OGH 3Ob30/17h

OGH3Ob30/17h10.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B***** PLC, *****, Deutschland, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 51.993,11 EUR sA und Rechnungslegung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Dezember 2016, GZ 4 R 139/16i‑18, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 58 Cg 204/12a‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00030.17H.0510.000

 

Spruch:

Das Verfahren 3 Ob 30/17h wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. Mai 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin mit Wohnsitz in Wien ist die eingeantwortete Erbin nach ihrem in Wien wohnhaft gewesenen Ehegatten, der am 9. Jänner 2007 über den Sekundärmarkt 43.581,63 EUR in das X***** Zertifikat investierte. Emittentin dieser Zertifikate ist die Beklagte, eine im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragene Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt am Main. Die Beklagte verkaufte die Zertifikate im Zuge der Emission an institutionelle Investoren, die sie wiederum am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.

Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer Inhaberschuldverschreibung zugrunde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. September 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. Dezember 2005 samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde auch bei der österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von 20. Dezember 2005 bis 24. Februar 2006, die Emission erfolgte am 31. März 2006.

Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt.

Die Beklagte überließ die Investition der durch die Schuldverschreibung lukrierten Gelder der X***** GmbH als Investmentmanager. H*****, der Trading Manager und Fonds Advisor der GmbH, nutzte seinen maßgeblichen Einfluss auf diese, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball-Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. Die Gelder sind großteils verloren, die Zertifikate sind wertlos.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 51.993,11 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe ihrer näher bezeichneten Wertpapieranteile, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden, der ihr aus der am 9. Jänner 2007 getätigten Investition in dieses Wertpapier entstanden und noch nicht bezifferbar sei oder künftig entstehen werde, und nach Klageausdehnung außerdem Rechnungslegung. Sie stützt sich einerseits auf vertragliche und andererseits auf deliktische (Schadenersatz‑)Ansprüche, insbesondere Prospekthaftung.

Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf die Gerichtsstände der Art 15 und 16, hilfsweise des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Die Klägerin könnte die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 stützen, weil eine über die aus dem bloßen Halten der Anleihe resultierende vertragliche Beziehung hinausgehende freiwillige Verpflichtung der Beklagten ihnen gegenüber aus dem Klagevorbringen nicht erkennbar sei. Aus diesem Grund sei das Erstgericht für vertragliche Ansprüche jedenfalls nicht international zuständig. Zu den hilfsweise geltend gemachten deliktischen Ansprüchen iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 zählten auch Prospekthaftungsansprüche. Die Klägerin habe allerdings nicht vorgebracht, dass sich der Schaden unmittelbar auf einem ihr zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in Wien verwirklicht hätte. Das angerufene Gericht sei deshalb nicht zuständig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Der Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 liege in Frankfurt, sodass die österreichischen Gerichte für die vertraglichen Ansprüche der Klägerin nicht international zuständig seien. Da der Klägerin der Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe, könne sie sich bezüglich ihres Prospekthaftungsanspruchs nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 stützen, weil dieser deliktische Anspruch in einem so engen Zusammenhang mit dem Vertrag stehe, dass das vertragliche Element auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses entscheidend präge.

In ihrem – vom Rekursgericht angesichts der Vielzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zugelassenen – Revisionsrekurs macht die Klägerin zusammengefasst geltend, der Erfüllungsort hinsichtlich der vertraglichen Ansprüche liege in Wahrheit in Österreich. Von ihren vertraglichen Ansprüchen sei außerdem der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz aus dem Titel der Prospekthaftung gemäß KMG strikt zu trennen. Dieser Anspruch aus Prospekthaftung sei weder auf die Erfüllung des Anleihevertrags gerichtet noch handle es sich um einen Sekundäranspruch, der aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht resultiere. Vielmehr sei dieser Anspruch deliktischer Natur.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig . Über seine Berechtigung wird aber erst nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Obersten Gerichtshofs 3 Ob 28/17i zu entscheiden sein:

In jenem Verfahren hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage gestellt:

„Ist nach Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn

– der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat

– und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,

(a) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,

(b) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,

(c) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,

(d) nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,

(e) keines dieser Gerichte zuständig?“

Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch dieselben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren 3 Ob 28/17i.

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

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