European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00061.17T.0510.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Die Betroffene und ihr im 80. Lebensjahr stehender Ehemann sind jeweils Hälfteeigentümer eines ehemals landwirtschaftlich genutzten Anwesens mit einer Gesamtfläche von rund 19.000 m² (Grünland) samt darauf errichtetem Haus, in dem er nach wie vor wohnt, während sie bereits seit Oktober 2012 in einem Pflegeheim untergebracht ist. Sie bezieht eine geringfügige Alterspension sowie Pflegegeld der Stufe 3 und Ausgleichszulage; diese Bezüge fließen bis auf ein monatliches Taschengeld von 200 EUR an den Träger des Pflegeheims.
Beginnend mit November 2012 wurde der Betroffenen Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs durch Unterbringung im Pflegeheim und durch Übernahme der durch ihre Pension nicht gedeckten Heimgebühren gewährt und die Leistung der sozialen Hilfe von der Sicherstellung des Ersatzanspruchs durch – bisher allerdings nicht erfolgte – grundbücherliche Einverleibung eines Pfandrechts bis zur Höhe des Verkehrswerts der Liegenschaftshälfte der Betroffenen abhängig gemacht. Der Sozialhilfeträger hat im Zeitraum Jänner 2013 bis Oktober 2016 Leistungen im Wert von über 80.000 EUR für die Betroffene erbracht.
Ihr rund 100 Jahre altes Haus ist in einem ausgesprochen schlechten Zustand; insbesondere sind die Fenster großteils kaputt, der gesamte Dachstuhl inklusive Eindeckung ist sanierungs- bzw erneuerungsbedürftig, die Böden und der Bodenaufbau sind teilweise kaputt, und es gibt im Innenbereich keinerlei sanitäre Anlagen. Nach einem vom Sachwalter (dem Sohn der Betroffenen) im April 2015 – im Zusammenhang mit dem ursprünglich von ihm selbst beabsichtigten Erwerb der Liegenschaft – eingeholten (Privat‑)Gutachten eines Sachverständigen für das Immobilienwesen (ON 51) hat das Haus allein einen Zeitwert von nur noch knapp 26.000 EUR bei einer Restnutzungsdauer von zehn Jahren und das Anwesen insgesamt (zuzüglich Grundwert) einen Verkehrswert von rund 62.000 EUR; das Haus beurteilte der Gutachter infolge Alters und schlechten Gesamtzustands als „bei wirtschaftlicher Betrachtung kaum sanierungswürdig“.
Mit Schriftsatz vom 3. Oktober 2016 beantragte der Sachwalter die Genehmigung der Aufnahme eines (hypothekarisch sicherzustellenden) Sanierungskredits in Höhe von 30.000 EUR für das Haus. Es bestehe ein hoher aufgestauter Reparaturbedarf. Der Ehegatte der Betroffenen wolle auf der Liegenschaft bleiben, solange er nicht pflegebedürftig sei. Zu diesem Zweck sei beabsichtigt, das Dach und die schadhaften Fenster zu sanieren und eine Sanitäreinheit einzubauen. Der Sachwalter plane die Sanierung der Liegenschaft im Einvernehmen mit seinen Eltern, um seinem Vater ein menschenwürdiges Leben auf der Liegenschaft zu ermöglichen. Eine Vermietung des Anwesens sei nur nach Sanierung möglich. Der erzielbare Mietzins würde die Kreditrate abdecken. Durch die Sanierung würde sich auch der Wert der Liegenschaft erhöhen. Aufgrund des geringen Taschengeldbetrags der Betroffenen von 200 EUR monatlich müsste sich „der Eigentümer“ (gemeint: der Ehemann der Betroffenen) verpflichten, die laufenden Kreditraten allein zu übernehmen.
