OGH 10ObS38/17m

OGH10ObS38/17m25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef Pongratz Platz 1, wegen Kostenübernahme für ein Heilmittel, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2017, GZ 6 Rs 4/17f‑16, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 21. Dezember 2016, GZ 42 Cgs 81/16y‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00038.17M.0425.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Abweisung des Antrags, die beklagte Partei mit einstweiliger Verfügung zu verpflichten, unverzüglich bis zum Eintritt der Rechtskraft der (Haupt‑)Sachentscheidung der Klägerin Leistungen aus der Krankenversicherung zur Krankenbehandlung mit Heilmitteln im gesetzlichen Ausmaß zu erbringen und insbesondere die Kosten für die am 27. 6. 2016 von einer Ärztin der Universitäts‑Augenklinik des Landeskrankenhauses Graz und/oder nach diesem Zeitpunkt von den behandelnden Ärzten der Klägerin verordnete Arzneispezialität „Raxone“ zu übernehmen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Klägerin nach dem bescheinigten Sachverhalt weder den nach § 133 Abs 2 ASVG zu beurteilenden Anspruch noch eine konkrete Gefährdung bescheinigt habe.

Die Klägerin begründet die Zulässigkeit ihres außerordentlichen Revisionsrekurses damit, dass das Rekursgericht wesentliche Fragen zum Umfang der den Versicherten zustehenden Krankenbehandlung im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG sowie – darauf basierend – zu den Anforderungen einer Gefahrenbescheinigung verkannt bzw gänzlich außer Acht gelassen habe. Als Folge der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Zweckmäßigkeit im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG habe das Rekursgericht auch die Anforderungen an den drohenden Schaden der Klägerin unrichtig beurteilt. Das Rekursgericht gehe davon aus, dass der Schaden, dessen Eintritt die Klägerin bescheinigen müsste, darin bestehe, dass sie die magistrale Zubereitung erhalte. Richtig hingegen sei, dass der zu bescheinigende Schaden der Klägerin darin bestehe, dass sie das zweckmäßige zugelassene Arzneimittel Raxone nicht erhalte. Der drohende Nachteil der Klägerin aus der Verweigerung der Kostenübernahme für Raxone ergebe sich aus dem bescheinigten Sachverhalt: Raxone sei für die Krankheit der Klägerin zugelassen und habe auch nachweislich eine Wirkung gezeigt. Da die magistrale Zubereitung mit dem Wirkstoff Idebenon qualitativ subsidiär im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG sei, bestehe der drohende Nachteil der Klägerin darin, dass ihr bei Verweigerung der weiteren Kostenübernahme gar keine zweckmäßige Behandlung zur Verfügung stehe. Die magistrale Zubereitung stelle als aus rechtlichen Gründen subsidiäre Behandlungsform ohne Nachweis eines Therapievorteils gegenüber Raxone keine Behandlungsoption für die Klägerin dar. Indem das Rekursgericht von der Klägerin den Nachweis eines Schadens durch die Behandlung mit der von vornherein als nicht zweckmäßig und deshalb nicht in Betracht kommenden Therapieform der magistralen Zulassung verlange, überspanne es aufgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die Anforderungen des zu erwartenden Nachteils im Sicherungsverfahren. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Rekursgericht die Gefahr eines drohenden Nachteils der Klägerin darin erkennen müssen, dass ihr die Kostenübernahme für das indizierte nachweislich wirksame Arzneimittel verwehrt werde.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt die Rechtsmittelwerberin mit ihren Ausführungen nicht auf:

Zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen können einstweilige Verfügungen nach § 381 Z 2 zweiter Fall EO getroffen werden, wenn derartige Verfügungen zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen.

Die Klägerin führte in ihrem Sicherungsantrag aus, zur Abwendung des (aufgrund der Unmöglichkeit, Raxone selbst vorzufinanzieren) drohenden, unwiederbringlichen Schadens, nämlich a) einer Unterbrechung der gegenwärtigen Wiedererlangung der Sehschärfe, b) einer Verschlechterung der Sehschärfe oder c) überhaupt einer endgültigen Erblindung, sei die beantragte einstweilige Verfügung zum Zweck der Gewährleistung einer ununterbrochenen Behandlung mit Raxone für die Dauer des Rechtsstreits nötig.

Nach dem vom Erstgericht als bescheinigt festgestellten Sachverhalt steht aber nicht fest, dass der Klägerin durch die Einnahme der magistralen Rezeptur auf Basis des Wirkstoffs Idebenon anstelle des Präparats Raxone eine Unterbrechung der Wiedererlangung der Sehschärfe, eine Verschlechterung der Sehschärfe oder die endgültige Erblindung oder ein sonstiger Nachteil droht.

Für einstweilige Verfügungen nach § 381 Z 2 zweiter Fall EO gilt nicht der Rechtssatz, dass die Verfügung der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen und durch sie nicht das bewilligt werden darf, was die gefährdete Partei erst seinerzeit im Weg der Exekution erzwingen könnte (RIS‑Justiz RS0009418). Wenn aber aufgrund eines bloß bescheinigten Sachverhalts der Prozesserfolg vorweggenommen werden soll, sind die Voraussetzungen des § 381 Z 2 EO streng auszulegen (RIS‑Justiz RS0005300). Die Behauptungs‑ und Bescheinigungslast für das Vorliegen konkreter Umstände, die die Voraussetzungen des § 381 Z 2 EO begründen, liegt ausschließlich bei der gefährdeten Partei (RIS‑Justiz RS0005311 [T2]), wobei nicht schon jede abstrakte oder theoretische Möglichkeit der Herbeiführung eines unwiederbringlichen Schadens eine Anspruchsgefährdung im Sinn des § 381 Z 2 EO darstellt (RIS‑Justiz RS0005295 [T3]). Für die Bejahung eines unwiederbringlichen Schadens kann es nicht genügen, dass der Klägerin der ihr ihrer Ansicht nach zustehende Anspruch bis zum (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptverfahrens vorenthalten wird, sondern ist es erforderlich, dass durch dieses vorübergehende Vorenthalten ein konkreter (vgl RIS‑Justiz RS0005175) darüber hinausgehender Schaden droht (vgl RIS‑Justiz RS0012390). Für die Beurteilung des unwiederbringlichen Schadens im Sinn des § 381 Z 2 zweiter Fall EO kommt es nur darauf an, welchen Schaden die Klägerin erleiden würde, wenn die beantragte einstweilige Verfügung nicht erlassen wird. Ein solcher kann hier im Rahmen des Vorbringens der Klägerin nur darin liegen, dass durch die Fortführung der Behandlung der Klägerin mit der von der Beklagten bewilligten magistralen Zubereitung anstelle der Arzneispezialität Raxone – deren Vorfinanzierung der Klägerin nach dem bescheinigten Sachverhalt nicht möglich ist – für die Klägerin gesundheitliche Nachteile, insbesondere eine Beeinträchtigung des Erfolgs der bisherigen bzw weiteren Behandlung, zu befürchten wäre. Dies ist jedoch nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht bescheinigt. Dem Rekursgericht ist daher in seiner Beurteilung, dass der Klägerin die Gefährdungsbescheinigung nach § 381 Z 2 zweiter Fall EO nicht gelungen ist, nicht entgegenzutreten.

Davon ausgehend ist die Frage, ob die Verneinung des Anspruchs der Klägerin auf unrichtiger Beurteilung beruht, nicht entscheidungserheblich.

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