OGH 7Ob36/17w

OGH7Ob36/17w29.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei A***** SE, *****, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. November 2016, GZ 4 R 133/16i‑36, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Juli 2016, GZ 9 Cg 112/13z‑31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00036.17W.0329.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.175,22 EUR (darin enthalten 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Frage, wann der Versicherungsfall „in einem vergleichbaren Fall“ eintrete, nicht vorliege und nach dem Vorbringen des Klägers weitere 40 Klagen in Vorbereitung seien.

1.2 Der Oberste Gerichtshof ist bei der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508 Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall, weil die vom Berufungsgericht aufgezeigte Frage bereits aufgrund der bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur geklärt werden kann. Die Entscheidung kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Dem zwischen den Streitteilen bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) 2003 zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

„Art 2 Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten:

1. Bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß Art 17.2.1.1, Art 18.2.1, Art 21.2.1 und Art 25.2.3 gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses. […]

Art 3 Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?

1. Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintreten. [...]“

3. Der Kläger erwarb am 24. 2. 2008 und am 6. 5. 2008 „I*****‑Anteile“ am „I*****-Index“ im Gesamtwert von 16.000 EUR. Mit der Behauptung bei diesen von der I***** AG sowie der I***** Anstalt ausgegebenen Anteilen handle es sich um Betrugsprodukte, da die Gelder niemals veranlagt worden seien, beabsichtigt der Kläger die gerichtliche Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs gegenüber R***** W*****, weil dieser als Verwaltungsrat der genannten Gesellschaften und als Konzessionsträger der Revisionsstelle der I***** AG, nämlich der F***** Treuhandanstalt *****, aufgrund der Verletzung seiner Aufsichts- und Prüfpflichten schuldhaft keinen Insolvenzantrag gestellt habe, obwohl die Konkurstatbestände schon zum Zeitpunkt des Investments des Klägers vorgelegen seien. Wären die Konkursanträge rechtzeitig gestellt worden, hätte der Kläger niemals ein entsprechendes Investment getätigt. Der Schaden bestehe im Erwerb dieses wertlosen Investments. Die vorliegende Klage ist – im Revisionsverfahren noch interessierend – darauf gerichtet, den beklagten Rechtsschutzversicherer schuldig zu erkennen, dem Kläger für die beabsichtigte Rechtsdurchsetzung Deckung zu gewähren.

3.1 Im Revisionsverfahren strittig ist die Frage der Vorvertraglichkeit (ob die vom Kläger geltend gemachten Versicherungsfälle vor oder nach dem Beginn des Versicherungsschutzes am 1. 2. 2009 eingetreten waren).

Der Kläger argumentiert, der Schadenseintritt sei erst mit Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der genannten Gesellschaften im September 2009 erfolgt.

3.2 Die Ansprüche des Klägers fallen unter den Schadenersatz-Rechtsschutz, daher ist für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.1 ARB 2003 maßgeblich. Nach dieser Bestimmung gilt als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrundeliegenden Schadenereignisses. Der Versicherungsfall ist regelmäßig das Ereignis, das den Anspruch begründet hat (RIS‑Justiz RS0114209). Dabei handelt es sich nicht um den Verstoß, sondern um das Folgeereignis, das mit dem Eintritt des realen Verletzungszustands gleichgesetzt wird (7 Ob 112/16w mwN, vgl RIS‑Justiz RS0081307). Der Oberste Gerichtshof hat allgemein ausgesprochen, dass – bei fehlerhafter Anlageberatung – der reale (zivilrechtliche) Schaden bereits durch den Erwerb der nicht gewünschten Vermögenswerte eintritt (RIS‑Justiz RS0129706). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 112/16w ausdrücklich zum Eintritt des Versicherungsfalls im Schadenersatz-Rechtsschutz klargestellt, dass beim Erwerb einer vermeintlich wertlosen Anleihe der (reale) Schaden mit deren Erwerb eintritt. Dort wurde der Emissionsbank, den Geschäftsführern der Emittentin und dem Bilanzprüfer im Wesentlichen gleichfalls die Verletzung von Prüf- und Aufsichtspflichten vorgeworfen, nämlich die schlechte finanzielle Lage der Emittentin im Zeitpunkt der Anleihebegebung gekannt und nicht darüber informiert zu haben.

3.3 Der Versicherungsfall und damit die Beurteilung der Deckungspflicht richtet sich nach dem vom Kläger geltend zu machenden Anspruch und ist insofern eine Frage des Einzelfalls (7 Ob 87/08g = RIS‑Justiz RS0123775).

3.4 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Schaden sei bereits – nach dem Vorbringen des Klägers – mit dem Erwerb der behauptetermaßen wertlosen Anteile im Februar und Mai 2008 eingetreten, weshalb Vorvertraglichkeit vorliege, findet Deckung in der bestehenden oberstgerichtlichen Rechtsprechung und ist damit nicht zu beanstanden. Auf die vom Kläger herangezogene Kenntnisnahme vom eingetretenen Schaden kommt es hingegen nicht an.

4. Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, wobei die Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.

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