OGH 7Ob56/17m

OGH7Ob56/17m26.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* S*, vertreten durch Dr. Josef Lachmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. H* M*, Rechtsanwalt, *, und die Nebenintervenienten 1. T* E*, vertreten durch Dr. Andreas Öhler, Rechtsanwalt in Wien, 2. E* GmbH, *, vertreten durch Mag. Andreas Weiss, Rechtsanwalt in Wien, 3. L* Z*, vertreten durch Mag. Johannes Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Wien, 4. C* V*, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, 5. G* S*, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, 6. D* R*, 7. C* P*, 6. und 7.‑Nebenintervenienten vertreten durch Mag. Georg Morent, Rechtsanwalt in Wien, 8. D* T* P*, vertreten durch Dr. Karl Gossi, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zuhaltung eines Mietvertrags, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2016, GZ 39 R 96/16f‑81, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Februar 2016, GZ 44 C 308/14t‑56, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118098

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, dem Erst-, Zweit-, Dritt-, Viert-, Fünft- und Achtnebenintervenienten die jeweils mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die klagende Partei ist weiters schuldig, dem Sechst- und Siebentnebenintervenienten die mit insgesamt 917,02 EUR (darin enthalten 152,84 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der klagende Mieter sucht vom beklagten Vermieter Abhilfe gegen die Beeinträchtigung durch Mitbewohner. Er begehrt zur Gewährleistung des bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts die Unterlassung des Aufscheinens des Schriftzugs „GAY“ auf den näher bezeichneten Fenstern anderer Wohn‑ und Geschäftsobjekte, der Beleuchtung dieser Fenster sowie sämtlicher weiterer vergleichbarer Störungen; weiters begehrt er die Entfernung der genannten Aufschriften und der Beleuchtung sowie vergleichbarer Aufschriften und Fassadengestaltungen.

3. Gegen die Abweisung des Klagebegehrens im Zusammenhang mit der Beleuchtung – wegen fehlender Wiederholungsgefahr – wendet sich die Revision inhaltlich zu Recht nicht. Eines weiteren Eingehens darauf bedarf es nicht.

4.1 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher nur das Aufbringen des Schriftzugs. Hier argumentiert der Kläger, die Gestaltung der Fenster durch die anderen Mitbewohner stelle einen Eingriff und eine Beeinträchtigung seiner Mietrechte und eine Störung des bedungenen Gebrauchs dar. Die Aufschriften würden den Eindruck eines (homosexuellen) Bordellbetriebs erwecken. Er und sein Sohn seien dem Verdacht ausgesetzt, sie würden einem einschlägigen Gewerbe nachgehen oder zumindest als Freier beteiligt sein.

4.2 Der Vermieter ist verpflichtet, den Mieter im Gebrauch des Bestandgegenstands in zumutbarer Weise gegen wesentliche Störungen durch Dritte, insbesondere auch durch im selben Haus wohnende Mitmieter, zu schützen, wobei die Wahl der Abhilfemittel grundsätzlich dem Vermieter überlassen bleiben müsse (4 Ob 53/08k, vgl auch RIS‑Justiz RS0020975). Der Vermieter hat dem Mieter jenen Gebrauch und jene Nutzung zu gewährleisten, die ausdrücklich oder nach dem Zweck des Vertrags oder nach der Verkehrssitte bedungen sind (RIS‑Justiz RS0020926, RS0021054). Der Mieter kann vom Vermieter zwar nicht verlangen, dass alle im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Umstände erhalten bleiben, wohl aber, dass er vom Vermieter und von Dritten im bedungenen Gebrauch des Bestandgegenstands nicht wesentlich beeinträchtigt (gestört) wird (RIS‑Justiz RS0020975). Der Maßstab der Wesentlichkeit einer Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver. Maßgeblich ist nicht das subjektive Empfinden des sich gestört Fühlenden, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet. Die Grenzen der Schutzpflicht des Vermieters ergeben sich aus Erwägungen der Zumutbarkeit. Die Bewahrungspflicht des Vermieters endet dann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Beseitigung der Mietrechtsbeeinträchtigung nicht erreichbar erscheint. Die Pflicht zum Einschreiten des Vermieters entfällt daher in dem Umfang, in dem die Erfolgsaussichten mit hoher Wahrscheinlichkeit von vornherein ausgeschlossen werden können (1 Ob 89/02y mwN = RIS‑Justiz RS0020979 [T15]).

4.3 Sowohl zur Beurteilung der Brauchbarkeit eines Bestandobjekts zu einer bestimmten Verwendung als auch für Inhalt und Umfang der den Bestandgeber treffenden Schutzpflichten sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend (4 Ob 53/08k mwN, RIS‑Justiz RS0021288 [T7], RS0020926 [T3]).

4.4 Im vorliegenden Fall brachte zwar die Mehrzahl der Mitbewohner des Klägers an den Fenstern der von ihnen genutzten Objekte die bereits erwähnte Aufschrift an. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Anbringung einer Aufschrift an einem der Fenster im Erdgeschoss, in der darauf hingewiesen wird, dass die Aufkleber für Minderheitsrechte und gegen Diskriminierung von Minderheiten und eine pluralistische Gesellschaft stünden und vor dem Hintergrund eines etwas später hinzugefügten weiteren Aufklebers auf einem Fenster im Erdgeschoss, der in Großbuchstaben hervorhebt, dass sich in diesem Haus kein Prostitutionslokal befinde, werde bereits objektiv nicht der Eindruck eines (homosexuellen) Bordellbetriebs erweckt, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Ein derartiger Eindruck ist selbst aus den vom Kläger vorgelegten Fotos nicht ersichtlich.

4.5 Auf die Vermutung nach § 2 Abs 5 Wr Prostitutionsgesetz 2011 kommt es schon deshalb nicht an, weil feststeht, dass kein Prostitutionslokal betrieben wird und damit die angesprochene Vermutung ohnehin widerlegt ist.

4.6 Der Frage, ob der Beklagte oder einer der Nebenintervenienten am Betrieb eines Bordells an einem anderen Standort beteiligt ist, kommt keine Bedeutung zu.

4.7 Das Schikaneverbot beschränkt die Ausübung des Eigentums nur soweit, als die Schädigung des anderen der einzige Zweck der Rechtsausübungshandlung ist (RIS‑Justiz RS0010568). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt Schikane aber nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RIS‑Justiz RS0026265).

Die vom Kläger ausschließlich vorgebrachte Beeinträchtigung seines Mietrechts, durch die Fenstergestaltung entstehe der Eindruck des Betriebs eines homosexuellen Bordells, wurde – wie ausgeführt – vom Berufungsgericht vertretbar verneint. Fehlt es bereits an der behaupteten Beeinträchtigung, erübrigt sich eine vom Kläger gewünschte Abwägung der – nicht vorliegenden – Beeinträchtigungen, selbst bei Zutreffen seines – nicht festgestellten – Vorwurfs, der Beklagte beabsichtige, ihn aus dem Haus „hinauszuekeln“.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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