Das Erstgericht wies den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ab. Bei der Entscheidung sei in erster Linie das Wohl der Betroffenen wahrzunehmen. Diese habe kein Wohnbedürfnis mehr an der Liegenschaft, weil sie im Pflegeheim betreut werde. Durch die Aufnahme des Sanierungsdarlehens käme es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer endgültigen Übernahme der Heimkosten durch den Heimträger und in der Folge durch den Steuerzahler. Es entspreche nicht dem Wohl der Betroffenen, wenn ihr Eigentum, das letztlich zur Abdeckung der Heimkosten herangezogen werden solle, durch die Aufnahme eines vorrangigen Kredits entwertet werde.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sachwalters nicht Folge. Die gerichtliche Genehmigung einer nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörenden Vermögensangelegenheit sei nach ständiger Rechtsprechung nur zu erteilen, wenn die Rechtshandlung dem Wohl des Pflegebefohlenen entspreche, was insbesondere bei einer Vermehrung seines Vermögens der Fall sei, nicht aber, wenn eine Vermögensminderung nicht ausgeschlossen sei. Im Hinblick darauf komme es auf das dringende Wohnbedürfnis des Ehegatten der Betroffenen am sanierungsbedürftigen Haus nicht an. Die eheliche Fürsorgepflicht der Betroffenen, die praktisch kein frei verfügbares Eigeneinkommen habe, bestehe nur darin, sich als Hälfteeigentümerin etwa beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu widersetzen. Die im Rekurs vertretene Auffassung, die Leistung der Betroffenen sei „lediglich“ darin zu erblicken, dass auch ihre Liegenschaftshälfte hypothekarisch belastet werde, lasse außer Acht, dass auch diese Leistung – mangels eigenen Wohnbedürfnisses der Betroffenen – für diese im Wesentlichen nur von Nachteil sei, ohne dass ein ihr unmittelbar zukommender Vorteil ersichtlich wäre. Der ergänzende Hinweis auf die mit den Sanierungsmaßnahmen gleichzeitig einhergehende entsprechende Werterhöhung der Liegenschaft könne an dieser Einschätzung nichts ändern, weil eine die Höhe des Sanierungsaufwands erreichende Wertsteigerung keineswegs naheliegend sei und jedenfalls nicht als gesichert angenommen werden könne. Umgekehrt bestehe – angesichts der faktischen Einkommenslosigkeit der Betroffenen – in dem Fall, dass die laufenden Kreditraten von ihrem Ehegatten womöglich nicht bedient werden könnten, sogar die Gefahr einer Zwangsversteigerung. Dann sei aber, gerade bei einem Objekt der hier vorliegenden Art, typischerweise nicht einmal die Realisierbarkeit des Verkehrswerts gesichert.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Sachwalters, der als erhebliche Rechtsfrage das Fehlen von Rechtsprechung zur Frage geltend macht, ob der Wert von Liegenschaftsvermögen, das letztlich zugunsten des Sozialhilfeverbandes verwertet werden solle, für die Betroffene noch vermindert werden könne, ist zulässig und im Sinn des – im Abänderungsantrag enthaltenen – Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Gemäß § 275 Abs 3 iVm § 214 Abs 2 und § 167 Abs 3 ABGB bedarf der Abschluss von nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörenden Rechtsgeschäften durch den Sachwalter der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. Der Sachwalter und die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass die hypothekarische Belastung der im (Mit-)Eigentum der Betroffenen stehenden Liegenschaft in den außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb fällt.
2. Ein nicht dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zugehöriges Rechtsgeschäft darf nach ständiger Rechtsprechung vom Pflegschaftsgericht nur dann genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse des Pflegebefohlenen liegt und somit dessen Wohl entspricht. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn das Vermögen des Pflegebefohlenen vermehrt wird; hingegen (schon dann) zu verneinen, wenn eine Verminderung des Vermögens des Pflegebefohlenen nicht ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0048176).
3. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist jedoch durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass das (finanzielle) Wohl der Betroffenen weder durch eine Erhöhung noch durch eine Verminderung des Werts ihres Liegenschaftsanteils berührt wird, weil dieser letztlich dem Sozialhilfeverband zufallen wird. In dieser speziellen Situation wäre es aber nicht sachgerecht, bloß aufgrund einer – ohne Beweisaufnahmen jedenfalls nicht auszuschließenden – Verminderung des Werts des Liegenschaftsanteils die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung zu versagen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Geschäftsfähiger in der Situation der Betroffenen der (für die Kreditgewährung unabdingbaren) Einräumung einer Hypothek auf der gesamten Liegenschaft zur Besicherung eines (vom Ehemann allein zurückzuzahlenden) Darlehens zustimmen würde.
4. Für die Beantwortung dieser Frage reicht die Einschätzung des vom Sachwalter beauftragten Privatgutachters, wonach das Haus bei wirtschaftlicher Betrachtung kaum sanierungswürdig sei, schon deshalb nicht aus, weil dem Gutachter die nun konkret geplanten Sanierungsarbeiten noch nicht bekannt sein konnten.
5. Das Erstgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren durch geeignete Beweisaufnahmen zu klären haben,
– welchen Verkehrswert das Haus derzeit hat,
– ob, wenn ja in welchem Ausmaß sich dieser durch die vom Sachwalter beabsichtigten Baumaßnahmen erhöhen würde, und
– ob die geplanten Sanierungsarbeiten (insbesondere bezüglich des schadhaften Dachs und der undichten Fenster) geeignet sind, einen ansonsten bevorstehenden (weiteren) Wertverlust zu verhindern.
6. Erst wenn all das feststeht, kann beurteilt werden, ob die geplante Sanierung und die dafür erforderliche Belastung auch des Miteigentumsanteils der Betroffenen unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Haus der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses ihres Ehemannes dient, wirtschaftlich vertretbar ist.
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