz RdW 1987, 364; Fornara/Woschank , Verlängerungsklauseln in Konsumentenversicherungsverträgen, VR 2002, 172 [173]).

1.4 Im Sinn der dargelegten Judikatur und überwiegenden Lehre erachtet es der erkennende Senat für die Wirksamkeit einer Verlängerungsfiktion – wie hier – für erforderlich, dass die in § 6 Abs 1 Z 2 KSchG vorgesehene Hinweispflicht des Verwenders in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern selbst aufgenommen werden muss. Es genügt nicht, dass der Unternehmer ohne eine solche Vereinbarung de facto unter Einhaltung einer angemessenen Frist bei deren Beginn auf die Erklärungsbedeutung des Verbraucherverhaltens und auf die Möglichkeit des Widerspruchs hinweist. Der Gesetzestext „bei Beginn der hiefür vorgesehenen Frist“ lässt schon erkennen, dass diese Frist von vornherein konkret vorgesehen werden, also in der Vertragsklausel aufscheinen muss. Muss aber in der Klausel selbst eine Frist vorgesehen werden, bei deren Beginn der Verbraucher auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hingewiesen wird, dann kann dies nichts anderes bedeuten, als dass auch die Verpflichtung des Unternehmers, den Verbraucher zur betreffenden Zeit über die Bedeutung des Verbraucherverhaltens – hier eines allfälligen Schweigens – zu informieren, in die Klausel aufgenommen werden muss. Auch dem grundsätzlichen Anliegen des § 6 KSchG, nämlich der Sittenwidrigkeitskontrolle zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, widerspräche es, wenn die Gültigkeit der Klausel durch spätere Entwicklungen (hier [Nicht‑]Befolgung der Hinweispflicht nach § 6 Abs 1 Z 2 KSchG) bestimmt würde.

1.5 Die gegenständliche Klausel ist, weil sie nicht die in § 6 Abs 1 Z 2 KSchG vorgesehene Hinweispflicht enthält, unwirksam.

2.1 Abgesehen davon ist die Zulässigkeit der Klausel auch nach § 6 Abs 3 KSchG zu prüfen (1 Ob 146/15z mwN).

2.2 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unverständlich abgefasst ist. Durch das Transparenzgebot soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sichergestellt werden. Der typische Verbraucher soll nicht von der Durchsetzung seiner Rechte dadurch abgehalten werden, dass ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird (vgl RIS‑Justiz RS0115217 [T8]; RS0115219 [T1]). Das Transparenzgebot erfasst die Erkennbarkeit und Verständlichkeit einer Klausel ebenso wie die Verpflichtung, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RIS‑Justiz RS0115217 [T12] = RS0115219 [T12]).

2.3 Vor diesem Hintergrund erweist sich die gegenständliche Klausel auch als intransparent. Der Verbraucher wird nämlich ohne Aufnahme der Hinweispflicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten, weil er beim Lesen bloß der Klausel – und dem nachfolgenden Unterbleiben eines ausdrücklichen Hinweises – glauben könnte, den Kündigungszeitpunkt versäumt zu haben.

3. Der Revision ist keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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